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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Der Kaiser von Frankreich verpflichtete sich -- und dies war freilich die
erste Bedingung, um einen Schritt weiter zu kommen -- in einem bestimmten
Termin seine Truppen aus Rom zurückzuziehen; er befreite sich damit aus einer
Position, die auf die Länge ebenso undenkbar als lästig geworden war, er kam
damit einem Wunsch der französischen Nation nach, welche in der gewaltsamen
Niederhaltung des Willens der Römer ebenso wenig ein französisches Interesse
sah wie in der mexikanischen Expedition. Aber Frankreich verlangte, um den
Rückzug mit Anstand zu decken, gewisse Garantien von der italienischen Negie¬
rung, die gleichsam an Frankreichs Stelle künftig den Schutz des Papstthums
übernehmen sollte. Diese Garantien bestanden einmal in der Verlegung der
Hauptstadt Italiens von Turin nach Florenz: damit wurde dem Königreich ein
wirklicher und definitiver Mittelpunkt gegeben, die Geister wurden von Rom
abgelenkt, das cavourische "Roma Capitale" aus dem italienischen Programm ge¬
strichen. Außerdem machte sich die italienische Regierung verbindlich, nicht nur
das gegenwärtige Gebiet des Papstes selbst nicht anzugreifen, sondern auch
einen Einfall, der aus italienischem Gebiet in dasselbe gemacht würde, zu ver¬
hindern. Die weltliche Herrschaft wurde also von Italien soweit garantirt, daß
sie von außen nichts zu befürchten hatte. Der Papst sollte allein seinen Unter¬
thanen gegenüberstehn, niemand sich zwischen ihn und die Römer eindrängen, es
wurde seiner Souveränetät der Versuch angesonnen, sich mit eigenen Mitteln
aufrecht zu erhalten. Gelang nun der Versuch, gut; gelang er nicht -- darüber
stand nichts in dem Vertrag zu lesen, und dies war seine beim ersten Blick
erkennbare Zweideutigkeit, um so auffallender, als die zweite Eventualität weitaus
die wahrscheinlichere war.

Der Fall, daß die Römer aus freien Stücken ihren weltlichen Herrn ab¬
schütteln und die Annexion, die sie mit Unterschriften schon im Jahr 1860 voll¬
zogen, verständlicher wiederholen würden, ist also absichtlich nicht vorgesehen
worden. Gleichwohl war es sicher nicht die Meinung des Vertrags, daß die
Dinge sich so einfach und glatt abspielen werden, wie man vielfach in- und
außerhalb Italiens angenommen hat. Die Römer, hieß es, würden sofort nach
dem Abzug der fremden Truppen friedlich sich erheben, eine allgemeine Kund¬
gebung veranstalten, ihren Willen, dem Königreich einverleibt zu werden, pro-
clamiren. Niemand sei im Stande diesen Willen zu unterdrücken; das Papst¬
thum wäre zu schwach dazu, den anderen Mächten verbiete es das neue Völker¬
recht. Der italienischen Negierung bleibe dann nichts übrig, als die Annexion
anzunehmen, und der Papst habe sich in die Zeit zu schicken, sei es, daß er die
neue Ordnung anerkenne und sich damit begnüge seine geistliche Stellung zu
retten, sei es daß er seine Protestationen um eine weitere vermehre. --> Diese
Lösung erscheint einfach, sie ist nur gar zu einfach. So gedeutet und ange¬
wendet wäre der Vertrag allerdings nur eine Komödie, ein Protokoll der


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Der Kaiser von Frankreich verpflichtete sich — und dies war freilich die
erste Bedingung, um einen Schritt weiter zu kommen — in einem bestimmten
Termin seine Truppen aus Rom zurückzuziehen; er befreite sich damit aus einer
Position, die auf die Länge ebenso undenkbar als lästig geworden war, er kam
damit einem Wunsch der französischen Nation nach, welche in der gewaltsamen
Niederhaltung des Willens der Römer ebenso wenig ein französisches Interesse
sah wie in der mexikanischen Expedition. Aber Frankreich verlangte, um den
Rückzug mit Anstand zu decken, gewisse Garantien von der italienischen Negie¬
rung, die gleichsam an Frankreichs Stelle künftig den Schutz des Papstthums
übernehmen sollte. Diese Garantien bestanden einmal in der Verlegung der
Hauptstadt Italiens von Turin nach Florenz: damit wurde dem Königreich ein
wirklicher und definitiver Mittelpunkt gegeben, die Geister wurden von Rom
abgelenkt, das cavourische „Roma Capitale" aus dem italienischen Programm ge¬
strichen. Außerdem machte sich die italienische Regierung verbindlich, nicht nur
das gegenwärtige Gebiet des Papstes selbst nicht anzugreifen, sondern auch
einen Einfall, der aus italienischem Gebiet in dasselbe gemacht würde, zu ver¬
hindern. Die weltliche Herrschaft wurde also von Italien soweit garantirt, daß
sie von außen nichts zu befürchten hatte. Der Papst sollte allein seinen Unter¬
thanen gegenüberstehn, niemand sich zwischen ihn und die Römer eindrängen, es
wurde seiner Souveränetät der Versuch angesonnen, sich mit eigenen Mitteln
aufrecht zu erhalten. Gelang nun der Versuch, gut; gelang er nicht — darüber
stand nichts in dem Vertrag zu lesen, und dies war seine beim ersten Blick
erkennbare Zweideutigkeit, um so auffallender, als die zweite Eventualität weitaus
die wahrscheinlichere war.

