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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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was dem Staate der unüberlegte Streich des Fürsten Schwarzenberg, den mon¬
tenegrinischen Protector spielen zu wollen, kostete. Der Ausgleich mit Ungarn
ist möglicher, aber nicht wahrscheinlich, wenn die Einberufung des außerordent¬
lichen Reichstages nach Wien das letzte Wort ist. welches die Regierung in
dieser Sache zu sprechen weiß.

Wir begreifen, daß die Regierung nach einem Ausweg suchen mußte, um
aus der unseligen Lage, in welcher sie sich seit einem Jahre befand, herauszu¬
kommen. Das Februarpatent, das gestehen auch seine Bertheidiger ein. hat
nur taube Frucht getragen, das Sistirungspatent war eben nur der Ausdruck
absoluter Rathlosigkeit. Bei letzterem konnte man nicht länger bleiben, zu
ersterem nicht füglich wieder zurückkehren, nachdem außer den Czechen auch die
Polen und die deutschen Autonomistcn dem Februarsystem untreu geworden
sind. Die Regierung mußte also einen Staatsstreich wagen. Daß sie dieses
aber nur in verschämter Weise that und nicht den Muth zu einem unverschämten
Staatsstreiche fand, ist in ihrem und vielleicht auch im Interesse des Staates
zu beklagen. Es wird ihr auch nicht der geringste Borwurf erspart, sie kann
sich aber über den Vorwurf nicht durch irgendeinen erreichten Vortheil trösten.
Sie läßt die Landtage nach den Grundsätzen des Febru^rpatents zusammen¬
treten, stellt es aber den Landtagen frei, ob sie die Abgeordneten zum Reichs¬
tage entweder aus 'den Gruppen der Großgrundbesitzer, Städte. Jndustrieorte,
Landgemeinden, wie es die Februarverfassnng vorschreibt, oder einfach aus der
Landtagsmitte, wählen wollen. In diesem Belieben liegt der Rechtsbruch. Es
wird dadurch keine beiläufige Bestimmung des Februarpatcnts, sondern sein
Eckstein umgestoßen, das Princip der Majoritäten, welches die Fcbruarver-
fassung sorgsam vermieden hatte, durch ein Hinterpförtchen verstohlen und
heimlich eingeführt. Hätte die Regierung directe Reichstagswahlen ausgeschrieben
oder wenigstens auch bei den Landtagswahlen gleiches Recht für alle procla-
mirt, so würde sie ein klares und vielbestcchendcs Princip verwirklicht haben.
Den Anhängern der Februarvcrfassnng wäre das Protestiren erschwert worden,
denn das Majoritätssystem besitzt nach constitutioneller Lehre den Vorzug vor
dem Grnppensystem und den Ungarn hätte sich die Ueberzeugung deutlich ein¬
geprägt, daß ihrem Parlamente eine wirkliche unverfälschte Volksvertretung
gegenüberstehe. Jetzt hat die Regierung nur das'erreicht, daß die Polen und
Czechen etwas weniger unzufrieden sind als früher, wogegen unter den Deut¬
schen und Ruthene" die Mißstimmung den höchsten Grad erreicht hat und die
Ungarn über den halbwüchsigen Reichstag verächtlich die Achseln zucken. Die
Tendenz des Ministeriums bei der Veränderung der Wahlordnung war offen¬
bar, dem augenblicklich mit dem Adel verbundenen slawischen Elemente das
Uebergewicht im Reichstage zu verschaffen. Wie stimmt das wieder mit dem
Wunsche, die ungarische Angelegenheit endlich zu regeln, zusammen? Die Czechen,


was dem Staate der unüberlegte Streich des Fürsten Schwarzenberg, den mon¬
tenegrinischen Protector spielen zu wollen, kostete. Der Ausgleich mit Ungarn
ist möglicher, aber nicht wahrscheinlich, wenn die Einberufung des außerordent¬
lichen Reichstages nach Wien das letzte Wort ist. welches die Regierung in
dieser Sache zu sprechen weiß.

