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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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aufzuwenden brauchen. Auch hinsichtlich des Eises für die Conservirung der
Fische sind wir vor England begünstigt. Der strenge norddeutsche Winter liefert
sicherer und mehr Eis als der mildere englische; stellt sich dort also schon die
Eismaschine vortheilhaft heraus im Vergleich zu der Beziehung von norwegi¬
schen naturels, so wird sie es um so eher hier thun, wo sie in so viel ge¬
ringerem Maße ergänzend einzutreten hat, vorausgesetzt nur, daß die erste Aus¬
lage sich durch einen hinlänglich großen Betrieb bezahlt macht. Sollte man
aber die fremde Aushilfe nicht entbehren können, so ist Norwegen den deutschen
Nordseehäfen gleich nahe wie den englischen.

Die wichtigsten Bedingungen, um frischen Seefisch zu einem allgemeinen
Volksnahrungsmittel zu machen, sind also auch in Deutschland gegeben. Er
kann voraussichtlich in demselben Maße billiger geliefert werden, als in Eng¬
land, wie die englischen Preise gegenwärtig noch überhaupt höher sind als die
deutschen. Die Engländer holen uns unser Mastvieh in immer zunehmenden
Massen weg; es ist Zeit, daß wir in den Thieren des Meeres, die kein Futter
kosten und folglich gegen die Fang- und Beförderungskosten allein zu haben
sind, eine Ausgleichung suchen, anstatt ihnen auch diese Weide ausschließlich zu
überlassen, sogar angesichts unserer eigenen Küsten. An Empfänglichkeit wird
es dem Gaumen und Magen des deutschen Publikums im Allgemeinen sicherlich
nicht fehlen. Die katholische Hälfte der Nation ist schon durch kirchliche Gebote
auf einen regelmäßigen Genuß von Fisch hingewiesen, und wird die trockene
Eintönigkeit des Stockfisches gewiß gern durch Schollen, Schellfische und Zungen
unterbrochen sehen. Aber auch die Andersgläubigen sind keine Fischverächter,
wie der fortwährend zunehmende Verbrauch gesalzener und geräucherter Häringe
zeigt. In den sieben Jahren 1837--1864 hat die Einfuhr von Häringen in
deutsche Häfen um ungefähr drei Viertel zugenommen, und wenn auch die
östlichen Binnenländer, Nußland (nebst Polen) und Oestreich daran ihren An¬
theil haben, so bleibt doch das Meiste in Deutschland selbst. Der Häring aber
ist gleich dem Stockfisch nur ein Surrogat für frischen Fisch. In England, wo
man ihn schon seit langer Zeit frisch haben konnte, weil er dort in dichten
Zügen an die Küsten kommt, wird seit der Ausbildung des Eisenbahnnetzes
mehr frischer Häring genossen als gesalzener oder geräucherter. Man nimmt
eben den conservirten Fisch gleich wie das conservirte Fleisch und das conser-
virte Gemüse nur, wo das frische mangelt. Insofern kann man den Verbrauch
von Häringen und Stockfisch als ein untrügliches Zeichen ansehen, daß der
öffentliche Geschmack in Deutschland den frischen Seefisch so wenig verschmähen
wird, wie das irgendwo geschehen ist, wohin er sich in wirklich gutem und
gesundem Zustande bringen ließ. Aber freilich, um unter die regelmäßigen Be¬
standtheile unserer Mahlzeiten, auf den Speisezettel der gewöhnlichen bürger¬
lichen Haushaltung aufgenommen zu werden, muß er so reichlich und ununter-


aufzuwenden brauchen. Auch hinsichtlich des Eises für die Conservirung der
Fische sind wir vor England begünstigt. Der strenge norddeutsche Winter liefert
sicherer und mehr Eis als der mildere englische; stellt sich dort also schon die
Eismaschine vortheilhaft heraus im Vergleich zu der Beziehung von norwegi¬
schen naturels, so wird sie es um so eher hier thun, wo sie in so viel ge¬
ringerem Maße ergänzend einzutreten hat, vorausgesetzt nur, daß die erste Aus¬
lage sich durch einen hinlänglich großen Betrieb bezahlt macht. Sollte man
aber die fremde Aushilfe nicht entbehren können, so ist Norwegen den deutschen
Nordseehäfen gleich nahe wie den englischen.

Die wichtigsten Bedingungen, um frischen Seefisch zu einem allgemeinen
Volksnahrungsmittel zu machen, sind also auch in Deutschland gegeben. Er
kann voraussichtlich in demselben Maße billiger geliefert werden, als in Eng¬
land, wie die englischen Preise gegenwärtig noch überhaupt höher sind als die
deutschen. Die Engländer holen uns unser Mastvieh in immer zunehmenden
Massen weg; es ist Zeit, daß wir in den Thieren des Meeres, die kein Futter
kosten und folglich gegen die Fang- und Beförderungskosten allein zu haben
sind, eine Ausgleichung suchen, anstatt ihnen auch diese Weide ausschließlich zu
überlassen, sogar angesichts unserer eigenen Küsten. An Empfänglichkeit wird
es dem Gaumen und Magen des deutschen Publikums im Allgemeinen sicherlich
nicht fehlen. Die katholische Hälfte der Nation ist schon durch kirchliche Gebote
auf einen regelmäßigen Genuß von Fisch hingewiesen, und wird die trockene
Eintönigkeit des Stockfisches gewiß gern durch Schollen, Schellfische und Zungen
unterbrochen sehen. Aber auch die Andersgläubigen sind keine Fischverächter,
wie der fortwährend zunehmende Verbrauch gesalzener und geräucherter Häringe
zeigt. In den sieben Jahren 1837—1864 hat die Einfuhr von Häringen in
deutsche Häfen um ungefähr drei Viertel zugenommen, und wenn auch die
östlichen Binnenländer, Nußland (nebst Polen) und Oestreich daran ihren An¬
theil haben, so bleibt doch das Meiste in Deutschland selbst. Der Häring aber
ist gleich dem Stockfisch nur ein Surrogat für frischen Fisch. In England, wo
man ihn schon seit langer Zeit frisch haben konnte, weil er dort in dichten
Zügen an die Küsten kommt, wird seit der Ausbildung des Eisenbahnnetzes
mehr frischer Häring genossen als gesalzener oder geräucherter. Man nimmt
eben den conservirten Fisch gleich wie das conservirte Fleisch und das conser-
virte Gemüse nur, wo das frische mangelt. Insofern kann man den Verbrauch
von Häringen und Stockfisch als ein untrügliches Zeichen ansehen, daß der
öffentliche Geschmack in Deutschland den frischen Seefisch so wenig verschmähen
wird, wie das irgendwo geschehen ist, wohin er sich in wirklich gutem und
gesundem Zustande bringen ließ. Aber freilich, um unter die regelmäßigen Be¬
standtheile unserer Mahlzeiten, auf den Speisezettel der gewöhnlichen bürger¬
lichen Haushaltung aufgenommen zu werden, muß er so reichlich und ununter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/454>, abgerufen am 04.07.2024.