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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zige Abbildung einer Schulstube, die wir aus dem Alterthum besitzen, ein her-
kulanisches Gemälde, stellt den Moment einer solchen Strafexecution dar.
niedergeschlagen sitzen drei Bildungsvbjecte an ihren Plätzen, hinter welchen,
augenscheinlich gelangweilt, wartende Hofmeister und Diener stehen und lehnen.
Im Vordergründe aber saust die verbellende Ruthe auf den Rücken eines Delin¬
quenten herab, den ein vierter Mitschüler an den Armen über seinen Rücken
gezogen hält, während der fünfte durch Emporheben der Beine die Kehrseite
des Unglücklichen in eine prügelrcchtc schiefe Ebene verwandelt!

Was Orbilius betrifft, so kommen anch die sittlichen Zustände der Zeit in
Anschlag, die in höchsten und niedrigsten Kreisen den schrecklichsten Verfall off-m-
barten und unfehlbar auf sein Schülcrpubiikum ihren Rückschlag äußern mußten.
Die jüngeren Brüder jener Modeherrcn der catilinarischen Zeit mögen die.
Bubenstücke ihrer Vorbilder nur zu bald zu üben begonnen und beim Schwin¬
den aller erziehende" Unterstützung von Seiten des Hauses den Lehrer oft bis
zum Verzweifeln geärgert haben! Wenn solchen verzogenen, keine Autorität
achtenden Burschen gegenüber Orbilius zum Stocke griff, so ist ihm dies wohl
um so eher zu verzeihen, als er durch seinen langjährigen Militärdienst an
strengen Gehorsam und pünktliche Pflichterfüllung gewöhnt war. Es wäre
überhaupt vollkommen ungerechtfertigt, wollte man ihn deshalb zu einem Lehrer
machen, der im Schlagen und Strafen ein Vergnügen, eine Art von Erholung
gesucht habe, ungefähr so, wie der von Friedrich Jakobs in seinem classischen
Brief an Döring geschilderte Professor oder wie der Schwabe Johann Jakob
Häberle, welcher binnen eines halben Jahrhunderts über 900.000 Stockschläge
und 24.000 Nnthcnbiebe, 18.000 Maulschellen und Ohrfeigen und 1,113.800
Kopfnüsse ausgetheilt haben soll! Doch läßt sich auch nicht läugnen, daß die
Herbigkeit der Lehr- und Wanderjahre in dem Charakter des Orbilius ihren
Nachgeschmack zurückgelassen haben muß. Er war reizbar, knrzangcbunden und
Von göttlicher Grobheit. College", die andere Grundsätze als er befolgten und
veriheidigten, nahm er auf das bitterste mit und wehe überhaupt jedem, der ihm
zu nahe trat! Einst diente er als Zeuge gegen einen Angeklagten vor Gericht.
Dessen Vertheidiger, der Vater des nachmaligen Kaisers Galba, wollte den ihm
wohlbekannten Schulmeister verblüffen und sich stellend, als kenne er den Beruf
desselben nicht, fragte er maliliös: "Was treibst Du und welches Handwerk
hast Du gelernt!" -- "Ih pflege Bucklige im Sonnenschein zu frottiren!"
erwiederte barsch Orbilius; der Sachwalter war nämlich so mißgestaltet, daß
schon ein anderer Zeitgenosse von ihm gesagt hatte, sein Geist habe sich ein
schlechtes Quartier ausgesucht! Dagegen zeugt es wieder von seiner Ehrlichkeit
ebensowohl als von wissenschaftlichem Sinne, daß er. wie Sueton berichtet, ein
in falsche Hände gerathenes Werk des gelehrten Grammatikers Pompilius An-
dronikus wieder auflöste und unter dem Namen des Autors herausgab (was


zige Abbildung einer Schulstube, die wir aus dem Alterthum besitzen, ein her-
kulanisches Gemälde, stellt den Moment einer solchen Strafexecution dar.
niedergeschlagen sitzen drei Bildungsvbjecte an ihren Plätzen, hinter welchen,
augenscheinlich gelangweilt, wartende Hofmeister und Diener stehen und lehnen.
Im Vordergründe aber saust die verbellende Ruthe auf den Rücken eines Delin¬
quenten herab, den ein vierter Mitschüler an den Armen über seinen Rücken
gezogen hält, während der fünfte durch Emporheben der Beine die Kehrseite
des Unglücklichen in eine prügelrcchtc schiefe Ebene verwandelt!

Was Orbilius betrifft, so kommen anch die sittlichen Zustände der Zeit in
Anschlag, die in höchsten und niedrigsten Kreisen den schrecklichsten Verfall off-m-
barten und unfehlbar auf sein Schülcrpubiikum ihren Rückschlag äußern mußten.
Die jüngeren Brüder jener Modeherrcn der catilinarischen Zeit mögen die.
Bubenstücke ihrer Vorbilder nur zu bald zu üben begonnen und beim Schwin¬
den aller erziehende» Unterstützung von Seiten des Hauses den Lehrer oft bis
zum Verzweifeln geärgert haben! Wenn solchen verzogenen, keine Autorität
achtenden Burschen gegenüber Orbilius zum Stocke griff, so ist ihm dies wohl
um so eher zu verzeihen, als er durch seinen langjährigen Militärdienst an
strengen Gehorsam und pünktliche Pflichterfüllung gewöhnt war. Es wäre
überhaupt vollkommen ungerechtfertigt, wollte man ihn deshalb zu einem Lehrer
machen, der im Schlagen und Strafen ein Vergnügen, eine Art von Erholung
gesucht habe, ungefähr so, wie der von Friedrich Jakobs in seinem classischen
Brief an Döring geschilderte Professor oder wie der Schwabe Johann Jakob
Häberle, welcher binnen eines halben Jahrhunderts über 900.000 Stockschläge
und 24.000 Nnthcnbiebe, 18.000 Maulschellen und Ohrfeigen und 1,113.800
Kopfnüsse ausgetheilt haben soll! Doch läßt sich auch nicht läugnen, daß die
Herbigkeit der Lehr- und Wanderjahre in dem Charakter des Orbilius ihren
Nachgeschmack zurückgelassen haben muß. Er war reizbar, knrzangcbunden und
Von göttlicher Grobheit. College», die andere Grundsätze als er befolgten und
veriheidigten, nahm er auf das bitterste mit und wehe überhaupt jedem, der ihm
zu nahe trat! Einst diente er als Zeuge gegen einen Angeklagten vor Gericht.
Dessen Vertheidiger, der Vater des nachmaligen Kaisers Galba, wollte den ihm
wohlbekannten Schulmeister verblüffen und sich stellend, als kenne er den Beruf
desselben nicht, fragte er maliliös: „Was treibst Du und welches Handwerk
hast Du gelernt!" — „Ih pflege Bucklige im Sonnenschein zu frottiren!"
erwiederte barsch Orbilius; der Sachwalter war nämlich so mißgestaltet, daß
schon ein anderer Zeitgenosse von ihm gesagt hatte, sein Geist habe sich ein
schlechtes Quartier ausgesucht! Dagegen zeugt es wieder von seiner Ehrlichkeit
ebensowohl als von wissenschaftlichem Sinne, daß er. wie Sueton berichtet, ein
in falsche Hände gerathenes Werk des gelehrten Grammatikers Pompilius An-
dronikus wieder auflöste und unter dem Namen des Autors herausgab (was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/111>, abgerufen am 22.12.2024.