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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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ihm schon deshalb keinen Gewinn einbringen konnte, da die Buchhändler kein
Honorar zahlten). Verschiedene Andeutungen Suetons beweisen auch, daß Orbi¬
lius mit mehren eigenen Schriften an die Öffentlichkeit getreten ist, und wie
er überhaupt in Rom zu Ruf würde gekommen sein, wie ihm Benevent, und
noch dazu auf seinem Capitole, eine Statue errichtet haben würde, wenn er
nur als qualificirter Stockmeister gewirkt hätte, ist schwer einzusehen. Wieland
und viele, die ihm nachbeteten, hat daher über Orbilius ganz schief geurtheilt,
indem er schrieb: "Orbit war ein abgedankter Soldat, derben Schulscepter aus
Noth ergriffen hatte, als der Knabe Horaz bei ihm lesen und schreiben lernte.
Wahrscheinlich reichte seine eigene Gelehrsamkeit nicht weit und er las mit sei¬
nen Schülern den Livius (Andronikus), weil es der Autor war, aus dem er
selbst lesen gelernt hatte."

Die merkwürdigste Schrift des Orbilius war ohne Zweifel diejenige, in
welcher er seine eigenen langjährigen Erfahrungen niederlegte, insbesondere über
das Verhältniß der Schule zum Hause. Sie führte den bezeichnenden Titel
"Der Vielgeplagte" und enthielt nach Sueton Klagen über die Kränkungen, die
den Lehrern durch die Nachlässigkeit und Eitelkeit der Aeltern zugefügt würden,
"ein Thema," sagt Gottl. Lange, ein Vertheidiger des Orbilius, "das in neuerer
Zeit oft wieder behandelt worden ist und immer wieder behandelt werden wird,
worin aber auch der Aufschluß über die Grämlichkeit manches wackeren Schul¬
manns liegt."

Orbilius war natürlich auch in seiner derben und geraden Weise gar nicht
der Mann dazu, sowie es die durch die devote Schmeichelei und Heuchelei der
Griechen verwöhnten Vornehmen wollten, sich zu geben oder sich in weg¬
werfender Weise behandeln zu lassen. So wird er sich denn durch Wahrheit
und Offenheit manchen Verdruß zugezogen haben, den ein Geschmeidigerer und
Gefügigerer vermieden hätte. Dazu kam, daß man wohl die Lehrer der Wissen¬
schaften benutzte und bewunderte, aber im socialen Leben verachtete. Gelehrte
Männer waren ja für Geld zu kaufen und wenn sie auch ungeheure Summen
kosteten, so waren sie eben weiter nichts als Sklaven. Auch die Schulinhaber
waren mit wenig Ausnahmen Freigelassene und nur Leute niedrigen Standes
wagten es daher, sich ihnen beizugesellen und sich mit einem Berufe zu befassen,
an dem auch, als einem Lehrgewcrbe, ein Makel haftete. So schreibt selbst
Cicero in seinem Werke über den Redner: "Aber (sagt man) das Lehren ver¬
trägt sich nicht mit der Ehre! Gewiß, wenn es wie in der Schule getrieben
wird; wenn aber auf dem Wege des Ernährers, des Ermunterns, des Fragens,
-- so weiß ich nicht, warum man nicht lehren wollte, falls man einmal
dadurch die Leute besser machen kann." Orbilius erlebte es noch in seinem
69. Jahre, daß Cäsar die öffentliche Achtung des Lehrerstandes dadurch hob,
daß er allen Docenten das römische Bürgerrecht ertheilte. Er selbst war


ihm schon deshalb keinen Gewinn einbringen konnte, da die Buchhändler kein
Honorar zahlten). Verschiedene Andeutungen Suetons beweisen auch, daß Orbi¬
lius mit mehren eigenen Schriften an die Öffentlichkeit getreten ist, und wie
er überhaupt in Rom zu Ruf würde gekommen sein, wie ihm Benevent, und
noch dazu auf seinem Capitole, eine Statue errichtet haben würde, wenn er
nur als qualificirter Stockmeister gewirkt hätte, ist schwer einzusehen. Wieland
und viele, die ihm nachbeteten, hat daher über Orbilius ganz schief geurtheilt,
indem er schrieb: „Orbit war ein abgedankter Soldat, derben Schulscepter aus
Noth ergriffen hatte, als der Knabe Horaz bei ihm lesen und schreiben lernte.
Wahrscheinlich reichte seine eigene Gelehrsamkeit nicht weit und er las mit sei¬
nen Schülern den Livius (Andronikus), weil es der Autor war, aus dem er
selbst lesen gelernt hatte."

Die merkwürdigste Schrift des Orbilius war ohne Zweifel diejenige, in
welcher er seine eigenen langjährigen Erfahrungen niederlegte, insbesondere über
das Verhältniß der Schule zum Hause. Sie führte den bezeichnenden Titel
„Der Vielgeplagte" und enthielt nach Sueton Klagen über die Kränkungen, die
den Lehrern durch die Nachlässigkeit und Eitelkeit der Aeltern zugefügt würden,
„ein Thema," sagt Gottl. Lange, ein Vertheidiger des Orbilius, „das in neuerer
Zeit oft wieder behandelt worden ist und immer wieder behandelt werden wird,
worin aber auch der Aufschluß über die Grämlichkeit manches wackeren Schul¬
manns liegt."

Orbilius war natürlich auch in seiner derben und geraden Weise gar nicht
der Mann dazu, sowie es die durch die devote Schmeichelei und Heuchelei der
Griechen verwöhnten Vornehmen wollten, sich zu geben oder sich in weg¬
werfender Weise behandeln zu lassen. So wird er sich denn durch Wahrheit
und Offenheit manchen Verdruß zugezogen haben, den ein Geschmeidigerer und
Gefügigerer vermieden hätte. Dazu kam, daß man wohl die Lehrer der Wissen¬
schaften benutzte und bewunderte, aber im socialen Leben verachtete. Gelehrte
Männer waren ja für Geld zu kaufen und wenn sie auch ungeheure Summen
kosteten, so waren sie eben weiter nichts als Sklaven. Auch die Schulinhaber
waren mit wenig Ausnahmen Freigelassene und nur Leute niedrigen Standes
wagten es daher, sich ihnen beizugesellen und sich mit einem Berufe zu befassen,
an dem auch, als einem Lehrgewcrbe, ein Makel haftete. So schreibt selbst
Cicero in seinem Werke über den Redner: „Aber (sagt man) das Lehren ver¬
trägt sich nicht mit der Ehre! Gewiß, wenn es wie in der Schule getrieben
wird; wenn aber auf dem Wege des Ernährers, des Ermunterns, des Fragens,
— so weiß ich nicht, warum man nicht lehren wollte, falls man einmal
dadurch die Leute besser machen kann." Orbilius erlebte es noch in seinem
69. Jahre, daß Cäsar die öffentliche Achtung des Lehrerstandes dadurch hob,
daß er allen Docenten das römische Bürgerrecht ertheilte. Er selbst war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/112>, abgerufen am 22.12.2024.