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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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ersten Blick glauben sollte. Trotz ihres Kosmopolitismus waren die Jungrussen
mit den Slawophilen vollständig einerstanden, wenn diese als erstes Postulat
ihrer Doctrin die Vernichtung des fremden, ganz besonders des deutschen Ein¬
flusses in Rußland hinstellten. Waren die Deutschen doch von jeher "die Mame¬
lucken" der Regierung, die Hauptpioniere des bureaukratischen Absolutismus ge¬
wesen, der seit Peter dem Großen das alte Bojarenregiment bekämpft, allen
nationalen Bildungen der russischen Entwickelung den Tod geschworen hatte.
Der Haß gegen die Deutschen war der Ausgangspunkt jener hochfliegenden
Pläne eines panslawistischcn Weltreichs, dem die hochmütigen "Culturträger"
zu Füßen gelegt werden sollten, die dem russischen Volksleben und der von den
Vätern ererbten Freiheit die Zwangsjacke einer dem westlichen Europa ent¬
nommenen Staatsform angelegt hatten, welche seit Jahrhunderten jeder freien
volksthümlichen Entwickelung die Adern unterbunden hatte. Einig waren Jung¬
russen und Slawophilen ferner in ihrer Abneigung gegen den Adel, der zuerst
von der Tradition der Väter abgefallen war, und gemeinsam mit den Freunden
die verhaßte bestehende Ordnung der Dinge aufgerichtet hatte; einig war man
in dem Glauben an das -Volk, das sich allein treu geblieben war, das seine
ursprüngliche Kraft und Frische trotz des ehernen Jochs, das auf ihm gelastet,
bewahrt hatte, das allein fähig schien, an dem Aufbau einer besseren Zukunft
Theil zu nehmen. Den dritten und wichtigsten Punkt der Verständigung und
Einigung machte aber der gemeinsame Cultus des altrussischen Instituts des
bäuerlichen Gemeindebesitzes aus, auf dessen Bedeutung die Slawophilen zuerst
durch den bekannten deutschen Reisenden Freiherrn V. Haxthausen aufmerksam
gemacht worden waren und den die jungrussische Schule sodann zur "neuen
Formel der Civilisation" erhoben und für die allein mögliche, von den west¬
europäischen Socialisten vergeblich gesuchte Lösung der socialen Frage aus¬
gegeben hatte. Von diesem Institut müssen wir hier, wenn auch nur in Kürze,
sprechen. --

Innerhalb der russischen Dorfgemeinden giebt es kein persönliches Eigen¬
thum, keinen individuellen Besitz an Grund und Boden. Vor wie nach Auf¬
hebung der Leibeigenschaft zerfallen die Ländereien, welche zu einem russischen
Landgut gehören, in das Hof- und das Bauerland. Das letztere steht in der
erblichen Nutzung der gesanuntcn Gemeinde, welche den nutzbaren Ackerboden
periodisch durch ihre nettesten unter die Glieder der Gemeinde je nach der An¬
zahl der vorhandenen Familien vertheilen läßt. Diese Vertheilungen geschehen
in der Regel alle neun bis zwölf Jahre und kommen sämmtlichen zur Genossen¬
schaft gehörigen Familien zu gut; jedes Ehepaar hat Anspruch auf eine seinem
Bedürfniß, resp, seiner Kopfzahl entsprechende Quote Ackerland; der Wald, die
Weide und die übrigen Nutzungen stehen im ungetrennten. gemeinsamen Besitz
der Gemeinde. Auf die Einzelheiten dieser periodischen Vertheilruigen. die Prin-


ersten Blick glauben sollte. Trotz ihres Kosmopolitismus waren die Jungrussen
mit den Slawophilen vollständig einerstanden, wenn diese als erstes Postulat
ihrer Doctrin die Vernichtung des fremden, ganz besonders des deutschen Ein¬
flusses in Rußland hinstellten. Waren die Deutschen doch von jeher „die Mame¬
lucken" der Regierung, die Hauptpioniere des bureaukratischen Absolutismus ge¬
wesen, der seit Peter dem Großen das alte Bojarenregiment bekämpft, allen
nationalen Bildungen der russischen Entwickelung den Tod geschworen hatte.
Der Haß gegen die Deutschen war der Ausgangspunkt jener hochfliegenden
Pläne eines panslawistischcn Weltreichs, dem die hochmütigen „Culturträger"
zu Füßen gelegt werden sollten, die dem russischen Volksleben und der von den
Vätern ererbten Freiheit die Zwangsjacke einer dem westlichen Europa ent¬
nommenen Staatsform angelegt hatten, welche seit Jahrhunderten jeder freien
volksthümlichen Entwickelung die Adern unterbunden hatte. Einig waren Jung¬
russen und Slawophilen ferner in ihrer Abneigung gegen den Adel, der zuerst
von der Tradition der Väter abgefallen war, und gemeinsam mit den Freunden
die verhaßte bestehende Ordnung der Dinge aufgerichtet hatte; einig war man
in dem Glauben an das -Volk, das sich allein treu geblieben war, das seine
ursprüngliche Kraft und Frische trotz des ehernen Jochs, das auf ihm gelastet,
bewahrt hatte, das allein fähig schien, an dem Aufbau einer besseren Zukunft
Theil zu nehmen. Den dritten und wichtigsten Punkt der Verständigung und
Einigung machte aber der gemeinsame Cultus des altrussischen Instituts des
bäuerlichen Gemeindebesitzes aus, auf dessen Bedeutung die Slawophilen zuerst
durch den bekannten deutschen Reisenden Freiherrn V. Haxthausen aufmerksam
gemacht worden waren und den die jungrussische Schule sodann zur „neuen
Formel der Civilisation" erhoben und für die allein mögliche, von den west¬
europäischen Socialisten vergeblich gesuchte Lösung der socialen Frage aus¬
gegeben hatte. Von diesem Institut müssen wir hier, wenn auch nur in Kürze,
sprechen. —

Innerhalb der russischen Dorfgemeinden giebt es kein persönliches Eigen¬
thum, keinen individuellen Besitz an Grund und Boden. Vor wie nach Auf¬
hebung der Leibeigenschaft zerfallen die Ländereien, welche zu einem russischen
Landgut gehören, in das Hof- und das Bauerland. Das letztere steht in der
erblichen Nutzung der gesanuntcn Gemeinde, welche den nutzbaren Ackerboden
periodisch durch ihre nettesten unter die Glieder der Gemeinde je nach der An¬
zahl der vorhandenen Familien vertheilen läßt. Diese Vertheilungen geschehen
in der Regel alle neun bis zwölf Jahre und kommen sämmtlichen zur Genossen¬
schaft gehörigen Familien zu gut; jedes Ehepaar hat Anspruch auf eine seinem
Bedürfniß, resp, seiner Kopfzahl entsprechende Quote Ackerland; der Wald, die
Weide und die übrigen Nutzungen stehen im ungetrennten. gemeinsamen Besitz
der Gemeinde. Auf die Einzelheiten dieser periodischen Vertheilruigen. die Prin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/309>, abgerufen am 04.07.2024.