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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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ergreifen, bei allen Actionen in erster Linie stehen, dann könne es nicht
fehlen, daß es zur alten Herrlichkeit emporsteige. Es klage über seine Isolirtheit,
sind denn aber nicht die depossedirten und auch die auf Wartegeld gesetzten deutschen
Fürsten seine natürlichen Bundesgenossen, gebe es nicht tausend Mittel, um
sich die Freundschaft Frankreichs zu sichern? Da sei die polnische Frage. Wenn
man sie wieder in Fluß bringe, bereite man Preußen eine schwere Verlegenheit,
erobere sich die Gunst der öffentlichen Meinung Europas, zwinge Frankreich aus
der reservirien Stellung herauszutreten. Da sei die orientalische Frage. Man
müsse Rußland die Sympathien der christlichen Bevölkerung in der Türkei ab¬
gewinnen, auf diese gestützt sich den Wcstmächten unentbehrlich machen. Kein
Zweifel, daß diese für Oestreichs Kooperation sich erkenntlich beweisen werden.
Es ist gewiß schnöder Undank, wenn Herr v. Beust für seine Rührigkeit von
manchem mürrischen Altöstreicher mit dem Namen eines Farceurs beschenkt wird.
Der Sorge können aber auch wir uns nicht entschlagen, daß der elastische Staats¬
mann dem schwerfälligen östreichischen Körper zu Viel zumuthet. Durch die
Theilnahme, die er den Polen widmet, hat sich Herr v. Beust allerdings den
Dank der Ultramontanen gesichert und das Mißtrauen, mit welchem kirchliche
Würdenträger anfangs den protestantischen Minister des kaiserlichen Hauses be¬
trachteten, verscheucht. Die römische Curie hat bekanntlich mit der Bekehrung
der orientalischen Christen kein sonderliches Glück. Was kann sie ihnen auch
bieten? Einen pomphaften Cult? diesen besitzen die orthodoxen Griechen in
ungleich reicherem Maße. Den wirksamen Schutz der Heiligen? Die griechischen
Heiligen sind aber viel tractabler, sie lassen sich zwingen, ihren Verehrern zu
helfen, stehen auf einem ganz vertrauten Fuße mit ihren Bekennern. Zum we¬
nigsten soll aber die griechische Kirche nicht ausschreiten, nicht die Grenzen der
lateinischen Christenheit einengen. Mit banger Furcht steht die Curie das
griechisch-orthodoxe Element in Polen vordringen. Wer es mit Polen hält, ver¬
theidigt auch die Rechte der Kirche. Zur Sicherung seiner persönlichen Stellung
bedient sich daher Herr V. Beust eines trefflichen Mittels, wenn er sich zum
Gönner der Polen aufwirft. Gewiß hatte es aber auch gute Gründe, daß ein
so eminent östreichischer Staatsmann, wie Graf Stadion, von der polnischen
Wirthschaft nichts wissen wollte. Eine dauernde politische Agitation in Galizien
ist mit dem wirtschaftlichen Ruine des Landes gleichbedeutend. Der Finanz-
minister mag Herrn v. Beust sagen, ob die ökonomischen Verhältnisse in Ga¬
lizien so geartet sind, daß sie eine tiefere Störung vertragen können. Dann
aber muß Herr v. Beust mit sich darüber fertig sein, ob Oestreich eine seiner
größten und militärisch wichtigsten Provinzen verschenken kann.

Fühlen sich die Polen stark genug, um loszuschlagen, um Rußland und
Preußen, wie Herr v. Beust hofft, eine ernste Verlegenheit zu bereiten, so werden
sie auch die Bande, die sie an Oestreich knüpfen, zerschneiden. W>r fürchten aber
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ergreifen, bei allen Actionen in erster Linie stehen, dann könne es nicht
fehlen, daß es zur alten Herrlichkeit emporsteige. Es klage über seine Isolirtheit,
sind denn aber nicht die depossedirten und auch die auf Wartegeld gesetzten deutschen
Fürsten seine natürlichen Bundesgenossen, gebe es nicht tausend Mittel, um
sich die Freundschaft Frankreichs zu sichern? Da sei die polnische Frage. Wenn
man sie wieder in Fluß bringe, bereite man Preußen eine schwere Verlegenheit,
erobere sich die Gunst der öffentlichen Meinung Europas, zwinge Frankreich aus
der reservirien Stellung herauszutreten. Da sei die orientalische Frage. Man
müsse Rußland die Sympathien der christlichen Bevölkerung in der Türkei ab¬
gewinnen, auf diese gestützt sich den Wcstmächten unentbehrlich machen. Kein
Zweifel, daß diese für Oestreichs Kooperation sich erkenntlich beweisen werden.
Es ist gewiß schnöder Undank, wenn Herr v. Beust für seine Rührigkeit von
manchem mürrischen Altöstreicher mit dem Namen eines Farceurs beschenkt wird.
Der Sorge können aber auch wir uns nicht entschlagen, daß der elastische Staats¬
mann dem schwerfälligen östreichischen Körper zu Viel zumuthet. Durch die
Theilnahme, die er den Polen widmet, hat sich Herr v. Beust allerdings den
Dank der Ultramontanen gesichert und das Mißtrauen, mit welchem kirchliche
Würdenträger anfangs den protestantischen Minister des kaiserlichen Hauses be¬
trachteten, verscheucht. Die römische Curie hat bekanntlich mit der Bekehrung
der orientalischen Christen kein sonderliches Glück. Was kann sie ihnen auch
bieten? Einen pomphaften Cult? diesen besitzen die orthodoxen Griechen in
ungleich reicherem Maße. Den wirksamen Schutz der Heiligen? Die griechischen
Heiligen sind aber viel tractabler, sie lassen sich zwingen, ihren Verehrern zu
helfen, stehen auf einem ganz vertrauten Fuße mit ihren Bekennern. Zum we¬
nigsten soll aber die griechische Kirche nicht ausschreiten, nicht die Grenzen der
lateinischen Christenheit einengen. Mit banger Furcht steht die Curie das
griechisch-orthodoxe Element in Polen vordringen. Wer es mit Polen hält, ver¬
theidigt auch die Rechte der Kirche. Zur Sicherung seiner persönlichen Stellung
bedient sich daher Herr V. Beust eines trefflichen Mittels, wenn er sich zum
Gönner der Polen aufwirft. Gewiß hatte es aber auch gute Gründe, daß ein
so eminent östreichischer Staatsmann, wie Graf Stadion, von der polnischen
Wirthschaft nichts wissen wollte. Eine dauernde politische Agitation in Galizien
ist mit dem wirtschaftlichen Ruine des Landes gleichbedeutend. Der Finanz-
minister mag Herrn v. Beust sagen, ob die ökonomischen Verhältnisse in Ga¬
lizien so geartet sind, daß sie eine tiefere Störung vertragen können. Dann
aber muß Herr v. Beust mit sich darüber fertig sein, ob Oestreich eine seiner
größten und militärisch wichtigsten Provinzen verschenken kann.

Fühlen sich die Polen stark genug, um loszuschlagen, um Rußland und
Preußen, wie Herr v. Beust hofft, eine ernste Verlegenheit zu bereiten, so werden
sie auch die Bande, die sie an Oestreich knüpfen, zerschneiden. W>r fürchten aber
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/125>, abgerufen am 28.09.2024.