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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Was aber steht auf der andern Seite? Etwas unendlich schwächeres. Un¬
vollkommeneres, Geringeres als selbst der vielgeschmähte deutsche Bund je ge¬
wesen. Drei bis vier kleine Staaten ohne jeden gesetzlichen oder übereinkunfts-
mäßigen Zusammenhang, ohne die Kraft, welche zu selbständiger Entwicklung
unentbehrlich ist, und ohne jeden Anfang künftiger Verschmelzung. Wohl hört
man von einem freien einigen Südbunde reden, allein auf was stützt man sich,
um ihn ans Tageslicht zu rufen? Auf die Einsicht, den guten Willen der Re¬
gierungen?' Wo ist die geringste Bürgschaft für dergleichen Bestrebungen nach
oben? und wo ist in Ermangelung dieser Einsicht und Bereitwilligkeit die Bürg-
schaft, daß der Wunsch der Regierten genügen werde, einen solchen Bund ihren
Herrschern aufzunöihigen? Und gar einen Bund, wie man uns ihn ausmalt, mit
allen Farben der Phantasie, voll Freiheit, Gleichheit und Brüderschaft? Aber
um Gottes Willen, aus welchem Lande kommen denn die Leute, welche uns
diesen goldenen Südbund versprechen und aus welche Erfahrungen hin verheißen
sie uns südlich des Mains diesen gesegneten Garten, drinnen Milch und Honig
fließen soll?

Statt eines Bundes, der bereits Dreivieltheile von Deutschland umfaßt,
schlagen sie einen vor, der kaum ein Viertheil einschließen soll; statt eines Bun¬
des, dessen Kräfte eben die Probe einer wunderbaren Lebensfähigkeit abgelegt
haben, suchen sie einen Bund aus Bestandtheilen, welche mit ihrer Kopflosigkeit
die Welt in Staunen setzten; .statt eines Bundes, der ist, suchen sie einen Bund,
der nicht ist".

Und wenn wir fragen, warum das Alles? warum, da endlich nach einem
halben Jahrhundert Deutschland eine Gestalt annimmt, warum klammert Ihr
Euch verzweifelt an den tausendjährigen Fluch des Zwiespalts und der Ver¬
wirrung? Wenn wir so fragen, so wird uns die Antwort: weil in Preußen
die Freiheit nicht herrscht.

Wahrlich, wenn die Frage nach der Freiheit auftaucht, ob diesseits oder
jenseits des Mains, so möchte man doch seine Rede anfangen, wie jener Pre¬
diger: "Hier ist nichts und da ist nichts, aus Nichts hat Gott die Welt er¬
schaffen!"

Nirgends noch heute verdient das erhabene Wort der Freiheit auf deutsche
Unterthanen angewandt zu werden. Frei sind nur die Bürger, vor deren Kraft
und Ansehen die eigene Regierung demüthig das Haupt beugt, frei ist nicht
etwa ein Ländchen, dem hie und da ein gutmüthiger Regent in menschenfreund¬
licher Anwandlung den Zügel auf den Hals legt.

Wer uns heute nicht mit faßlichen Worten, sondern nur mit allgemeinen
Betheuerungen nachweisen kann, wieso er der Freiheit eine Gasse machen wolle,
der störe und verwirre uns nicht in dem großen elementaren Werk der eben zu
gründenden Einheit. Das ist unser tiefberechtigtes lautes und lauteres Verlangen!


GttNjbotm IV. 18öK. os

Was aber steht auf der andern Seite? Etwas unendlich schwächeres. Un¬
vollkommeneres, Geringeres als selbst der vielgeschmähte deutsche Bund je ge¬
wesen. Drei bis vier kleine Staaten ohne jeden gesetzlichen oder übereinkunfts-
mäßigen Zusammenhang, ohne die Kraft, welche zu selbständiger Entwicklung
unentbehrlich ist, und ohne jeden Anfang künftiger Verschmelzung. Wohl hört
man von einem freien einigen Südbunde reden, allein auf was stützt man sich,
um ihn ans Tageslicht zu rufen? Auf die Einsicht, den guten Willen der Re¬
gierungen?' Wo ist die geringste Bürgschaft für dergleichen Bestrebungen nach
oben? und wo ist in Ermangelung dieser Einsicht und Bereitwilligkeit die Bürg-
schaft, daß der Wunsch der Regierten genügen werde, einen solchen Bund ihren
Herrschern aufzunöihigen? Und gar einen Bund, wie man uns ihn ausmalt, mit
allen Farben der Phantasie, voll Freiheit, Gleichheit und Brüderschaft? Aber
um Gottes Willen, aus welchem Lande kommen denn die Leute, welche uns
diesen goldenen Südbund versprechen und aus welche Erfahrungen hin verheißen
sie uns südlich des Mains diesen gesegneten Garten, drinnen Milch und Honig
fließen soll?

Statt eines Bundes, der bereits Dreivieltheile von Deutschland umfaßt,
schlagen sie einen vor, der kaum ein Viertheil einschließen soll; statt eines Bun¬
des, dessen Kräfte eben die Probe einer wunderbaren Lebensfähigkeit abgelegt
haben, suchen sie einen Bund aus Bestandtheilen, welche mit ihrer Kopflosigkeit
die Welt in Staunen setzten; .statt eines Bundes, der ist, suchen sie einen Bund,
der nicht ist".

