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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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daß die Bavaria fast ausschließlich in die Hände von Lesern gerathen würde,
deren naturwissenschaftliche Kenntnisse, namentlich die für jeden Gebildeten die¬
ser Tage noch immer etwas sehr abgelegenen geognostischen und mineralogischen,
nicht viel größer als Null seien, hielt er es für nöthig, möglichst populär auf¬
zutreten. Die Grundbegriffe der Specialwisscnschaft werden gewissenhaft aus¬
einandergesetzt und man erhält so eine Art von Vorschule der Geognosie und
Geologie, Mineralogie und Paläontologie, gelegentlich auch mit einem Ausblick
auf die schwebenden Controversen. Dann folgt die eigentlich geognostische Be¬
schreibung, d. h. es werden die verschiedenen vorkommenden Formationen in der
Terminologie der Wissenschaft aufgezählt und nach ihren Verbreitungsgebieten
topographisch fixirt. Eine Probe davon, zugleich die ersten Worte des ersten
Abschnittes des ersten Landes: "Die ältesten Sedimentgebilde, welche in den
bayerischen Alpen vorkommen, bestehen aus zumeist rothgefärbten Sandstein-,
Schiefer-, Thon- und Cvnglomeratschichtcn; ihnen schließt sich der nur stock-
förmig auftretende Salzthon, das sogenannte Haselgebirg mit seinen Steinsalz-,
Gips- und Anhydritmassen an." -- So geht das geognostisch - mineralogische
Latein mehre Bogen weit fort und zwar in jedem Bande ungefähr in gleichem
Umfang. Wir gestehen, daß uns schon bei den ersten Zeilen die Sinne ver¬
gingen und wahlscheinlich werden wir nicht die Einzigen sein, die einen solchen
Effect einer ohne Zweifel auf gediegenster Forschung und Sachkenntnis! ruhenden
Arbeit verspüren. Sobald man sich etwas erholt hat, fragt man natürlich:
was soll dies alles für die Bavaria? Der dortrinäre Schematiker mag darauf
antworten, daß es zur wissenschaftlichen Begründung der Charakteristik des
Landes unerläßlich sei: der gesunde Menschenverstand ober der einfache Jnstinct
des Lesers wird diese Antwort abgeschmackt finden.

Doch weiter: An den "Vegctationsverhältnissen" hoffen wir uns etwas zu
erholen, nachdem wir die Steinwüste der Geognosie hinter uus haben. Aber
auch hier derselbe Eindruck, auch hier gleichen die für die verschiedenen Terrain-
abschnitte meist verschiedenen Verfasser einander und ihrem geognostischen Vor¬
mann aufs Haar, daß sie uns zuerst mit den Elementen der wissenschaftlichen
Botanik vertraut machen. Wir erfahren davon etwa so viel, als man früher
als königlich bayerischer Studio in dem sogenannten philosophischen, alias
Fuchsexamen, nach Ablauf des ersten Studienjahres des vierjährigen Cursus
wissen sollte, aber nicht wußte. sind wir darüber glücklich hinweg, so erstarren
wir wieder in der trockensten Nomenclatur oder in dem nur einem Fachmann
verständlichen Jargon des Faches. Ganz dasselbe begegnet uns zu guter Letzt
bei der Thierwelt, zu der wir uns als zu etwas xar Exeolleuee Lebendigem
mit einer gewissen Hoffnung gewandt haben, und selbst wo die an sich einem
allgemeineren Veisiäudniß und Interesse so leicht zu erschließende Meteorologie
auftritt, ist es unmöglich, sich durch den Wust von Tabellen und Einzelbeobach-


Gttnzbotm I. 1867. 18

daß die Bavaria fast ausschließlich in die Hände von Lesern gerathen würde,
deren naturwissenschaftliche Kenntnisse, namentlich die für jeden Gebildeten die¬
ser Tage noch immer etwas sehr abgelegenen geognostischen und mineralogischen,
nicht viel größer als Null seien, hielt er es für nöthig, möglichst populär auf¬
zutreten. Die Grundbegriffe der Specialwisscnschaft werden gewissenhaft aus¬
einandergesetzt und man erhält so eine Art von Vorschule der Geognosie und
Geologie, Mineralogie und Paläontologie, gelegentlich auch mit einem Ausblick
auf die schwebenden Controversen. Dann folgt die eigentlich geognostische Be¬
schreibung, d. h. es werden die verschiedenen vorkommenden Formationen in der
Terminologie der Wissenschaft aufgezählt und nach ihren Verbreitungsgebieten
topographisch fixirt. Eine Probe davon, zugleich die ersten Worte des ersten
Abschnittes des ersten Landes: „Die ältesten Sedimentgebilde, welche in den
bayerischen Alpen vorkommen, bestehen aus zumeist rothgefärbten Sandstein-,
Schiefer-, Thon- und Cvnglomeratschichtcn; ihnen schließt sich der nur stock-
förmig auftretende Salzthon, das sogenannte Haselgebirg mit seinen Steinsalz-,
Gips- und Anhydritmassen an." — So geht das geognostisch - mineralogische
Latein mehre Bogen weit fort und zwar in jedem Bande ungefähr in gleichem
Umfang. Wir gestehen, daß uns schon bei den ersten Zeilen die Sinne ver¬
gingen und wahlscheinlich werden wir nicht die Einzigen sein, die einen solchen
Effect einer ohne Zweifel auf gediegenster Forschung und Sachkenntnis! ruhenden
Arbeit verspüren. Sobald man sich etwas erholt hat, fragt man natürlich:
was soll dies alles für die Bavaria? Der dortrinäre Schematiker mag darauf
antworten, daß es zur wissenschaftlichen Begründung der Charakteristik des
Landes unerläßlich sei: der gesunde Menschenverstand ober der einfache Jnstinct
des Lesers wird diese Antwort abgeschmackt finden.