Wir begreifen, daß die Regierung nach einem Ausweg suchen mußte, um
aus der unseligen Lage, in welcher sie sich seit einem Jahre befand, herauszu¬
kommen. Das Februarpatent, das gestehen auch seine Bertheidiger ein. hat
nur taube Frucht getragen, das Sistirungspatent war eben nur der Ausdruck
absoluter Rathlosigkeit. Bei letzterem konnte man nicht länger bleiben, zu
ersterem nicht füglich wieder zurückkehren, nachdem außer den Czechen auch die
Polen und die deutschen Autonomistcn dem Februarsystem untreu geworden
sind. Die Regierung mußte also einen Staatsstreich wagen. Daß sie dieses
aber nur in verschämter Weise that und nicht den Muth zu einem unverschämten
Staatsstreiche fand, ist in ihrem und vielleicht auch im Interesse des Staates
zu beklagen. Es wird ihr auch nicht der geringste Borwurf erspart, sie kann
sich aber über den Vorwurf nicht durch irgendeinen erreichten Vortheil trösten.
Sie läßt die Landtage nach den Grundsätzen des Febru^rpatents zusammen¬
treten, stellt es aber den Landtagen frei, ob sie die Abgeordneten zum Reichs¬
tage entweder aus 'den Gruppen der Großgrundbesitzer, Städte. Jndustrieorte,
Landgemeinden, wie es die Februarverfassnng vorschreibt, oder einfach aus der
Landtagsmitte, wählen wollen. In diesem Belieben liegt der Rechtsbruch. Es
wird dadurch keine beiläufige Bestimmung des Februarpatcnts, sondern sein
Eckstein umgestoßen, das Princip der Majoritäten, welches die Fcbruarver-
fassung sorgsam vermieden hatte, durch ein Hinterpförtchen verstohlen und
heimlich eingeführt. Hätte die Regierung directe Reichstagswahlen ausgeschrieben
oder wenigstens auch bei den Landtagswahlen gleiches Recht für alle procla-
mirt, so würde sie ein klares und vielbestcchendcs Princip verwirklicht haben.
Den Anhängern der Februarvcrfassnng wäre das Protestiren erschwert worden,
denn das Majoritätssystem besitzt nach constitutioneller Lehre den Vorzug vor
dem Grnppensystem und den Ungarn hätte sich die Ueberzeugung deutlich ein¬
geprägt, daß ihrem Parlamente eine wirkliche unverfälschte Volksvertretung
gegenüberstehe. Jetzt hat die Regierung nur das'erreicht, daß die Polen und
Czechen etwas weniger unzufrieden sind als früher, wogegen unter den Deut¬
schen und Ruthene» die Mißstimmung den höchsten Grad erreicht hat und die
Ungarn über den halbwüchsigen Reichstag verächtlich die Achseln zucken. Die
Tendenz des Ministeriums bei der Veränderung der Wahlordnung war offen¬
bar, dem augenblicklich mit dem Adel verbundenen slawischen Elemente das
Uebergewicht im Reichstage zu verschaffen. Wie stimmt das wieder mit dem
Wunsche, die ungarische Angelegenheit endlich zu regeln, zusammen? Die Czechen,


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[0127] was dem Staate der unüberlegte Streich des Fürsten Schwarzenberg, den mon¬ tenegrinischen Protector spielen zu wollen, kostete. Der Ausgleich mit Ungarn ist möglicher, aber nicht wahrscheinlich, wenn die Einberufung des außerordent¬ lichen Reichstages nach Wien das letzte Wort ist. welches die Regierung in dieser Sache zu sprechen weiß. Wir begreifen, daß die Regierung nach einem Ausweg suchen mußte, um aus der unseligen Lage, in welcher sie sich seit einem Jahre befand, herauszu¬ kommen. Das Februarpatent, das gestehen auch seine Bertheidiger ein. hat nur taube Frucht getragen, das Sistirungspatent war eben nur der Ausdruck absoluter Rathlosigkeit. Bei letzterem konnte man nicht länger bleiben, zu ersterem nicht füglich wieder zurückkehren, nachdem außer den Czechen auch die Polen und die deutschen Autonomistcn dem Februarsystem untreu geworden sind. Die Regierung mußte also einen Staatsstreich wagen. Daß sie dieses aber nur in verschämter Weise that und nicht den Muth zu einem unverschämten Staatsstreiche fand, ist in ihrem und vielleicht auch im Interesse des Staates zu beklagen. Es wird ihr auch nicht der geringste Borwurf erspart, sie kann sich aber über den Vorwurf nicht durch irgendeinen erreichten Vortheil trösten. Sie läßt die Landtage nach den Grundsätzen des Febru^rpatents zusammen¬ treten, stellt es aber den Landtagen frei, ob sie die Abgeordneten zum Reichs¬ tage entweder aus 'den Gruppen der Großgrundbesitzer, Städte. Jndustrieorte, Landgemeinden, wie es die Februarverfassnng vorschreibt, oder einfach aus der Landtagsmitte, wählen wollen. In diesem Belieben liegt der Rechtsbruch. Es wird dadurch keine beiläufige Bestimmung des Februarpatcnts, sondern sein Eckstein umgestoßen, das Princip der Majoritäten, welches die Fcbruarver- fassung sorgsam vermieden hatte, durch ein Hinterpförtchen verstohlen und heimlich eingeführt. Hätte die Regierung directe Reichstagswahlen ausgeschrieben oder wenigstens auch bei den Landtagswahlen gleiches Recht für alle procla- mirt, so würde sie ein klares und vielbestcchendcs Princip verwirklicht haben. Den Anhängern der Februarvcrfassnng wäre das Protestiren erschwert worden, denn das Majoritätssystem besitzt nach constitutioneller Lehre den Vorzug vor dem Grnppensystem und den Ungarn hätte sich die Ueberzeugung deutlich ein¬ geprägt, daß ihrem Parlamente eine wirkliche unverfälschte Volksvertretung gegenüberstehe. Jetzt hat die Regierung nur das'erreicht, daß die Polen und Czechen etwas weniger unzufrieden sind als früher, wogegen unter den Deut¬ schen und Ruthene» die Mißstimmung den höchsten Grad erreicht hat und die Ungarn über den halbwüchsigen Reichstag verächtlich die Achseln zucken. Die Tendenz des Ministeriums bei der Veränderung der Wahlordnung war offen¬ bar, dem augenblicklich mit dem Adel verbundenen slawischen Elemente das Uebergewicht im Reichstage zu verschaffen. Wie stimmt das wieder mit dem Wunsche, die ungarische Angelegenheit endlich zu regeln, zusammen? Die Czechen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/127>, abgerufen am 28.09.2024.