Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.beziehungen nachgehen können. Wer umgekehrt auf einem abgegrenzten Felde Eines freilich bleibt der echt populären Darstellung der Kunstgeschichte, wie beziehungen nachgehen können. Wer umgekehrt auf einem abgegrenzten Felde Eines freilich bleibt der echt populären Darstellung der Kunstgeschichte, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286436"/> <p xml:id="ID_830" prev="#ID_829"> beziehungen nachgehen können. Wer umgekehrt auf einem abgegrenzten Felde<lb/> sei es die verhüllten und entstellten Thatsachen, sei es das innere bewegende<lb/> Triebwerk aufdeckt, der wird kaum dazu kommen, das Ganze, dessen Theil seine<lb/> eigentlich^ Arbeit ist, gleichmäßig zu umspannen. Ein bahnbrechender Geist,<lb/> wie Semper z.B., der mit blitzartiger Genialität auf einzelne Hauptpunkte<lb/> ein überraschendes Licht wirft, das freilich dann auch in einem weiteren Um¬<lb/> kreise Helle verbreitet, ist nicht dazu angethan, vor dem Laien die ganze histo¬<lb/> rische Entwickelung eines Kunstzweiges, so weit grade die Untersuchungen vor¬<lb/> liegen, in ruhiger leichrfaßiicher Folge auszubreiten; wie andererseits ein wohl<lb/> umfassender und klarer, aber im Grunde unproductiver und nicht allzu tief<lb/> dringender Blick, wie ihn Kugl er hatte, kaum im Stande ist, ein noch unauf¬<lb/> geklärtes Object, gegen die gewohnte Betrachtungsweise, von einer neuen Seite<lb/> instinctiv zutreffend in seinem Wesen zu ergreifen. Doch versteht sich, daß sich<lb/> jene beiden verschiedenen Kräfte in die Hände arbeiten und sich gegenseitig er¬<lb/> gänzen müssen. Das neugewonnene Material muß durch die Gesammtbetrach-<lb/> tung in den belebenden Fluß, das organische Gefüge des Ganzen eingereiht<lb/> werden; letztere aber jenes als ebenso viele verjüngende Quellen in sich auf¬<lb/> nehmen, wenn sie nicht zum seichten Sammelplatz obeiflächlichcr Redensarten<lb/> Herabsinken soll. Natürlich wirkt jeder beider Theile um so ausgiebiger für das<lb/> Ganze, je mehr er in zweiter Linie wenigstens an der Arbeit des andern<lb/> selbstthätig Antheil nimmt. Eben hierin hat Lübke ein weiteres Verdienst. In<lb/> seiner Architekturgeschichte hat er namentlich über die westphälischen Bauten<lb/> manches Neue, dann aber insbesondere in seinem Werke über die Plastik in die<lb/> bisher so fragmentarische Kenntniß der mittelalterlichen Bildnerei durch eigene<lb/> schätzenswerthe Beiträge mehr Ordnung und Zusammenhang gebracht. Daß<lb/> Lübke andererseits auch mit eigenem feinen und treffenden Blick in das Innere<lb/> der Kunstweisen, in ihren Zusammenhang mit dem Geistesleben der Völker ein¬<lb/> zudringen vermag, das hat unter anderem seine Würdigung der Gothik (in dem<lb/> Aufsatz: „Zwei deutsche Münster", abgedruckt in der-Zeitschrift des Architekten-<lb/> und Jngenicurvereins für Hannover 1863, Heft 2 und 3) bewiesen, welche der<lb/> blinden und einseitigen Begeisterung für den „deutschen" Stil scharf und schla¬<lb/> gend entgegentritt. Endlich kommt dem Verfasser noch eins zu statten, was<lb/> grade bei der Beschäftigung mit der bildenden Kunst von der größten Bedeu¬<lb/> tung ist: er hat sich mit empfänglichen und geübtem Auge eine gute Anzahl<lb/> der besprochenen Kunstwerke selber angesehen und so ihr Bild mit ursprünglicher<lb/> Frische aus der eigenen Phantasie zu entwerfen vermocht, ein Moment, das<lb/> nicht weniger wichtig ist als die wissenschaftliche Forschung, ja das selbst ab¬<lb/> getrennt von dieser seinen Werth behält, während letztere nur in Verbindung<lb/> mit jenem wirklich fruchtbar ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Eines freilich bleibt der echt populären Darstellung der Kunstgeschichte, wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