Der Fall, daß die Römer aus freien Stücken ihren weltlichen Herrn ab¬
schütteln und die Annexion, die sie mit Unterschriften schon im Jahr 1860 voll¬
zogen, verständlicher wiederholen würden, ist also absichtlich nicht vorgesehen
worden. Gleichwohl war es sicher nicht die Meinung des Vertrags, daß die
Dinge sich so einfach und glatt abspielen werden, wie man vielfach in- und
außerhalb Italiens angenommen hat. Die Römer, hieß es, würden sofort nach
dem Abzug der fremden Truppen friedlich sich erheben, eine allgemeine Kund¬
gebung veranstalten, ihren Willen, dem Königreich einverleibt zu werden, pro-
clamiren. Niemand sei im Stande diesen Willen zu unterdrücken; das Papst¬
thum wäre zu schwach dazu, den anderen Mächten verbiete es das neue Völker¬
recht. Der italienischen Negierung bleibe dann nichts übrig, als die Annexion
anzunehmen, und der Papst habe sich in die Zeit zu schicken, sei es, daß er die
neue Ordnung anerkenne und sich damit begnüge seine geistliche Stellung zu
retten, sei es daß er seine Protestationen um eine weitere vermehre. —> Diese
Lösung erscheint einfach, sie ist nur gar zu einfach. So gedeutet und ange¬
wendet wäre der Vertrag allerdings nur eine Komödie, ein Protokoll der


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[0391] Der Kaiser von Frankreich verpflichtete sich — und dies war freilich die erste Bedingung, um einen Schritt weiter zu kommen — in einem bestimmten Termin seine Truppen aus Rom zurückzuziehen; er befreite sich damit aus einer Position, die auf die Länge ebenso undenkbar als lästig geworden war, er kam damit einem Wunsch der französischen Nation nach, welche in der gewaltsamen Niederhaltung des Willens der Römer ebenso wenig ein französisches Interesse sah wie in der mexikanischen Expedition. Aber Frankreich verlangte, um den Rückzug mit Anstand zu decken, gewisse Garantien von der italienischen Negie¬ rung, die gleichsam an Frankreichs Stelle künftig den Schutz des Papstthums übernehmen sollte. Diese Garantien bestanden einmal in der Verlegung der Hauptstadt Italiens von Turin nach Florenz: damit wurde dem Königreich ein wirklicher und definitiver Mittelpunkt gegeben, die Geister wurden von Rom abgelenkt, das cavourische „Roma Capitale" aus dem italienischen Programm ge¬ strichen. Außerdem machte sich die italienische Regierung verbindlich, nicht nur das gegenwärtige Gebiet des Papstes selbst nicht anzugreifen, sondern auch einen Einfall, der aus italienischem Gebiet in dasselbe gemacht würde, zu ver¬ hindern. Die weltliche Herrschaft wurde also von Italien soweit garantirt, daß sie von außen nichts zu befürchten hatte. Der Papst sollte allein seinen Unter¬ thanen gegenüberstehn, niemand sich zwischen ihn und die Römer eindrängen, es wurde seiner Souveränetät der Versuch angesonnen, sich mit eigenen Mitteln aufrecht zu erhalten. Gelang nun der Versuch, gut; gelang er nicht — darüber stand nichts in dem Vertrag zu lesen, und dies war seine beim ersten Blick erkennbare Zweideutigkeit, um so auffallender, als die zweite Eventualität weitaus die wahrscheinlichere war. Der Fall, daß die Römer aus freien Stücken ihren weltlichen Herrn ab¬ schütteln und die Annexion, die sie mit Unterschriften schon im Jahr 1860 voll¬ zogen, verständlicher wiederholen würden, ist also absichtlich nicht vorgesehen worden. Gleichwohl war es sicher nicht die Meinung des Vertrags, daß die Dinge sich so einfach und glatt abspielen werden, wie man vielfach in- und außerhalb Italiens angenommen hat. Die Römer, hieß es, würden sofort nach dem Abzug der fremden Truppen friedlich sich erheben, eine allgemeine Kund¬ gebung veranstalten, ihren Willen, dem Königreich einverleibt zu werden, pro- clamiren. Niemand sei im Stande diesen Willen zu unterdrücken; das Papst¬ thum wäre zu schwach dazu, den anderen Mächten verbiete es das neue Völker¬ recht. Der italienischen Negierung bleibe dann nichts übrig, als die Annexion anzunehmen, und der Papst habe sich in die Zeit zu schicken, sei es, daß er die neue Ordnung anerkenne und sich damit begnüge seine geistliche Stellung zu retten, sei es daß er seine Protestationen um eine weitere vermehre. —> Diese Lösung erscheint einfach, sie ist nur gar zu einfach. So gedeutet und ange¬ wendet wäre der Vertrag allerdings nur eine Komödie, ein Protokoll der 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/391>, abgerufen am 04.07.2024.