Und wenn wir fragen, warum das Alles? warum, da endlich nach einem
halben Jahrhundert Deutschland eine Gestalt annimmt, warum klammert Ihr
Euch verzweifelt an den tausendjährigen Fluch des Zwiespalts und der Ver¬
wirrung? Wenn wir so fragen, so wird uns die Antwort: weil in Preußen
die Freiheit nicht herrscht.

Wahrlich, wenn die Frage nach der Freiheit auftaucht, ob diesseits oder
jenseits des Mains, so möchte man doch seine Rede anfangen, wie jener Pre¬
diger: „Hier ist nichts und da ist nichts, aus Nichts hat Gott die Welt er¬
schaffen!«

Nirgends noch heute verdient das erhabene Wort der Freiheit auf deutsche
Unterthanen angewandt zu werden. Frei sind nur die Bürger, vor deren Kraft
und Ansehen die eigene Regierung demüthig das Haupt beugt, frei ist nicht
etwa ein Ländchen, dem hie und da ein gutmüthiger Regent in menschenfreund¬
licher Anwandlung den Zügel auf den Hals legt.

Wer uns heute nicht mit faßlichen Worten, sondern nur mit allgemeinen
Betheuerungen nachweisen kann, wieso er der Freiheit eine Gasse machen wolle,
der störe und verwirre uns nicht in dem großen elementaren Werk der eben zu
gründenden Einheit. Das ist unser tiefberechtigtes lautes und lauteres Verlangen!


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[0463] Was aber steht auf der andern Seite? Etwas unendlich schwächeres. Un¬ vollkommeneres, Geringeres als selbst der vielgeschmähte deutsche Bund je ge¬ wesen. Drei bis vier kleine Staaten ohne jeden gesetzlichen oder übereinkunfts- mäßigen Zusammenhang, ohne die Kraft, welche zu selbständiger Entwicklung unentbehrlich ist, und ohne jeden Anfang künftiger Verschmelzung. Wohl hört man von einem freien einigen Südbunde reden, allein auf was stützt man sich, um ihn ans Tageslicht zu rufen? Auf die Einsicht, den guten Willen der Re¬ gierungen?' Wo ist die geringste Bürgschaft für dergleichen Bestrebungen nach oben? und wo ist in Ermangelung dieser Einsicht und Bereitwilligkeit die Bürg- schaft, daß der Wunsch der Regierten genügen werde, einen solchen Bund ihren Herrschern aufzunöihigen? Und gar einen Bund, wie man uns ihn ausmalt, mit allen Farben der Phantasie, voll Freiheit, Gleichheit und Brüderschaft? Aber um Gottes Willen, aus welchem Lande kommen denn die Leute, welche uns diesen goldenen Südbund versprechen und aus welche Erfahrungen hin verheißen sie uns südlich des Mains diesen gesegneten Garten, drinnen Milch und Honig fließen soll? Statt eines Bundes, der bereits Dreivieltheile von Deutschland umfaßt, schlagen sie einen vor, der kaum ein Viertheil einschließen soll; statt eines Bun¬ des, dessen Kräfte eben die Probe einer wunderbaren Lebensfähigkeit abgelegt haben, suchen sie einen Bund aus Bestandtheilen, welche mit ihrer Kopflosigkeit die Welt in Staunen setzten; .statt eines Bundes, der ist, suchen sie einen Bund, der nicht ist". Und wenn wir fragen, warum das Alles? warum, da endlich nach einem halben Jahrhundert Deutschland eine Gestalt annimmt, warum klammert Ihr Euch verzweifelt an den tausendjährigen Fluch des Zwiespalts und der Ver¬ wirrung? Wenn wir so fragen, so wird uns die Antwort: weil in Preußen die Freiheit nicht herrscht. Wahrlich, wenn die Frage nach der Freiheit auftaucht, ob diesseits oder jenseits des Mains, so möchte man doch seine Rede anfangen, wie jener Pre¬ diger: „Hier ist nichts und da ist nichts, aus Nichts hat Gott die Welt er¬ schaffen!« Nirgends noch heute verdient das erhabene Wort der Freiheit auf deutsche Unterthanen angewandt zu werden. Frei sind nur die Bürger, vor deren Kraft und Ansehen die eigene Regierung demüthig das Haupt beugt, frei ist nicht etwa ein Ländchen, dem hie und da ein gutmüthiger Regent in menschenfreund¬ licher Anwandlung den Zügel auf den Hals legt. Wer uns heute nicht mit faßlichen Worten, sondern nur mit allgemeinen Betheuerungen nachweisen kann, wieso er der Freiheit eine Gasse machen wolle, der störe und verwirre uns nicht in dem großen elementaren Werk der eben zu gründenden Einheit. Das ist unser tiefberechtigtes lautes und lauteres Verlangen! GttNjbotm IV. 18öK. os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/463>, abgerufen am 04.07.2024.