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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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dienerschaft machte gar kein Hehl daraus, daß im Falle des als ausgemachte
Sache betrachteten Sieges Nassau sich auf dem rechten Rheinufer abwärts bis
nach Deutz ausdehnen werde, während das linke Rheinufer mit Einschluß von
Köln dem Großherzog von Hessen-Darmstadt bestimmt sei. Die Soldaten --
von Natur gutes Material, aber mangelhaft in Schule und Zucht -- hatte
man in einen eigenthümlichen Fanatismus zu versetzen gewußt. Ihr Hauptzorn
war nicht gegen die Preußen, sondern gegen den "Fortschritt" gerichtet, zu dem
unglücklicherweise ziemlich die ganze intelligente und besitzende Classe zählt.
Zu dieser gehörten nun grade die weiland nassauischen Soldaten nicht. Denn
das System der Stellvertretung herrschte im ausgedehntesten Maße. Für ein
paar hundert Gulden konnte man sich freilaufen, und jedermann, der so viel
aufzubringen wußte, machte Gebrauch davon. Dazu kam, daß eine Rcgierungs-
ordonnanz den Soldaten während ihrer ganzen sechs- bis siebenjährigen Dienst¬
zeit das Recht der Heirath und der bürgerlichen, bäuerlichen oder gewerblichen
Niederlassung absprach, wodurch dieselben zu einer Art von Paria erniedrigt
wurden, die sich gegenüber ihren besser situirter Mitbürgern leicht in einen
gewissen Grad von Haß und Wuth hineinsetzen ließ. Die Offiziere haben, mit
rühmlichen Ausnahmen, die Anschauung der Soldaten nicht nur getheilt, sondern
noch gepflegt. LxsmM sunt ocliosa.

Die aus den Staats- und aus den Gemeindekassen bezahlten Waldwirth¬
schafts- und Waldschutzbeamten behandelte der Herzog Adolph wie seine Be¬
dienten. Er nannte sie "Höchstmeine Jägerei". Seine Offiziere dagegen behan¬
delte er wie Mitglieder seiner Familie. Auf sie und seine Hofdiener concen-
trirte er die ganze Wärme seines Herzens, die er dem Lande und seinen
Unterthanen leider schon lange entzogen hatte. Man sah so recht, wie der von
Natur gut angelegte, aber übel berathene Charakter das Bedürfniß fühlte, zu
lieben und geliebt zu werden. Da man aber ihn seinem Lande und sein Land
ihm entfremdet hatte, so mußte er die Befriedigung seines Wohlwollens an
einem dritten Orte suchen. Und das that er.

Ohne Unterlaß sann Herzog Adolph auf Verbesserungen in der Equipirung
seiner Offiziere. Die Uniformen wechselten fortwährend. Der Helm verdrängte
den Czako, das nassauische Käppi verdrängte den preußischen Helm und das
östreichische Käppi verdrängte das nassauische Käppi. Des Herzogs eigenste
Schöpfung war seine Garde: ein Bataillon Jäger, Friedensstärke etwa drei¬
hundert Mann, für welche er in seiner Sommerresidenz Bibrich, innerhalb des
Schußbereichs der Festung Mainz, eine prachtvolle und kolossale Kaserne erbaute.
Die Kosten dieser Jägerkascrne verschlangen ein Viertel sämmtlicher directer
Steuern eines Jahres. Der Herzog erfand für die Jäger eine originelle Uni¬
form, ebenso unzweckmäßig im Kriege als kleidsam im Frieden. Seine Offiziere
der Leibtruppe gefielen ihm so gut, daß ein jeglicher derselben von vorn und


dienerschaft machte gar kein Hehl daraus, daß im Falle des als ausgemachte
Sache betrachteten Sieges Nassau sich auf dem rechten Rheinufer abwärts bis
nach Deutz ausdehnen werde, während das linke Rheinufer mit Einschluß von
Köln dem Großherzog von Hessen-Darmstadt bestimmt sei. Die Soldaten —
von Natur gutes Material, aber mangelhaft in Schule und Zucht — hatte
man in einen eigenthümlichen Fanatismus zu versetzen gewußt. Ihr Hauptzorn
war nicht gegen die Preußen, sondern gegen den „Fortschritt" gerichtet, zu dem
unglücklicherweise ziemlich die ganze intelligente und besitzende Classe zählt.
Zu dieser gehörten nun grade die weiland nassauischen Soldaten nicht. Denn
das System der Stellvertretung herrschte im ausgedehntesten Maße. Für ein
paar hundert Gulden konnte man sich freilaufen, und jedermann, der so viel
aufzubringen wußte, machte Gebrauch davon. Dazu kam, daß eine Rcgierungs-
ordonnanz den Soldaten während ihrer ganzen sechs- bis siebenjährigen Dienst¬
zeit das Recht der Heirath und der bürgerlichen, bäuerlichen oder gewerblichen
Niederlassung absprach, wodurch dieselben zu einer Art von Paria erniedrigt
wurden, die sich gegenüber ihren besser situirter Mitbürgern leicht in einen
gewissen Grad von Haß und Wuth hineinsetzen ließ. Die Offiziere haben, mit
rühmlichen Ausnahmen, die Anschauung der Soldaten nicht nur getheilt, sondern
noch gepflegt. LxsmM sunt ocliosa.

Die aus den Staats- und aus den Gemeindekassen bezahlten Waldwirth¬
schafts- und Waldschutzbeamten behandelte der Herzog Adolph wie seine Be¬
dienten. Er nannte sie „Höchstmeine Jägerei". Seine Offiziere dagegen behan¬
delte er wie Mitglieder seiner Familie. Auf sie und seine Hofdiener concen-
trirte er die ganze Wärme seines Herzens, die er dem Lande und seinen
Unterthanen leider schon lange entzogen hatte. Man sah so recht, wie der von
Natur gut angelegte, aber übel berathene Charakter das Bedürfniß fühlte, zu
lieben und geliebt zu werden. Da man aber ihn seinem Lande und sein Land
ihm entfremdet hatte, so mußte er die Befriedigung seines Wohlwollens an
einem dritten Orte suchen. Und das that er.

Ohne Unterlaß sann Herzog Adolph auf Verbesserungen in der Equipirung
seiner Offiziere. Die Uniformen wechselten fortwährend. Der Helm verdrängte
den Czako, das nassauische Käppi verdrängte den preußischen Helm und das
östreichische Käppi verdrängte das nassauische Käppi. Des Herzogs eigenste
Schöpfung war seine Garde: ein Bataillon Jäger, Friedensstärke etwa drei¬
hundert Mann, für welche er in seiner Sommerresidenz Bibrich, innerhalb des
Schußbereichs der Festung Mainz, eine prachtvolle und kolossale Kaserne erbaute.
Die Kosten dieser Jägerkascrne verschlangen ein Viertel sämmtlicher directer
Steuern eines Jahres. Der Herzog erfand für die Jäger eine originelle Uni¬
form, ebenso unzweckmäßig im Kriege als kleidsam im Frieden. Seine Offiziere
der Leibtruppe gefielen ihm so gut, daß ein jeglicher derselben von vorn und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/356>, abgerufen am 04.07.2024.