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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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in das Gerücht zu kleiden, die französische Occupation werde über den Termin
hinaus verlängert. Die Franzosen werden am bestimmten Tag abgezogen sein-
und es knüpft sich hieran die weitere stillschweigende Verpflichtung, nicht zu ver¬
statten, daß eine andere Macht ihre Einmischung an die Stelle der französischen
setze. Selbstverständlich giebt Louis Napoleon die Stellung in Rom nicht auf,
um sie einer andern Fremdmacht abzutreten. Schwieriger ist es für die italie¬
nische Regierung, ihren Verbindlichkeiten gerecht zu werden. Von ihr selbst hat
das Papstthum freilich nichts zu befürchten. Aber ernster ist schon ihre Ver-
antwortung. wenn es gilt, eine Expedition, die unter der Firma Garibaldi oder
Mazzini versucht würde, nöthigenfalls gewaltsam zu verhindern. Allein ihre
moralische Verpflichtung reicht noch weiter. Man weiß, daß sie über das so-
genante römische Comite verfügt. Es liegt im Geist des Vertrags, daß sie auch
auf die Römer ihren mäßigenden Einfluß bewähre. Jede vorzeitige Erhebung,
jeder tumultuarische Versuch würde sie selbst compromittiren. Die Erbschaft
wird ihr um so sicherer zufallen, je größere Autorität sie jetzt schon auf die
Römer ausübt. Der Apfel darf nicht muthwillig geschüttelt werden, er muß
ihr als reife Frucht von selbst in den Schoß fallen.

Und eben in diesem Sinn ist es ihr Interesse, daß der Versuch, das
Papstthum so lange es eben geht auf seinen eigenen Füßen stehen zu lassen,
ehrlich angestellt werde. In allen großen Krisen haben die Italiener einen so
gesunden politischen Tact bewiesen, daß man annehmen darf, sie werden auch
bei dieser Probe die Absicht der Regierung verstehen und unterstützen. Diese
Absicht ist keine andere, als die, die weltliche Herrschaft Roms an sich selbst zu
Grunde gehen zu lassen. Eine gewaltsame Katastrophe würde die oben ange¬
deuteten Gefahren in sich schließen. Je langsamer aber der Fall geschieht,
um so sicherer wird er sein. Vollzieht sich die Annäherung der Römer an
Italien schrittweise, in Uebergängen, so wird die Vereinigung um so dauern¬
der sein. Sobald nur erst die fremde Stütze fehlt, kann Italien warten, bis
dem römischen Staat von selbst die Kraft zu leben ausgeht, und stirbt er am
Nachlaß der Natur, so wird zugleich die Wirkung aus die geistliche Gewalt um
so nachdrücklicher sein. Die Welt wird so allerdings um ein effectvolles Schau¬
spiel betrogen sein, aber auch dem Papstthum ist nicht vergönnt, in einem
großen seiner Vergangenheit würdigen Acte aus der Geschichte zu scheiden:
stückweise muß es zerbröckeln -- dies ist das nicht minder anziehende
"W. 1^. Schauspiel, dem unsere Generation beiwohnen wird.




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in das Gerücht zu kleiden, die französische Occupation werde über den Termin
hinaus verlängert. Die Franzosen werden am bestimmten Tag abgezogen sein-
und es knüpft sich hieran die weitere stillschweigende Verpflichtung, nicht zu ver¬
statten, daß eine andere Macht ihre Einmischung an die Stelle der französischen
setze. Selbstverständlich giebt Louis Napoleon die Stellung in Rom nicht auf,
um sie einer andern Fremdmacht abzutreten. Schwieriger ist es für die italie¬
nische Regierung, ihren Verbindlichkeiten gerecht zu werden. Von ihr selbst hat
das Papstthum freilich nichts zu befürchten. Aber ernster ist schon ihre Ver-
antwortung. wenn es gilt, eine Expedition, die unter der Firma Garibaldi oder
Mazzini versucht würde, nöthigenfalls gewaltsam zu verhindern. Allein ihre
moralische Verpflichtung reicht noch weiter. Man weiß, daß sie über das so-
genante römische Comite verfügt. Es liegt im Geist des Vertrags, daß sie auch
auf die Römer ihren mäßigenden Einfluß bewähre. Jede vorzeitige Erhebung,
jeder tumultuarische Versuch würde sie selbst compromittiren. Die Erbschaft
wird ihr um so sicherer zufallen, je größere Autorität sie jetzt schon auf die
Römer ausübt. Der Apfel darf nicht muthwillig geschüttelt werden, er muß
ihr als reife Frucht von selbst in den Schoß fallen.