Doch weiter: An den „Vegctationsverhältnissen" hoffen wir uns etwas zu
erholen, nachdem wir die Steinwüste der Geognosie hinter uus haben. Aber
auch hier derselbe Eindruck, auch hier gleichen die für die verschiedenen Terrain-
abschnitte meist verschiedenen Verfasser einander und ihrem geognostischen Vor¬
mann aufs Haar, daß sie uns zuerst mit den Elementen der wissenschaftlichen
Botanik vertraut machen. Wir erfahren davon etwa so viel, als man früher
als königlich bayerischer Studio in dem sogenannten philosophischen, alias
Fuchsexamen, nach Ablauf des ersten Studienjahres des vierjährigen Cursus
wissen sollte, aber nicht wußte. sind wir darüber glücklich hinweg, so erstarren
wir wieder in der trockensten Nomenclatur oder in dem nur einem Fachmann
verständlichen Jargon des Faches. Ganz dasselbe begegnet uns zu guter Letzt
bei der Thierwelt, zu der wir uns als zu etwas xar Exeolleuee Lebendigem
mit einer gewissen Hoffnung gewandt haben, und selbst wo die an sich einem
allgemeineren Veisiäudniß und Interesse so leicht zu erschließende Meteorologie
auftritt, ist es unmöglich, sich durch den Wust von Tabellen und Einzelbeobach-


Gttnzbotm I. 1867. 18
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[0147] daß die Bavaria fast ausschließlich in die Hände von Lesern gerathen würde, deren naturwissenschaftliche Kenntnisse, namentlich die für jeden Gebildeten die¬ ser Tage noch immer etwas sehr abgelegenen geognostischen und mineralogischen, nicht viel größer als Null seien, hielt er es für nöthig, möglichst populär auf¬ zutreten. Die Grundbegriffe der Specialwisscnschaft werden gewissenhaft aus¬ einandergesetzt und man erhält so eine Art von Vorschule der Geognosie und Geologie, Mineralogie und Paläontologie, gelegentlich auch mit einem Ausblick auf die schwebenden Controversen. Dann folgt die eigentlich geognostische Be¬ schreibung, d. h. es werden die verschiedenen vorkommenden Formationen in der Terminologie der Wissenschaft aufgezählt und nach ihren Verbreitungsgebieten topographisch fixirt. Eine Probe davon, zugleich die ersten Worte des ersten Abschnittes des ersten Landes: „Die ältesten Sedimentgebilde, welche in den bayerischen Alpen vorkommen, bestehen aus zumeist rothgefärbten Sandstein-, Schiefer-, Thon- und Cvnglomeratschichtcn; ihnen schließt sich der nur stock- förmig auftretende Salzthon, das sogenannte Haselgebirg mit seinen Steinsalz-, Gips- und Anhydritmassen an." — So geht das geognostisch - mineralogische Latein mehre Bogen weit fort und zwar in jedem Bande ungefähr in gleichem Umfang. Wir gestehen, daß uns schon bei den ersten Zeilen die Sinne ver¬ gingen und wahlscheinlich werden wir nicht die Einzigen sein, die einen solchen Effect einer ohne Zweifel auf gediegenster Forschung und Sachkenntnis! ruhenden Arbeit verspüren. Sobald man sich etwas erholt hat, fragt man natürlich: was soll dies alles für die Bavaria? Der dortrinäre Schematiker mag darauf antworten, daß es zur wissenschaftlichen Begründung der Charakteristik des Landes unerläßlich sei: der gesunde Menschenverstand ober der einfache Jnstinct des Lesers wird diese Antwort abgeschmackt finden. Doch weiter: An den „Vegctationsverhältnissen" hoffen wir uns etwas zu erholen, nachdem wir die Steinwüste der Geognosie hinter uus haben. Aber auch hier derselbe Eindruck, auch hier gleichen die für die verschiedenen Terrain- abschnitte meist verschiedenen Verfasser einander und ihrem geognostischen Vor¬ mann aufs Haar, daß sie uns zuerst mit den Elementen der wissenschaftlichen Botanik vertraut machen. Wir erfahren davon etwa so viel, als man früher als königlich bayerischer Studio in dem sogenannten philosophischen, alias Fuchsexamen, nach Ablauf des ersten Studienjahres des vierjährigen Cursus wissen sollte, aber nicht wußte. sind wir darüber glücklich hinweg, so erstarren wir wieder in der trockensten Nomenclatur oder in dem nur einem Fachmann verständlichen Jargon des Faches. Ganz dasselbe begegnet uns zu guter Letzt bei der Thierwelt, zu der wir uns als zu etwas xar Exeolleuee Lebendigem mit einer gewissen Hoffnung gewandt haben, und selbst wo die an sich einem allgemeineren Veisiäudniß und Interesse so leicht zu erschließende Meteorologie auftritt, ist es unmöglich, sich durch den Wust von Tabellen und Einzelbeobach- Gttnzbotm I. 1867. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/147>, abgerufen am 22.12.2024.