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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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stelle, als den Grafen Eulenburg und von der Lippe und dem Herrn v. Muster
zu Gebote, steht.

Größere Hemmnisse bereiten die Friedensverträge mit den im Sommer
feindlichen Regierungen, welche jetzt Mitglieder des norddeutschen Bundes ge¬
worden sind, mit Hessen-Darmstadt und Sachsen. Der erstere Vertrag hat in
dem Großherzogthum Hessen so verworrene und unhaltbare Zustände hinter¬
lassen, daß ein Bestand derselben unmöglich erscheint. Man thut dem aus¬
wärtigen Amte Preußens Unrecht, wenn man behauptet, daß dies Unhaltbare
in geheimer Absicht pactirt sei, als neue Handhabe für ein Eingreifen Preußens.
Denn es ist selbstverständlich, daß im Sommer dieses Jahres unter dem Zauber
der preußischen Siege immerhin mehr zu erreichen war, als in Zeiten der Ruhe
nach einem Friedensschluß. Und kein Staatsmann von Urtheil wird, wenn er
die Wahl hat. nach den unermeßlichen Opfern und nach großen Siegen eines
Krieges etwas schaffen, wovon er selbst weiß, daß es eine unversiechbare Quelle
von Verlegenheiten, für die Gegner seines Staats eine willkommene Handhabe
zu neuen Einmischungen sein wird. Der Friede mit Sachsen und Darmstadt
ist vielmehr unter dem Zwange sehr realer Verhältnisse geschlossen. Darüber,
ob er so nöthig wurde, wird sich die Zukunft des Urtheils nicht begeben; uns ist
zur Zeit versagt, abzuschätzen, ob dieser Preußen aufgelegte Zwang unwider¬
stehlich war, und ob ein größeres Wollen Höheres für Preußen und Deutsch¬
land hätte erreichen könne". Zur Zeit merken wir nur Eins. In jenen Tagen,
wo im preußischen Hauptquartier zu Nikolsburg Plötzlich Entschluß gefaßt wer¬
den mußte über Frieden oder Fortsetzung des Krieges, hatte man Veranlassung,
dort auch eine andere Möglichkeit der Lösung ins Auge zu fassen: man konnte
eine zweite Schlacht bei Wien wagen, dadurch die östreichische Armee nach
Ungarn werfen, den kleineren Theil des Heeres an der Grenze zurücklassen, mit
dem größeren Theil in Gewaltmärschen nach München und Stuttgart ziehen und
das Heer dadurch in die Nähe des Rheins bringen, dann annectiren lassen, was
für Preußen im Norden nöthig war, den Südstaaten aber günstige Bedingungen
stellen, vor allem die deutsche Bundespflicht derselben für fortbestehend erklären,
und nach Ausschluß Oestreichs den Bund selbst in preußischem Sinne refor-
miren. Bayern und Würtemberg wären gänzlich niedergeworfen, froh gewesen,
sich im Bunde zu conserviren, die Schnelligkeit der Erfolge, die Nähe des preu¬
ßischen Heeres an der französischen Grenze würde wahrscheinlich dem Kaiser von
Frankreich nicht weniger Zurückhaltung auferlegt haben, die Umarmung des ge-
sammten Deutschlands hätte mit einem Schlage die deutsche Frage zur Ent¬
scheidung gebracht, die ganze Bewegung hätte einen vorwiegend nationalen
Charakter angenommen, allerdings auch das Schicksal Oestreichs schneller Ent¬
scheidung zugeführt, und es ist Wohl möglich, daß solche kühne Politik uns
weiter gebracht hätte, als wir jetzt sind, und die inneren Schwierigkeiten der


stelle, als den Grafen Eulenburg und von der Lippe und dem Herrn v. Muster
zu Gebote, steht.

Größere Hemmnisse bereiten die Friedensverträge mit den im Sommer
feindlichen Regierungen, welche jetzt Mitglieder des norddeutschen Bundes ge¬
worden sind, mit Hessen-Darmstadt und Sachsen. Der erstere Vertrag hat in
dem Großherzogthum Hessen so verworrene und unhaltbare Zustände hinter¬
lassen, daß ein Bestand derselben unmöglich erscheint. Man thut dem aus¬
wärtigen Amte Preußens Unrecht, wenn man behauptet, daß dies Unhaltbare
in geheimer Absicht pactirt sei, als neue Handhabe für ein Eingreifen Preußens.
Denn es ist selbstverständlich, daß im Sommer dieses Jahres unter dem Zauber
der preußischen Siege immerhin mehr zu erreichen war, als in Zeiten der Ruhe
nach einem Friedensschluß. Und kein Staatsmann von Urtheil wird, wenn er
die Wahl hat. nach den unermeßlichen Opfern und nach großen Siegen eines
Krieges etwas schaffen, wovon er selbst weiß, daß es eine unversiechbare Quelle
von Verlegenheiten, für die Gegner seines Staats eine willkommene Handhabe
zu neuen Einmischungen sein wird. Der Friede mit Sachsen und Darmstadt
ist vielmehr unter dem Zwange sehr realer Verhältnisse geschlossen. Darüber,
ob er so nöthig wurde, wird sich die Zukunft des Urtheils nicht begeben; uns ist
zur Zeit versagt, abzuschätzen, ob dieser Preußen aufgelegte Zwang unwider¬
stehlich war, und ob ein größeres Wollen Höheres für Preußen und Deutsch¬
land hätte erreichen könne». Zur Zeit merken wir nur Eins. In jenen Tagen,
wo im preußischen Hauptquartier zu Nikolsburg Plötzlich Entschluß gefaßt wer¬
den mußte über Frieden oder Fortsetzung des Krieges, hatte man Veranlassung,
dort auch eine andere Möglichkeit der Lösung ins Auge zu fassen: man konnte
eine zweite Schlacht bei Wien wagen, dadurch die östreichische Armee nach
Ungarn werfen, den kleineren Theil des Heeres an der Grenze zurücklassen, mit
dem größeren Theil in Gewaltmärschen nach München und Stuttgart ziehen und
das Heer dadurch in die Nähe des Rheins bringen, dann annectiren lassen, was
für Preußen im Norden nöthig war, den Südstaaten aber günstige Bedingungen
stellen, vor allem die deutsche Bundespflicht derselben für fortbestehend erklären,
und nach Ausschluß Oestreichs den Bund selbst in preußischem Sinne refor-
miren. Bayern und Würtemberg wären gänzlich niedergeworfen, froh gewesen,
sich im Bunde zu conserviren, die Schnelligkeit der Erfolge, die Nähe des preu¬
ßischen Heeres an der französischen Grenze würde wahrscheinlich dem Kaiser von
Frankreich nicht weniger Zurückhaltung auferlegt haben, die Umarmung des ge-
sammten Deutschlands hätte mit einem Schlage die deutsche Frage zur Ent¬
scheidung gebracht, die ganze Bewegung hätte einen vorwiegend nationalen
Charakter angenommen, allerdings auch das Schicksal Oestreichs schneller Ent¬
scheidung zugeführt, und es ist Wohl möglich, daß solche kühne Politik uns
weiter gebracht hätte, als wir jetzt sind, und die inneren Schwierigkeiten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/474>, abgerufen am 04.07.2024.