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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Wenn einzelne jener verhängnißvollen Männer und Frauen, denen Cha-
toulle, Küche und Keller ihres guten Herrn stets offen standen, ihm in
hoffentlich nicht erheuchelter und nicht auf die Domanialeinkünfte abzielender
Wehmuth nachweinen, so haben sie alle Ursache dazu. Der gutmüthige Herzog
war nur für sie, und für sie nur allzusehr gutmüthig. Er hat nur für sie ge¬
lebt und gelitten. Er hat ihnen viel, er hat ihnen alles geopfert, -- seines
Landes Liebe und seine und der Seinigen fürstliche Existenz. Und wie wurde
ihm gedankt? Täglich träufelte man ihm Gift in die Ohren, um ihn in einer
fortwährenden nervösen Aufregung zu erhalten, welche auf die Dauer die körper¬
liche und geistige Gesundheit untergraben mußte, aber den Zwecken seiner Um¬
gebung förderlich war.

Wenn die Landwirthe, die Bergbautreibenden, die Weinproducenten, welche
ihren Absatz nach Preußen haben, für Aufrechterhaltung des Zollvereins durch
Anschluß an die von Preußen vorbereiteten Handelsverträge waren, weil dies die
wirthschaftlichen Interessen des Landes unabweisbar forderten, dann wurde dem
Herzog versichert, die materiellen Interessen seien nur Vorwand, man wolle ihn
unter der Form von Handelsverträgen mediatisuen. Die ganze wirthschaftliche
und freihändlerische Bewegung sei nichts als Hochverrath, sie sei das Werk
eines einzelnen Mannes, dieser habe die productiven Classen, "die ja nicht
studirt hätten" und deshalb ihre eigenen Interessen selbst nicht verständen,
"bethört" und schleppe sie mit sich als "Wahlvieh". So schrieb die Hof-
zeitung.

An den Landtagswahlen nahm der Herzog Adolph infolge der unaus¬
gesetzten Ausstachclungen seiner Umgebung, welche ihm fortwährend das Schaffot
und ähnliche revolutionäre Blut-, Zerr- und Schreckbilder vorspiegelte, die mit
dem gutmüthigen und beinahe etwas zu lebelustig-leichtfertigen Charakter der
Bevölkerung dieses Ländchens in einem wahrhaft lächerlichen Contrast standen,
den erregtesten persönlichen Antheil. Er reiste zu Wahlzwccken auf dem Wester-
Wald herum, tafelte dort mit einigen Localbeamten, die lakaienhaft ihre rechts¬
widrigen Einflüsse und Dienste für die Wahlen anboten, in einer Dorfkneipe,
und stieß mit ihnen auf den gemeinsamen Sieg an, der sich leider in eine
Niederlage verwandelte, die in Königsgrätz ihres Gleichen sucht. Der Herzog
war, als die Wahlen stattfanden, in .dem Landstädtchen Montabaur auf der
Auerhahnjagd. Es wurde ein Liberaler gewählt. Kaum hatte Se. Hoheit dies
erfahren, als er befahl anzuspannen und mit höchstseinem ganzen Gefolge in
großer Eile nach Limburg an der Lahn fuhr; denn in dieser strengkatholischen
Stadt, dem Sitze des Bischofs, konnte doch unmöglich liberal gewählt worden
sein; es lag daher in der höchsten Intention, dort wenigstens zu Mittag zu
speisen. Allein, kaum dort angekommen, erfuhr man, daß auch hier die Kleri¬
kalen unterlegen seien; und so ging es denn, ohne Mittagsessen und ohne


Wenn einzelne jener verhängnißvollen Männer und Frauen, denen Cha-
toulle, Küche und Keller ihres guten Herrn stets offen standen, ihm in
hoffentlich nicht erheuchelter und nicht auf die Domanialeinkünfte abzielender
Wehmuth nachweinen, so haben sie alle Ursache dazu. Der gutmüthige Herzog
war nur für sie, und für sie nur allzusehr gutmüthig. Er hat nur für sie ge¬
lebt und gelitten. Er hat ihnen viel, er hat ihnen alles geopfert, — seines
Landes Liebe und seine und der Seinigen fürstliche Existenz. Und wie wurde
ihm gedankt? Täglich träufelte man ihm Gift in die Ohren, um ihn in einer
fortwährenden nervösen Aufregung zu erhalten, welche auf die Dauer die körper¬
liche und geistige Gesundheit untergraben mußte, aber den Zwecken seiner Um¬
gebung förderlich war.

Wenn die Landwirthe, die Bergbautreibenden, die Weinproducenten, welche
ihren Absatz nach Preußen haben, für Aufrechterhaltung des Zollvereins durch
Anschluß an die von Preußen vorbereiteten Handelsverträge waren, weil dies die
wirthschaftlichen Interessen des Landes unabweisbar forderten, dann wurde dem
Herzog versichert, die materiellen Interessen seien nur Vorwand, man wolle ihn
unter der Form von Handelsverträgen mediatisuen. Die ganze wirthschaftliche
und freihändlerische Bewegung sei nichts als Hochverrath, sie sei das Werk
eines einzelnen Mannes, dieser habe die productiven Classen, „die ja nicht
studirt hätten" und deshalb ihre eigenen Interessen selbst nicht verständen,
„bethört" und schleppe sie mit sich als „Wahlvieh". So schrieb die Hof-
zeitung.

