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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Mit der Brochurenliteratur verhält es sich ähnlich wie mit den Karten.
Man darf wohl annehmen, daß die Anzahl der erscheinenden politischen Brochüren
im geraden Verhältnisse stehe zu der Aufregung, in welcher die Staaten leben.
Je t>oder die Wogen um das Staatsschiff gehen, desto größer ist die Menge
des literarischen Schaums, der lustig auf ihnen herumschwimmt. Nur dann
Verliert die politische Brochure von ihrer Bedeutung, wenn die Völker im blu¬
tigen Kampfe ringen und wenn der Kartenverleger ruhig abwartet, wessen
Schädel der härteste sei. Während aber der Musikalienverleger wie in diesem
Jahr schon mit Fug und Recht seinen "Siegesmarsch", seine "Zündnadelpolka",
seinen "heroischen Trauermarsch", den "Königsgrätzer Preußensturmgalopp", den
"Parlamentsmarsch" oder den "Siegesfreudenwalzer" und den "Friedensmarsch"
in die Welt sendet, bekämpft man sich wieder heftig mit Feder und Papier und
findet sich nur schwer in die neuen Verhältnisse. So ist denn auch dieser denk¬
würdige Sommer für solche literarische Gewächse sehr fruchtbar gewesen. Der
Stein, den Bismarck mit kühner Hand in die verwässerten deutschen Verhält¬
nisse warf, griff gewaltig in die einzelne Familie, in die kleineren Gemeinwesen
und in das Leben der Staaten ein. Jeder schüttete Wohl dem andern das
Herz aus, viele stritten eifrig in den Leitartikeln und Korrespondenzen der Zei¬
tungen, andere wieder sagten sich in offenen Briefen die Meinung und die
Brochüren wurden nicht nur gekauft, sondern auch mit Eifer gelesen. Es hieße
die Grenzen des gebotenen Raums überschreiten, wenn ich alles mir auf dem
Gebiet bekannt Gewordene aufführen wollte. Aber es ist immerhin interessant,
in einzelnen Gruppen das Bedeutendere zusammenzustellen, was in der Brochuren-
literatur seit den letzten zwei Monaten geleistet wurde.

Der Friede mit Oestreich und den meisten deutschen Staaten war geschlossen.
Was sollte nun werden? Der Möglichkeiten gab es so viele, daß in der Be¬
antwortung der einen schon wieder eine Frage verborgen war. Viele Brochüren
beschäftigten sich daher im Allgemeinen mehr mit Deutschland und der Frage,
ob Preußen die "Spitze" gebühre oder nicht. So schrieb L. K. Aegidi in
Hamburg "Woher und wohin? Ein Versuch, die Geschichte Deutschlands zu
verstehen", Heinrich v. Treitschke "die Zukunft der norddeutschen Mittelstaatcn".
H. Schulze "die Friedensbestimmungen in ihrem Verhältniß zur Neugestaltung
Deutschlands". Damit beschäftigten sich ferner die Brochüren. "Die Annexionen
und der norddeutsche Bund, vom Versasser der Rundschauen", "Offener Brief
an Johann Jakoby", Heinrich v. Sybels "Das neue Deutschland und Frankreich,
Sendschreiben an Herrn Foryade in Paris", "Karl der Große und die natür¬
lichen Grenzen Frankreichs" von Hilgers, "Preußen und Schwaben, von einem
Annectirten", "Politische Betrachtungen für die Gegenwart und nächste Zukunft,
von einem alten Liberalen", I. Oppermanns "Freiherr Karl vom Stein und
das Kleinstaatenthum", "Ueber Preußens Bestimmung und Aufgabe" von


Mit der Brochurenliteratur verhält es sich ähnlich wie mit den Karten.
Man darf wohl annehmen, daß die Anzahl der erscheinenden politischen Brochüren
im geraden Verhältnisse stehe zu der Aufregung, in welcher die Staaten leben.
Je t>oder die Wogen um das Staatsschiff gehen, desto größer ist die Menge
des literarischen Schaums, der lustig auf ihnen herumschwimmt. Nur dann
Verliert die politische Brochure von ihrer Bedeutung, wenn die Völker im blu¬
tigen Kampfe ringen und wenn der Kartenverleger ruhig abwartet, wessen
Schädel der härteste sei. Während aber der Musikalienverleger wie in diesem
Jahr schon mit Fug und Recht seinen „Siegesmarsch", seine „Zündnadelpolka",
seinen „heroischen Trauermarsch", den „Königsgrätzer Preußensturmgalopp", den
„Parlamentsmarsch" oder den „Siegesfreudenwalzer" und den „Friedensmarsch"
in die Welt sendet, bekämpft man sich wieder heftig mit Feder und Papier und
findet sich nur schwer in die neuen Verhältnisse. So ist denn auch dieser denk¬
würdige Sommer für solche literarische Gewächse sehr fruchtbar gewesen. Der
Stein, den Bismarck mit kühner Hand in die verwässerten deutschen Verhält¬
nisse warf, griff gewaltig in die einzelne Familie, in die kleineren Gemeinwesen
und in das Leben der Staaten ein. Jeder schüttete Wohl dem andern das
Herz aus, viele stritten eifrig in den Leitartikeln und Korrespondenzen der Zei¬
tungen, andere wieder sagten sich in offenen Briefen die Meinung und die
Brochüren wurden nicht nur gekauft, sondern auch mit Eifer gelesen. Es hieße
die Grenzen des gebotenen Raums überschreiten, wenn ich alles mir auf dem
Gebiet bekannt Gewordene aufführen wollte. Aber es ist immerhin interessant,
in einzelnen Gruppen das Bedeutendere zusammenzustellen, was in der Brochuren-
literatur seit den letzten zwei Monaten geleistet wurde.

Der Friede mit Oestreich und den meisten deutschen Staaten war geschlossen.
Was sollte nun werden? Der Möglichkeiten gab es so viele, daß in der Be¬
antwortung der einen schon wieder eine Frage verborgen war. Viele Brochüren
beschäftigten sich daher im Allgemeinen mehr mit Deutschland und der Frage,
ob Preußen die „Spitze" gebühre oder nicht. So schrieb L. K. Aegidi in
Hamburg „Woher und wohin? Ein Versuch, die Geschichte Deutschlands zu
verstehen", Heinrich v. Treitschke „die Zukunft der norddeutschen Mittelstaatcn".
H. Schulze „die Friedensbestimmungen in ihrem Verhältniß zur Neugestaltung
Deutschlands". Damit beschäftigten sich ferner die Brochüren. „Die Annexionen
und der norddeutsche Bund, vom Versasser der Rundschauen", „Offener Brief
an Johann Jakoby", Heinrich v. Sybels „Das neue Deutschland und Frankreich,
Sendschreiben an Herrn Foryade in Paris", „Karl der Große und die natür¬
lichen Grenzen Frankreichs" von Hilgers, „Preußen und Schwaben, von einem
Annectirten", „Politische Betrachtungen für die Gegenwart und nächste Zukunft,
von einem alten Liberalen", I. Oppermanns „Freiherr Karl vom Stein und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/500>, abgerufen am 04.07.2024.