Und eben in diesem Sinn ist es ihr Interesse, daß der Versuch, das
Papstthum so lange es eben geht auf seinen eigenen Füßen stehen zu lassen,
ehrlich angestellt werde. In allen großen Krisen haben die Italiener einen so
gesunden politischen Tact bewiesen, daß man annehmen darf, sie werden auch
bei dieser Probe die Absicht der Regierung verstehen und unterstützen. Diese
Absicht ist keine andere, als die, die weltliche Herrschaft Roms an sich selbst zu
Grunde gehen zu lassen. Eine gewaltsame Katastrophe würde die oben ange¬
deuteten Gefahren in sich schließen. Je langsamer aber der Fall geschieht,
um so sicherer wird er sein. Vollzieht sich die Annäherung der Römer an
Italien schrittweise, in Uebergängen, so wird die Vereinigung um so dauern¬
der sein. Sobald nur erst die fremde Stütze fehlt, kann Italien warten, bis
dem römischen Staat von selbst die Kraft zu leben ausgeht, und stirbt er am
Nachlaß der Natur, so wird zugleich die Wirkung aus die geistliche Gewalt um
so nachdrücklicher sein. Die Welt wird so allerdings um ein effectvolles Schau¬
spiel betrogen sein, aber auch dem Papstthum ist nicht vergönnt, in einem
großen seiner Vergangenheit würdigen Acte aus der Geschichte zu scheiden:
stückweise muß es zerbröckeln — dies ist das nicht minder anziehende
"W. 1^. Schauspiel, dem unsere Generation beiwohnen wird.




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[0397] in das Gerücht zu kleiden, die französische Occupation werde über den Termin hinaus verlängert. Die Franzosen werden am bestimmten Tag abgezogen sein- und es knüpft sich hieran die weitere stillschweigende Verpflichtung, nicht zu ver¬ statten, daß eine andere Macht ihre Einmischung an die Stelle der französischen setze. Selbstverständlich giebt Louis Napoleon die Stellung in Rom nicht auf, um sie einer andern Fremdmacht abzutreten. Schwieriger ist es für die italie¬ nische Regierung, ihren Verbindlichkeiten gerecht zu werden. Von ihr selbst hat das Papstthum freilich nichts zu befürchten. Aber ernster ist schon ihre Ver- antwortung. wenn es gilt, eine Expedition, die unter der Firma Garibaldi oder Mazzini versucht würde, nöthigenfalls gewaltsam zu verhindern. Allein ihre moralische Verpflichtung reicht noch weiter. Man weiß, daß sie über das so- genante römische Comite verfügt. Es liegt im Geist des Vertrags, daß sie auch auf die Römer ihren mäßigenden Einfluß bewähre. Jede vorzeitige Erhebung, jeder tumultuarische Versuch würde sie selbst compromittiren. Die Erbschaft wird ihr um so sicherer zufallen, je größere Autorität sie jetzt schon auf die Römer ausübt. Der Apfel darf nicht muthwillig geschüttelt werden, er muß ihr als reife Frucht von selbst in den Schoß fallen. Und eben in diesem Sinn ist es ihr Interesse, daß der Versuch, das Papstthum so lange es eben geht auf seinen eigenen Füßen stehen zu lassen, ehrlich angestellt werde. In allen großen Krisen haben die Italiener einen so gesunden politischen Tact bewiesen, daß man annehmen darf, sie werden auch bei dieser Probe die Absicht der Regierung verstehen und unterstützen. Diese Absicht ist keine andere, als die, die weltliche Herrschaft Roms an sich selbst zu Grunde gehen zu lassen. Eine gewaltsame Katastrophe würde die oben ange¬ deuteten Gefahren in sich schließen. Je langsamer aber der Fall geschieht, um so sicherer wird er sein. Vollzieht sich die Annäherung der Römer an Italien schrittweise, in Uebergängen, so wird die Vereinigung um so dauern¬ der sein. Sobald nur erst die fremde Stütze fehlt, kann Italien warten, bis dem römischen Staat von selbst die Kraft zu leben ausgeht, und stirbt er am Nachlaß der Natur, so wird zugleich die Wirkung aus die geistliche Gewalt um so nachdrücklicher sein. Die Welt wird so allerdings um ein effectvolles Schau¬ spiel betrogen sein, aber auch dem Papstthum ist nicht vergönnt, in einem großen seiner Vergangenheit würdigen Acte aus der Geschichte zu scheiden: stückweise muß es zerbröckeln — dies ist das nicht minder anziehende "W. 1^. Schauspiel, dem unsere Generation beiwohnen wird. Grenzboten IV. 1«K6.47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/397>, abgerufen am 04.07.2024.