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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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verwilligung zu erwirken. Sie wählte also ein nicht verfassungsmäßiges Mittel,
einen gelinden Staatsstreich, einen sinke: Arbeitseinstellung. Sie verbot ihren
Vertretern in der Sitzung zu erscheinen. Dieselbe konnte also nicht stattfinden;
-- und ein 14. Juni stimmte die Regierung, welche die An. und Absichten der
Stände sehr wohl kannte, in Frankfurt für das directe Gegentheil von alle
dem, was die Volksvertretung wollte. Gleichwohl glauben verschiedene Würten-
berger immer noch bis zur heutigen Stunde, gewisse südwestdeutsche Kleinstaaten
seien der gerechte und vollkommene Hort des einzig wahren Constitutionalismus
in Europa. Wenigstens sagen sie so.

Die Negierung frohlockte am 14. Juni. Sie hatte eine vollendete That¬
sache, Ihre voreilige Mobilmachung vom 14. Mai hatte nunmehr am 14. Juni
die höhere Weihe, die nachträgliche Genehmigung des Bundestags erhalten.
Nun konnte man von "Bundesrecht" und "Bundestreue" sprechen und den
Vorwurf des östreichischen Vcisallenthums durch Berufung auf den Beschluß des
"einzigen legalen Organs der gesammten deutschen Nation" gewichtig entkräften.
Auch gab man sich in Bibrich der tröstlichen Hoffnung hin, in Preußen werde
wieder, wie 1850 und 1861, "der Starke muthig einen Schritt zurückweichen".
Noch sicherer zählte man auf eine Creditverwilligung der Stände; "gegen den
Bund rebelliren würden sie doch nicht, sonst werde man garstig mit ihnen um¬
springen."

Allein Man hatte sich in jeder Beziehung getäuscht. Preußen wich nicht
zurück; es ging vor, und zwar mit der ominösen "affenartigen Geschwindigkeit".
Auch die liberalen Stände wichen nicht zurück. Am 27. Juni verweigerten sie
der Regierung alle und jede Mittel zum Krieg. Die Negierung hatte zwar schon
ihre geheime halbe Million. Aber sie wollte mehr. An dem Tage, wo die
östreichischen Und frankfurter Zeitungen die falschen Nachrichten über die Siege
Bcnedets nach Wiesbaden trugen, glaubte sie ihre Zeit gekommen. An diesem
Tage, am 30. Juni, erschien der Chef des Kriegsdepartements, das Schwert an
seiner Linken, in der Ständeversammlung und las mit einer Stimme, die an
das "alles iras" und die Posaune des jüngsten Gerichts mahnte, eine neue
Creditansorderung von höherem Betrag vor, welche sich darauf berief, diese
Regierung, (welche doch die halbe Million heimlich in der Tasche hatte) sei ohne
die geringsten Mittel, sie befinde sich in dem äußersten Nothstand, sie müßte,
wenn die Stände wieder nichts verwilligten, niittelst kriegsrechtlicher Execution
nichtverwilligte Steuern heben, um nicht die braven Soldaten darben zu
lassen" u. s. w.

Am 6. Juli schlugen die immer noch unbeugsamen Stände zum zweiten
Male der Negierung jeden Credit ab. Sie hatten inzwischen, dank dem Scharf¬
sinn ihres Berichterstatters, des Abgeordneten Scholz, den Sachverhalt bezüglich
des geheimen Kriegsanlehens ausgemittelt. Vormittags erfolgte die Abstimmung,


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verwilligung zu erwirken. Sie wählte also ein nicht verfassungsmäßiges Mittel,
einen gelinden Staatsstreich, einen sinke: Arbeitseinstellung. Sie verbot ihren
Vertretern in der Sitzung zu erscheinen. Dieselbe konnte also nicht stattfinden;
— und ein 14. Juni stimmte die Regierung, welche die An. und Absichten der
Stände sehr wohl kannte, in Frankfurt für das directe Gegentheil von alle
dem, was die Volksvertretung wollte. Gleichwohl glauben verschiedene Würten-
berger immer noch bis zur heutigen Stunde, gewisse südwestdeutsche Kleinstaaten
seien der gerechte und vollkommene Hort des einzig wahren Constitutionalismus
in Europa. Wenigstens sagen sie so.

Die Negierung frohlockte am 14. Juni. Sie hatte eine vollendete That¬
sache, Ihre voreilige Mobilmachung vom 14. Mai hatte nunmehr am 14. Juni
die höhere Weihe, die nachträgliche Genehmigung des Bundestags erhalten.
Nun konnte man von „Bundesrecht" und „Bundestreue" sprechen und den
Vorwurf des östreichischen Vcisallenthums durch Berufung auf den Beschluß des
„einzigen legalen Organs der gesammten deutschen Nation" gewichtig entkräften.
Auch gab man sich in Bibrich der tröstlichen Hoffnung hin, in Preußen werde
wieder, wie 1850 und 1861, „der Starke muthig einen Schritt zurückweichen".
Noch sicherer zählte man auf eine Creditverwilligung der Stände; „gegen den
Bund rebelliren würden sie doch nicht, sonst werde man garstig mit ihnen um¬
springen."

Allein Man hatte sich in jeder Beziehung getäuscht. Preußen wich nicht
zurück; es ging vor, und zwar mit der ominösen „affenartigen Geschwindigkeit".
Auch die liberalen Stände wichen nicht zurück. Am 27. Juni verweigerten sie
der Regierung alle und jede Mittel zum Krieg. Die Negierung hatte zwar schon
ihre geheime halbe Million. Aber sie wollte mehr. An dem Tage, wo die
östreichischen Und frankfurter Zeitungen die falschen Nachrichten über die Siege
Bcnedets nach Wiesbaden trugen, glaubte sie ihre Zeit gekommen. An diesem
Tage, am 30. Juni, erschien der Chef des Kriegsdepartements, das Schwert an
seiner Linken, in der Ständeversammlung und las mit einer Stimme, die an
das „alles iras" und die Posaune des jüngsten Gerichts mahnte, eine neue
Creditansorderung von höherem Betrag vor, welche sich darauf berief, diese
Regierung, (welche doch die halbe Million heimlich in der Tasche hatte) sei ohne
die geringsten Mittel, sie befinde sich in dem äußersten Nothstand, sie müßte,
wenn die Stände wieder nichts verwilligten, niittelst kriegsrechtlicher Execution
nichtverwilligte Steuern heben, um nicht die braven Soldaten darben zu
lassen" u. s. w.

Am 6. Juli schlugen die immer noch unbeugsamen Stände zum zweiten
Male der Negierung jeden Credit ab. Sie hatten inzwischen, dank dem Scharf¬
sinn ihres Berichterstatters, des Abgeordneten Scholz, den Sachverhalt bezüglich
des geheimen Kriegsanlehens ausgemittelt. Vormittags erfolgte die Abstimmung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/407>, abgerufen am 04.07.2024.