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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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eine weitere, bei den bisher Privilegien sehr unbeliebte Seite des Rechts¬
staates. Auch die Bürgermeister sind Gegner einer Aenderung der Landesver¬
fassung, welche sie aus ihrer hochgebietenden Stellung in der Gemeinde heraus-
zusetzen droht und ihre Einkünfte mit ihren Leistungen in das richtige Verhältniß
zu bringen verspricht.

Aus dieser Sachlage erklärt sich der Widerwille Alt-Mecklenburgs gegen den
Bundesstaat. Dieser Widerwille leuchtet aus allen bisherigen öffentlichen Acten
hervor, welche auf das zu begründende Bundesverhältniß Bezug Habens Die
Regierung hat kein Hehl daraus gemacht, daß sie nur gezwungen und nur zur Ver-
meidung noch schlimmerer Ungelegenheit auf dem von Preußen vorgezeichneten
Wege gefolgt ist. Die Stände sind von dem gleichen Gesichtspunkt ausgegangen
und haben alles gethan, was an ihnen lag, um das von Preußen begonnene
Wer? für Alt-Mecklenburg so unschädlich als möglich zu machen, und um für
spätere günstigere Zeiten die Rückkehr zu den bestehenden Verhältnissen offen zu
erhalten. Unsere frühere Darstellung der Verhandlungen des außerordentlichen
Landtags läßt darüber keinen Zweifel. --

Seitdem ist nun das Wahlgesetz für das Parlament verkündigt worden,
ganz in jener, über wesentliche Bestimmungen des Neichswcihlgesetzes. welches
vertragsmäßig die Grundlage bilden sollte, mit wohlerwogener Absicht sich hin¬
wegsetzenden Gestalt, wie die Negierung es den Ständen vorgelegt und diese
es genehmigt hatten. Ohne solche Ausbiegung vor den unbequemen Paragra¬
phen wäre ja Moritz Wiggers. der Präsident der mecklenburgischen Abgeordneten¬
kammer von 1848 und 1830, der Mann, welchen der Feudalismus am meisten
haßt und fürchtet und vor welchem er doch das Auge nicht aufzuschlagen wagt
aus Scham über die gebrochene Treue, dieser Moritz Wiggers wäre ja sonst
als mecklenburgischer Abgeordneter auf den Reichstag gezogen und als Ankläger
des Wortbruchs und der Mißregierung aufgetreten, unter welcher sein Heimaths-
land seit sechzehn Jahren leidet. Das sollte um jeden Preis vermieden werden
und nichts könnte daher den mecklenburgischen Feudalismus empfindlicher treffen,
als wenn ein auswärtiger Wahlkreis ihn um die Früchte der hierauf gerichteten
Anstrengungen brächte. In der mit dem Wahlgesetz publicirten Ausführungs¬
verordnung hat die Regierung aber ihre früheren Leistungen auf demselben Ge¬
biet fast noch überboten und ihrem feudalen Widerwillen gegen den Bundes¬
staat einen an Hohn streifenden Ausdruck gegeben. Die Wahlkreise sind keine
Kreise im bisher geläufigen Sinne des Wortes, sondern Classificirungen der
Wähler nach den Bevölkcrungskasten des feudalen Mecklenburg. Wie dieses in
Domanium, Ritterschaft und Städte zerfällt, so soll dasselbe Eintheilungsprincip
auch für die Wahlen gelten. Jeder dieser drei Theile soll zwei Wahlkreise
bilden und jeder Wahlkreis einen Abgeordneten wählen. Nur weil ein Ueber-
schuß der Domanialbevöikerung gegen die ritterschaftliche vorlag, welcher aus-


eine weitere, bei den bisher Privilegien sehr unbeliebte Seite des Rechts¬
staates. Auch die Bürgermeister sind Gegner einer Aenderung der Landesver¬
fassung, welche sie aus ihrer hochgebietenden Stellung in der Gemeinde heraus-
zusetzen droht und ihre Einkünfte mit ihren Leistungen in das richtige Verhältniß
zu bringen verspricht.

Aus dieser Sachlage erklärt sich der Widerwille Alt-Mecklenburgs gegen den
Bundesstaat. Dieser Widerwille leuchtet aus allen bisherigen öffentlichen Acten
hervor, welche auf das zu begründende Bundesverhältniß Bezug Habens Die
Regierung hat kein Hehl daraus gemacht, daß sie nur gezwungen und nur zur Ver-
meidung noch schlimmerer Ungelegenheit auf dem von Preußen vorgezeichneten
Wege gefolgt ist. Die Stände sind von dem gleichen Gesichtspunkt ausgegangen
und haben alles gethan, was an ihnen lag, um das von Preußen begonnene
Wer? für Alt-Mecklenburg so unschädlich als möglich zu machen, und um für
spätere günstigere Zeiten die Rückkehr zu den bestehenden Verhältnissen offen zu
erhalten. Unsere frühere Darstellung der Verhandlungen des außerordentlichen
Landtags läßt darüber keinen Zweifel. —