An den Landtagswahlen nahm der Herzog Adolph infolge der unaus¬
gesetzten Ausstachclungen seiner Umgebung, welche ihm fortwährend das Schaffot
und ähnliche revolutionäre Blut-, Zerr- und Schreckbilder vorspiegelte, die mit
dem gutmüthigen und beinahe etwas zu lebelustig-leichtfertigen Charakter der
Bevölkerung dieses Ländchens in einem wahrhaft lächerlichen Contrast standen,
den erregtesten persönlichen Antheil. Er reiste zu Wahlzwccken auf dem Wester-
Wald herum, tafelte dort mit einigen Localbeamten, die lakaienhaft ihre rechts¬
widrigen Einflüsse und Dienste für die Wahlen anboten, in einer Dorfkneipe,
und stieß mit ihnen auf den gemeinsamen Sieg an, der sich leider in eine
Niederlage verwandelte, die in Königsgrätz ihres Gleichen sucht. Der Herzog
war, als die Wahlen stattfanden, in .dem Landstädtchen Montabaur auf der
Auerhahnjagd. Es wurde ein Liberaler gewählt. Kaum hatte Se. Hoheit dies
erfahren, als er befahl anzuspannen und mit höchstseinem ganzen Gefolge in
großer Eile nach Limburg an der Lahn fuhr; denn in dieser strengkatholischen
Stadt, dem Sitze des Bischofs, konnte doch unmöglich liberal gewählt worden
sein; es lag daher in der höchsten Intention, dort wenigstens zu Mittag zu
speisen. Allein, kaum dort angekommen, erfuhr man, daß auch hier die Kleri¬
kalen unterlegen seien; und so ging es denn, ohne Mittagsessen und ohne


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[0350] Wenn einzelne jener verhängnißvollen Männer und Frauen, denen Cha- toulle, Küche und Keller ihres guten Herrn stets offen standen, ihm in hoffentlich nicht erheuchelter und nicht auf die Domanialeinkünfte abzielender Wehmuth nachweinen, so haben sie alle Ursache dazu. Der gutmüthige Herzog war nur für sie, und für sie nur allzusehr gutmüthig. Er hat nur für sie ge¬ lebt und gelitten. Er hat ihnen viel, er hat ihnen alles geopfert, — seines Landes Liebe und seine und der Seinigen fürstliche Existenz. Und wie wurde ihm gedankt? Täglich träufelte man ihm Gift in die Ohren, um ihn in einer fortwährenden nervösen Aufregung zu erhalten, welche auf die Dauer die körper¬ liche und geistige Gesundheit untergraben mußte, aber den Zwecken seiner Um¬ gebung förderlich war. Wenn die Landwirthe, die Bergbautreibenden, die Weinproducenten, welche ihren Absatz nach Preußen haben, für Aufrechterhaltung des Zollvereins durch Anschluß an die von Preußen vorbereiteten Handelsverträge waren, weil dies die wirthschaftlichen Interessen des Landes unabweisbar forderten, dann wurde dem Herzog versichert, die materiellen Interessen seien nur Vorwand, man wolle ihn unter der Form von Handelsverträgen mediatisuen. Die ganze wirthschaftliche und freihändlerische Bewegung sei nichts als Hochverrath, sie sei das Werk eines einzelnen Mannes, dieser habe die productiven Classen, „die ja nicht studirt hätten" und deshalb ihre eigenen Interessen selbst nicht verständen, „bethört" und schleppe sie mit sich als „Wahlvieh". So schrieb die Hof- zeitung. An den Landtagswahlen nahm der Herzog Adolph infolge der unaus¬ gesetzten Ausstachclungen seiner Umgebung, welche ihm fortwährend das Schaffot und ähnliche revolutionäre Blut-, Zerr- und Schreckbilder vorspiegelte, die mit dem gutmüthigen und beinahe etwas zu lebelustig-leichtfertigen Charakter der Bevölkerung dieses Ländchens in einem wahrhaft lächerlichen Contrast standen, den erregtesten persönlichen Antheil. Er reiste zu Wahlzwccken auf dem Wester- Wald herum, tafelte dort mit einigen Localbeamten, die lakaienhaft ihre rechts¬ widrigen Einflüsse und Dienste für die Wahlen anboten, in einer Dorfkneipe, und stieß mit ihnen auf den gemeinsamen Sieg an, der sich leider in eine Niederlage verwandelte, die in Königsgrätz ihres Gleichen sucht. Der Herzog war, als die Wahlen stattfanden, in .dem Landstädtchen Montabaur auf der Auerhahnjagd. Es wurde ein Liberaler gewählt. Kaum hatte Se. Hoheit dies erfahren, als er befahl anzuspannen und mit höchstseinem ganzen Gefolge in großer Eile nach Limburg an der Lahn fuhr; denn in dieser strengkatholischen Stadt, dem Sitze des Bischofs, konnte doch unmöglich liberal gewählt worden sein; es lag daher in der höchsten Intention, dort wenigstens zu Mittag zu speisen. Allein, kaum dort angekommen, erfuhr man, daß auch hier die Kleri¬ kalen unterlegen seien; und so ging es denn, ohne Mittagsessen und ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/350>, abgerufen am 04.07.2024.