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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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schnittsaristokrcitie im Kleinfürstendienst. Er war ein alter Cavalier aus der
Zeit von 1789, im guten wie im bösen Sinne des Wortes. Was ihm an
Geschäftskenntniß fehlte, das wußte er durch kluges Ausweichen, angenehme
Gesellschaftsformen, geistreiche Worte, oder auch durch Frivolität zu ersetzen.
Man erzählt von ihm einen "Reichswitz" und einen "Hcrzoglhumswitz", welche
beide, wenn sie nicht buchstäblich wahr wären (was sie sind), den Anspruch
hätten, für gute Erfindungen zu gelten, so charakteristisch sind sie für ihren
Mann.

Hier der Reichswitz: In den letzten Tagen des frankfurter Parlaments
wurde Prinz Wittgenstein, damals Neichsminister, von der Opposition mit Inter¬
pellationen bombardirt. Er bestieg die Rednerbühne, um sie zu beantworten.
Er sprach etwas leise. "Laut!" -- "laut!" -- "lauter!", schrie es auf der
Linken. Der Prinz wußte sich zu fassen: "Dieser Raum, die Paulskirche,"
sagte er, "hat eine eigenthümliche Akustik; rücken Sie, meine Herren auf der
Linken, nur herüber nach dieser Seite" -- und dabei deutete er mit seinen
langen Armen und seinen kolossalen Händen nach der Rechten -- "dann
werden Sie mich gleich besser verstehen!"

Mit dem "Hcrzogthumewitz" verhält es sich so: Ein ausländischer (ich
glaube französischer) Diplomat war bei dem Piinzministcr zu Tisch. Er machte
ihm einige Schmeicheleien darüber, daß der Prinz sich aus seiner militärisch,
diplomatischen Laufbahn so leicht in die administrative Carriöre hinübergefunden,
sich in die ihm völlig fremden Verhältnisse dieses kleinen Landes so schnell ein-
studirt habe und es so musterhaft regiere. "Oh, das ist nicht schwer," ant¬
wortete der Prinz mit einem vollendeten Satyrgesicht, "es sind nur zwei
Maximen, mit welchen ich vollständig auflange!" Darf ich sie erfahren? fragte
der Diplomat. "Warum nicht," erwiderte der Prinz, "die erste Maxime ist:
Als ich in dieses Herzogthum kam. war die Todesstrafe abgeschafft, und ich
werde sie nicht wieder einführen. Die zweite Maxime ist: Als ich in dieses
Herzogthum kam, waren die Spielbanken (in den Bädern) bereits eingeführt,
und ich werde sie nicht wieder abschaffen -- voila tout!" So übersetzte er
Oxenstjernas "lÄutiHa saxisutia reZitur rriurräus."

Zur Ehre des Prinzen muß noch erwähnt werden, daß er sich um die
innere Verwaltung während der letzten vier Jahre gar nicht mehr kümmerte,
so daß die unerhörten Praktiken, welche damals Herr Werren verübte, ihm nicht
zur Last fallen. Nur der Vorwurf trifft ihn, daß er alles das geschehn ließ,
ohne den Herzog, welcher in "Höchstseinen Werren" förmlich vernarrt war, über
die Folgen aufzuklären. Indeß mag ihm sein hohes Alter zu einiger Entschul¬
digung gereichen.

Weniger aus blinder Vorliebe für Oestreich, dessen Schwächen er genau
kannte, und dessen SieH er mindestens für zweifelhaft hielt, als vielmehr aus


schnittsaristokrcitie im Kleinfürstendienst. Er war ein alter Cavalier aus der
Zeit von 1789, im guten wie im bösen Sinne des Wortes. Was ihm an
Geschäftskenntniß fehlte, das wußte er durch kluges Ausweichen, angenehme
Gesellschaftsformen, geistreiche Worte, oder auch durch Frivolität zu ersetzen.
Man erzählt von ihm einen „Reichswitz" und einen „Hcrzoglhumswitz", welche
beide, wenn sie nicht buchstäblich wahr wären (was sie sind), den Anspruch
hätten, für gute Erfindungen zu gelten, so charakteristisch sind sie für ihren
Mann.

Hier der Reichswitz: In den letzten Tagen des frankfurter Parlaments
wurde Prinz Wittgenstein, damals Neichsminister, von der Opposition mit Inter¬
pellationen bombardirt. Er bestieg die Rednerbühne, um sie zu beantworten.
Er sprach etwas leise. „Laut!" — „laut!" — „lauter!", schrie es auf der
Linken. Der Prinz wußte sich zu fassen: „Dieser Raum, die Paulskirche,"
sagte er, „hat eine eigenthümliche Akustik; rücken Sie, meine Herren auf der
Linken, nur herüber nach dieser Seite" — und dabei deutete er mit seinen
langen Armen und seinen kolossalen Händen nach der Rechten — „dann
werden Sie mich gleich besser verstehen!"

Mit dem „Hcrzogthumewitz" verhält es sich so: Ein ausländischer (ich
glaube französischer) Diplomat war bei dem Piinzministcr zu Tisch. Er machte
ihm einige Schmeicheleien darüber, daß der Prinz sich aus seiner militärisch,
diplomatischen Laufbahn so leicht in die administrative Carriöre hinübergefunden,
sich in die ihm völlig fremden Verhältnisse dieses kleinen Landes so schnell ein-
studirt habe und es so musterhaft regiere. „Oh, das ist nicht schwer," ant¬
wortete der Prinz mit einem vollendeten Satyrgesicht, „es sind nur zwei
Maximen, mit welchen ich vollständig auflange!" Darf ich sie erfahren? fragte
der Diplomat. „Warum nicht," erwiderte der Prinz, „die erste Maxime ist:
Als ich in dieses Herzogthum kam. war die Todesstrafe abgeschafft, und ich
werde sie nicht wieder einführen. Die zweite Maxime ist: Als ich in dieses
Herzogthum kam, waren die Spielbanken (in den Bädern) bereits eingeführt,
und ich werde sie nicht wieder abschaffen — voila tout!" So übersetzte er
Oxenstjernas „lÄutiHa saxisutia reZitur rriurräus."

Zur Ehre des Prinzen muß noch erwähnt werden, daß er sich um die
innere Verwaltung während der letzten vier Jahre gar nicht mehr kümmerte,
so daß die unerhörten Praktiken, welche damals Herr Werren verübte, ihm nicht
zur Last fallen. Nur der Vorwurf trifft ihn, daß er alles das geschehn ließ,
ohne den Herzog, welcher in „Höchstseinen Werren" förmlich vernarrt war, über
die Folgen aufzuklären. Indeß mag ihm sein hohes Alter zu einiger Entschul¬
digung gereichen.

Weniger aus blinder Vorliebe für Oestreich, dessen Schwächen er genau
kannte, und dessen SieH er mindestens für zweifelhaft hielt, als vielmehr aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/353>, abgerufen am 04.07.2024.