Seitdem ist nun das Wahlgesetz für das Parlament verkündigt worden,
ganz in jener, über wesentliche Bestimmungen des Neichswcihlgesetzes. welches
vertragsmäßig die Grundlage bilden sollte, mit wohlerwogener Absicht sich hin¬
wegsetzenden Gestalt, wie die Negierung es den Ständen vorgelegt und diese
es genehmigt hatten. Ohne solche Ausbiegung vor den unbequemen Paragra¬
phen wäre ja Moritz Wiggers. der Präsident der mecklenburgischen Abgeordneten¬
kammer von 1848 und 1830, der Mann, welchen der Feudalismus am meisten
haßt und fürchtet und vor welchem er doch das Auge nicht aufzuschlagen wagt
aus Scham über die gebrochene Treue, dieser Moritz Wiggers wäre ja sonst
als mecklenburgischer Abgeordneter auf den Reichstag gezogen und als Ankläger
des Wortbruchs und der Mißregierung aufgetreten, unter welcher sein Heimaths-
land seit sechzehn Jahren leidet. Das sollte um jeden Preis vermieden werden
und nichts könnte daher den mecklenburgischen Feudalismus empfindlicher treffen,
als wenn ein auswärtiger Wahlkreis ihn um die Früchte der hierauf gerichteten
Anstrengungen brächte. In der mit dem Wahlgesetz publicirten Ausführungs¬
verordnung hat die Regierung aber ihre früheren Leistungen auf demselben Ge¬
biet fast noch überboten und ihrem feudalen Widerwillen gegen den Bundes¬
staat einen an Hohn streifenden Ausdruck gegeben. Die Wahlkreise sind keine
Kreise im bisher geläufigen Sinne des Wortes, sondern Classificirungen der
Wähler nach den Bevölkcrungskasten des feudalen Mecklenburg. Wie dieses in
Domanium, Ritterschaft und Städte zerfällt, so soll dasselbe Eintheilungsprincip
auch für die Wahlen gelten. Jeder dieser drei Theile soll zwei Wahlkreise
bilden und jeder Wahlkreis einen Abgeordneten wählen. Nur weil ein Ueber-
schuß der Domanialbevöikerung gegen die ritterschaftliche vorlag, welcher aus-


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[0519] eine weitere, bei den bisher Privilegien sehr unbeliebte Seite des Rechts¬ staates. Auch die Bürgermeister sind Gegner einer Aenderung der Landesver¬ fassung, welche sie aus ihrer hochgebietenden Stellung in der Gemeinde heraus- zusetzen droht und ihre Einkünfte mit ihren Leistungen in das richtige Verhältniß zu bringen verspricht. Aus dieser Sachlage erklärt sich der Widerwille Alt-Mecklenburgs gegen den Bundesstaat. Dieser Widerwille leuchtet aus allen bisherigen öffentlichen Acten hervor, welche auf das zu begründende Bundesverhältniß Bezug Habens Die Regierung hat kein Hehl daraus gemacht, daß sie nur gezwungen und nur zur Ver- meidung noch schlimmerer Ungelegenheit auf dem von Preußen vorgezeichneten Wege gefolgt ist. Die Stände sind von dem gleichen Gesichtspunkt ausgegangen und haben alles gethan, was an ihnen lag, um das von Preußen begonnene Wer? für Alt-Mecklenburg so unschädlich als möglich zu machen, und um für spätere günstigere Zeiten die Rückkehr zu den bestehenden Verhältnissen offen zu erhalten. Unsere frühere Darstellung der Verhandlungen des außerordentlichen Landtags läßt darüber keinen Zweifel. — Seitdem ist nun das Wahlgesetz für das Parlament verkündigt worden, ganz in jener, über wesentliche Bestimmungen des Neichswcihlgesetzes. welches vertragsmäßig die Grundlage bilden sollte, mit wohlerwogener Absicht sich hin¬ wegsetzenden Gestalt, wie die Negierung es den Ständen vorgelegt und diese es genehmigt hatten. Ohne solche Ausbiegung vor den unbequemen Paragra¬ phen wäre ja Moritz Wiggers. der Präsident der mecklenburgischen Abgeordneten¬ kammer von 1848 und 1830, der Mann, welchen der Feudalismus am meisten haßt und fürchtet und vor welchem er doch das Auge nicht aufzuschlagen wagt aus Scham über die gebrochene Treue, dieser Moritz Wiggers wäre ja sonst als mecklenburgischer Abgeordneter auf den Reichstag gezogen und als Ankläger des Wortbruchs und der Mißregierung aufgetreten, unter welcher sein Heimaths- land seit sechzehn Jahren leidet. Das sollte um jeden Preis vermieden werden und nichts könnte daher den mecklenburgischen Feudalismus empfindlicher treffen, als wenn ein auswärtiger Wahlkreis ihn um die Früchte der hierauf gerichteten Anstrengungen brächte. In der mit dem Wahlgesetz publicirten Ausführungs¬ verordnung hat die Regierung aber ihre früheren Leistungen auf demselben Ge¬ biet fast noch überboten und ihrem feudalen Widerwillen gegen den Bundes¬ staat einen an Hohn streifenden Ausdruck gegeben. Die Wahlkreise sind keine Kreise im bisher geläufigen Sinne des Wortes, sondern Classificirungen der Wähler nach den Bevölkcrungskasten des feudalen Mecklenburg. Wie dieses in Domanium, Ritterschaft und Städte zerfällt, so soll dasselbe Eintheilungsprincip auch für die Wahlen gelten. Jeder dieser drei Theile soll zwei Wahlkreise bilden und jeder Wahlkreis einen Abgeordneten wählen. Nur weil ein Ueber- schuß der Domanialbevöikerung gegen die ritterschaftliche vorlag, welcher aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/519>, abgerufen am 04.07.2024.