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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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gelockert wird. Oder soll sie vielleicht der Schutz ihrer materiellen und geistigen
Interessen, jener der Freiheit und Wissenschaft, an die Nachkommen Arpads
fesseln? Wenn Herrn v. Beust überhaupt daran läge, dem alternden Kaiserstaate
neues Leben einzuhauchen, würde er sich trennen müssen von der Gemeinschaft
mit dem Grafen Belcredi, eine der jetzigen schnurstracks entgegengesetzte Bahn
einschlagen. Antipode des starren Absolutismus, des blinden Feudalismus und
des mittelalterlichen Concordats werden. Zu dem Ende würde er den besei¬
tigten Reichsrath neu ins Leben zu rufen und sich mit ihm darüber zu einigen
haben, wie die Landtage, dieser Krebsschaden Oestreichs, auszulassen oder zu be¬
schränken sind, dann würde er die Sorge für den Unterricht denHänden der Bischöfe
und Klöster zu entziehen und in kundigere zu legen streben; endlich würde er ver¬
suchen müssen, diejenigen zur Garantie der Staatsschuld heranzuziehen, die sie
unmittelbar oder mittelbar herbeigeführt. Ob er es können, wollen, dürfen
wird, ist eine andere Frage.

Unterdeß hat der niederöstreichische Landtag der aufgeregten Stimmung
kräftigen Ausdruck gegeben, und seine Sprache findet überall in der Brust der
Deutschen lauten Widerhall. Aber alle feurigen Reden, alle Unzufriedenheit,
aller Patriotismus, ja alles Talent hilft uns wenig. Wenn uns überhaupt zu
helfen ist, so sind noch viele schwere Erfahrungen nöthig, die einen völligen
Wechsel der Ansichten in den höchsten Kreisen herbeiführen müssen. Und er¬
schrocken fragen wir, wenn der bittere Trank, der uns auf den böhmischen
Schlachtfeldern geschenkt winde, nicht geholfen hat, von welcher Art soll die
Arzenei sein, welche dem Staate Rettung bringt?

Unser Leiden aber ist zuerst, daß man an der höchsten Stelle gar keine
Ahnung von der Schwere unsres Siechthums hat. Immer noch meint man
durch einen plötzlichen Einfall, eine unerwartete Wendung, einen Wechsel der
Personen, durch Uebeiraschungen und Cabinctkunststücke aus der Noth des Augen¬
blicks herauszufliegen. Beachten Sie die lange Geschichte unsrer überraschen¬
den Schlauheiten seit 1848 und Sie haben den Schlüssel zu unsrer Regie¬
rungskunst.

Das zweite Leiden Oestreichs, welches beseitigt werden muß. ist die lange
Reihe unsrer vornehmen Beamten aus denen Minister und Rathgeber gewählt
werden, zu denen ich selbst Herrn v. Beust zu rechnen wage, obgleich er ein
einfacher Edelmann ist und dem Stolz unsrer Familien für nichts Besseres als
ein Parvenu gilt. In dem ganzen Kreise dieser Herren ist nicht ein poli¬
tisches Talent, welches das Feuer, den Charakter und die sittliche Größe eines
Reformators hat. Auch die Geschenken und Guten sind weichlich, schlaff, von
dem Wurm der Selbstsucht angefressen. -- Begeisterter Patriotismus und kühne
Rücksichtslosigkeit eines Reformers in unsrer Hofburg! -- Das ist eine An-
nahme, die jedem, der unsre Verhältnisse kennt, unmöglich erscheint. Bei uns


gelockert wird. Oder soll sie vielleicht der Schutz ihrer materiellen und geistigen
Interessen, jener der Freiheit und Wissenschaft, an die Nachkommen Arpads
fesseln? Wenn Herrn v. Beust überhaupt daran läge, dem alternden Kaiserstaate
neues Leben einzuhauchen, würde er sich trennen müssen von der Gemeinschaft
mit dem Grafen Belcredi, eine der jetzigen schnurstracks entgegengesetzte Bahn
einschlagen. Antipode des starren Absolutismus, des blinden Feudalismus und
des mittelalterlichen Concordats werden. Zu dem Ende würde er den besei¬
tigten Reichsrath neu ins Leben zu rufen und sich mit ihm darüber zu einigen
haben, wie die Landtage, dieser Krebsschaden Oestreichs, auszulassen oder zu be¬
schränken sind, dann würde er die Sorge für den Unterricht denHänden der Bischöfe
und Klöster zu entziehen und in kundigere zu legen streben; endlich würde er ver¬
suchen müssen, diejenigen zur Garantie der Staatsschuld heranzuziehen, die sie
unmittelbar oder mittelbar herbeigeführt. Ob er es können, wollen, dürfen
wird, ist eine andere Frage.

Unterdeß hat der niederöstreichische Landtag der aufgeregten Stimmung
kräftigen Ausdruck gegeben, und seine Sprache findet überall in der Brust der
Deutschen lauten Widerhall. Aber alle feurigen Reden, alle Unzufriedenheit,
aller Patriotismus, ja alles Talent hilft uns wenig. Wenn uns überhaupt zu
helfen ist, so sind noch viele schwere Erfahrungen nöthig, die einen völligen
Wechsel der Ansichten in den höchsten Kreisen herbeiführen müssen. Und er¬
schrocken fragen wir, wenn der bittere Trank, der uns auf den böhmischen
Schlachtfeldern geschenkt winde, nicht geholfen hat, von welcher Art soll die
Arzenei sein, welche dem Staate Rettung bringt?

Unser Leiden aber ist zuerst, daß man an der höchsten Stelle gar keine
Ahnung von der Schwere unsres Siechthums hat. Immer noch meint man
durch einen plötzlichen Einfall, eine unerwartete Wendung, einen Wechsel der
Personen, durch Uebeiraschungen und Cabinctkunststücke aus der Noth des Augen¬
blicks herauszufliegen. Beachten Sie die lange Geschichte unsrer überraschen¬
den Schlauheiten seit 1848 und Sie haben den Schlüssel zu unsrer Regie¬
rungskunst.

Das zweite Leiden Oestreichs, welches beseitigt werden muß. ist die lange
Reihe unsrer vornehmen Beamten aus denen Minister und Rathgeber gewählt
werden, zu denen ich selbst Herrn v. Beust zu rechnen wage, obgleich er ein
einfacher Edelmann ist und dem Stolz unsrer Familien für nichts Besseres als
ein Parvenu gilt. In dem ganzen Kreise dieser Herren ist nicht ein poli¬
tisches Talent, welches das Feuer, den Charakter und die sittliche Größe eines
Reformators hat. Auch die Geschenken und Guten sind weichlich, schlaff, von
dem Wurm der Selbstsucht angefressen. — Begeisterter Patriotismus und kühne
Rücksichtslosigkeit eines Reformers in unsrer Hofburg! — Das ist eine An-
nahme, die jedem, der unsre Verhältnisse kennt, unmöglich erscheint. Bei uns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/435>, abgerufen am 04.07.2024.