beziehungen nachgehen können. Wer umgekehrt auf einem abgegrenzten Felde
sei es die verhüllten und entstellten Thatsachen, sei es das innere bewegende
Triebwerk aufdeckt, der wird kaum dazu kommen, das Ganze, dessen Theil seine
eigentlich^ Arbeit ist, gleichmäßig zu umspannen. Ein bahnbrechender Geist,
wie Semper z.B., der mit blitzartiger Genialität auf einzelne Hauptpunkte
ein überraschendes Licht wirft, das freilich dann auch in einem weiteren Um¬
kreise Helle verbreitet, ist nicht dazu angethan, vor dem Laien die ganze histo¬
rische Entwickelung eines Kunstzweiges, so weit grade die Untersuchungen vor¬
liegen, in ruhiger leichrfaßiicher Folge auszubreiten; wie andererseits ein wohl
umfassender und klarer, aber im Grunde unproductiver und nicht allzu tief
dringender Blick, wie ihn Kugl er hatte, kaum im Stande ist, ein noch unauf¬
geklärtes Object, gegen die gewohnte Betrachtungsweise, von einer neuen Seite
instinctiv zutreffend in seinem Wesen zu ergreifen. Doch versteht sich, daß sich
jene beiden verschiedenen Kräfte in die Hände arbeiten und sich gegenseitig er¬
gänzen müssen. Das neugewonnene Material muß durch die Gesammtbetrach-
tung in den belebenden Fluß, das organische Gefüge des Ganzen eingereiht
werden; letztere aber jenes als ebenso viele verjüngende Quellen in sich auf¬
nehmen, wenn sie nicht zum seichten Sammelplatz obeiflächlichcr Redensarten
Herabsinken soll. Natürlich wirkt jeder beider Theile um so ausgiebiger für das
Ganze, je mehr er in zweiter Linie wenigstens an der Arbeit des andern
selbstthätig Antheil nimmt. Eben hierin hat Lübke ein weiteres Verdienst. In
seiner Architekturgeschichte hat er namentlich über die westphälischen Bauten
manches Neue, dann aber insbesondere in seinem Werke über die Plastik in die
bisher so fragmentarische Kenntniß der mittelalterlichen Bildnerei durch eigene
schätzenswerthe Beiträge mehr Ordnung und Zusammenhang gebracht. Daß
Lübke andererseits auch mit eigenem feinen und treffenden Blick in das Innere
der Kunstweisen, in ihren Zusammenhang mit dem Geistesleben der Völker ein¬
zudringen vermag, das hat unter anderem seine Würdigung der Gothik (in dem
Aufsatz: „Zwei deutsche Münster", abgedruckt in der-Zeitschrift des Architekten-
und Jngenicurvereins für Hannover 1863, Heft 2 und 3) bewiesen, welche der
blinden und einseitigen Begeisterung für den „deutschen" Stil scharf und schla¬
gend entgegentritt. Endlich kommt dem Verfasser noch eins zu statten, was
grade bei der Beschäftigung mit der bildenden Kunst von der größten Bedeu¬
tung ist: er hat sich mit empfänglichen und geübtem Auge eine gute Anzahl
der besprochenen Kunstwerke selber angesehen und so ihr Bild mit ursprünglicher
Frische aus der eigenen Phantasie zu entwerfen vermocht, ein Moment, das
nicht weniger wichtig ist als die wissenschaftliche Forschung, ja das selbst ab¬
getrennt von dieser seinen Werth behält, während letztere nur in Verbindung
mit jenem wirklich fruchtbar ist.
Eines freilich bleibt der echt populären Darstellung der Kunstgeschichte, wie
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