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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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greifen, es müßte denn sein (was nicht unwahrscheinlich), daß die oberhessischen
Standesherrn als treibende Kraft auftreten. Die zweite Kammer des nächsten
Landtags ist zur Zeit eine vollständig unbestimmbare Größe. Es wird neu ge¬
wählt, und die besten Kenner unserer '-Verhältnisse wagen nicht zu prophezeihen,
Wie die Wahlen ausfallen werden. Die Fortschrittspartei unter hauptsächlicher
Führung von Metz besteht noch fort; sie ist die einzige bestimmter gegliederte
Partei im Land. Aber sie hat, das tonnen sich auch ihre Freunde nicht ver¬
hehlen, bedeutende Einbuße erlitten, und zwar grade mit Rücksicht auf die na¬
tionale Politik. Die Hochfluth des Antiprcußenthums vor und bei Beginn des
Kriegs hat gar manche Genossen hinweggespült, welche in Fragen der inneren
Politik noch lange mit ihr gegangen wären. Dabei läßt sich nicht lciugnen,
daß diese Partei in eine gewisse Verknöcherung gerathen ist. Ihre Vertreter in
der Kammer laufen Gefahr zu einer Oligarchie von Parteigenossen zu werden,
die sich gegen frische Kräfte abschließt; es droht dann das Reich der Phrase in
seiner vollsten Blüthe. Möge man diese Gefahr rechtzeitig erkennen. Es thuts
nicht allein, daß man äußerlich die Mehrheit hat; die Mehrheit muß auch ihre
innere Berechtigung nachweisen, sie bedarf des Zusammengehens mit den Kräften
im Volk als ihrer Lebensluft. Hiervon hängt ihre moralische Wirkung ab,
sonst könnte sich als praktische Lehre leicht ergeben, daß die seitherige Mehrheit
bei der Wiederwahl zur Minderheit wird. Im Uebrigen muß man zugeben,
daß die Fortschrittspartei und die ihr nahe stehenden milderen Fractionen grade
die positiven Kräfte sind, auf welche für Anschluß an Norddeutschland und die
preußische Führung zu zählen ist. Darum benennt die gegnerische Presse diese
Partei die "preußische" und sich selbst*mit Ostentation die "hessische", neuer¬
dings wohl auch, weil diese Sorte Patriotismus doch nicht mehr recht steckt,
die "deutsche". Diese Partei erklärt, mit der ehrenwerthen, d. h. mit der roth¬
weißen Demokratie, Hand in Hand gehen zu wollen; innere Kämpfe müßten
verstummen gegenüber der brennenden Frage der Abwehr des Prcußenthums.
Vermuthlich entwickelt sich ans all dem eine ministeriell-klerikale Coalition, die
Von oben her ihre Candidaten aufstellt und mit den ihr zustehenden Machtmitteln
diese bei den von ihr abhängigen Leuten und bei der politisch trägen Masse
durchzusetzen sucht.

Das Meiste wird ans die Negierung ankommen, ob der eingeschlagene
Weg glatt oder holperig weiter gegangen werden wird; anders als so liegt die
Alternative nicht. So lange die Träger des alten Systems noch am Nuder
sind, wird erlaubt sein, an der rechten borg, kutes zu zweifeln. "Kann auch
ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Pardel seine Flecken?" In der Be¬
völkerung ist keine Richtung so ausgeprägt, daß sie stark genug wäre, die
Regierung in ihren Entschlüssen zu hemmen oder gegen ihren Willen vorwärts
zu treiben. Darum ist unsere Hoffnung zunächst nicht groß. Man hat zwar,


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greifen, es müßte denn sein (was nicht unwahrscheinlich), daß die oberhessischen
Standesherrn als treibende Kraft auftreten. Die zweite Kammer des nächsten
Landtags ist zur Zeit eine vollständig unbestimmbare Größe. Es wird neu ge¬
wählt, und die besten Kenner unserer '-Verhältnisse wagen nicht zu prophezeihen,
Wie die Wahlen ausfallen werden. Die Fortschrittspartei unter hauptsächlicher
Führung von Metz besteht noch fort; sie ist die einzige bestimmter gegliederte
Partei im Land. Aber sie hat, das tonnen sich auch ihre Freunde nicht ver¬
hehlen, bedeutende Einbuße erlitten, und zwar grade mit Rücksicht auf die na¬
tionale Politik. Die Hochfluth des Antiprcußenthums vor und bei Beginn des
Kriegs hat gar manche Genossen hinweggespült, welche in Fragen der inneren
Politik noch lange mit ihr gegangen wären. Dabei läßt sich nicht lciugnen,
daß diese Partei in eine gewisse Verknöcherung gerathen ist. Ihre Vertreter in
der Kammer laufen Gefahr zu einer Oligarchie von Parteigenossen zu werden,
die sich gegen frische Kräfte abschließt; es droht dann das Reich der Phrase in
seiner vollsten Blüthe. Möge man diese Gefahr rechtzeitig erkennen. Es thuts
nicht allein, daß man äußerlich die Mehrheit hat; die Mehrheit muß auch ihre
innere Berechtigung nachweisen, sie bedarf des Zusammengehens mit den Kräften
im Volk als ihrer Lebensluft. Hiervon hängt ihre moralische Wirkung ab,
sonst könnte sich als praktische Lehre leicht ergeben, daß die seitherige Mehrheit
bei der Wiederwahl zur Minderheit wird. Im Uebrigen muß man zugeben,
daß die Fortschrittspartei und die ihr nahe stehenden milderen Fractionen grade
die positiven Kräfte sind, auf welche für Anschluß an Norddeutschland und die
preußische Führung zu zählen ist. Darum benennt die gegnerische Presse diese
Partei die „preußische" und sich selbst*mit Ostentation die „hessische", neuer¬
dings wohl auch, weil diese Sorte Patriotismus doch nicht mehr recht steckt,
die „deutsche". Diese Partei erklärt, mit der ehrenwerthen, d. h. mit der roth¬
weißen Demokratie, Hand in Hand gehen zu wollen; innere Kämpfe müßten
verstummen gegenüber der brennenden Frage der Abwehr des Prcußenthums.
Vermuthlich entwickelt sich ans all dem eine ministeriell-klerikale Coalition, die
Von oben her ihre Candidaten aufstellt und mit den ihr zustehenden Machtmitteln
diese bei den von ihr abhängigen Leuten und bei der politisch trägen Masse
durchzusetzen sucht.

Das Meiste wird ans die Negierung ankommen, ob der eingeschlagene
Weg glatt oder holperig weiter gegangen werden wird; anders als so liegt die
Alternative nicht. So lange die Träger des alten Systems noch am Nuder
sind, wird erlaubt sein, an der rechten borg, kutes zu zweifeln. „Kann auch
ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Pardel seine Flecken?" In der Be¬
völkerung ist keine Richtung so ausgeprägt, daß sie stark genug wäre, die
Regierung in ihren Entschlüssen zu hemmen oder gegen ihren Willen vorwärts
zu treiben. Darum ist unsere Hoffnung zunächst nicht groß. Man hat zwar,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/337>, abgerufen am 04.07.2024.