Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.Verkehrs durch eine Handlung, die schlimmer ist als Meineid, durch einen Wir haben damit schon den Uebergang zu der Besprechung des Werthes Zuerst ein Wort über die Bedeutung, welche unser Werk.als Sprachdenk¬ Verkehrs durch eine Handlung, die schlimmer ist als Meineid, durch einen Wir haben damit schon den Uebergang zu der Besprechung des Werthes Zuerst ein Wort über die Bedeutung, welche unser Werk.als Sprachdenk¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286428"/> <p xml:id="ID_809" prev="#ID_808"> Verkehrs durch eine Handlung, die schlimmer ist als Meineid, durch einen<lb/> Eid nämlich, dessen Wortlaut ihren Gatten über ihr Verhalten gänzlich beruhigt,<lb/> während doch jede Untreue von ihrer Seite sich mit der strengsten Heilighaltung<lb/> desselben verträgt. Der Eid gilt noch, man würde ihn nicht zu brechen wagen;<lb/> aber man macht ihn durch schlaue Künste zu dem Taschenspielerknoten, der trotz<lb/> dem Scheine der Unauflösbarkeit oren leisesten Rucke auseinandergeht. Und<lb/> Wilhelm, der ein Ritter, nicht ein schwaches Weib ist, wirbt um die Freund¬<lb/> schaft und das Vertrauen des Mannes, den er verräth; und dieser Mann ist,<lb/> nachdem einmal Flamencas Schwur ihm die Ruhe des Herzens wiedergegeben<lb/> und jede Regung der Eifersucht gebannt hat, keineswegs der beschränkte oder<lb/> altersschwache oder geizige oder mürrische oder alle diese Eigenschaften in sich<lb/> vereinigende Ehemann, welchen manches französische Fabliau. manche italienische<lb/> Novelle zum Opfer der List macht, so daß etwa die Lächerlichkeit seiner Ansprüche<lb/> das Mitleid nicht auskommen ließe, welches sonst das ihm widerfahrene Un¬<lb/> recht einflößen könnte; sondern er ist dem Begünstigten in jeder Hinsicht eben¬<lb/> bürtig. Der Dichter hat auch augenscheinlich die Ahnung oder das Bewußt¬<lb/> sein von der sittlichen Bedenklichkeit der von ihm erzählten Vorgänge nicht,<lb/> welche manche neuere Darsteller ähnlicher Conflicte (wir erinnern an das fran¬<lb/> zösische Theater der letzten Jahre) erfüllt und manchmal bei der Wahl ihrer<lb/> Vorwürfe gradezu leitet; er weiß sich offenbar in Uebereinstimmung mit der<lb/> Anschauungsweise der Gesellschaft, der er angehört; sie ist es daher auch Vor¬<lb/> zugsweise, welche wir aus Flammea kennen lernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_810"> Wir haben damit schon den Uebergang zu der Besprechung des Werthes<lb/> gemacht, welchen Flammea als Geschichtsquelle hat. Die Gesichtspunkte, die<lb/> man dabei einnehmen kann, sind aber so verschieden und so zahlreich, daß wir<lb/> bei Andeutungen werden bleiben müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Zuerst ein Wort über die Bedeutung, welche unser Werk.als Sprachdenk¬<lb/> mal hat. Es liegt dieselbe nicht so sehr in dem Reichthum an Eigenthümlich¬<lb/> keiten, welche unsere Kenntniß der provenzalischen Sprachformen zu erweitern<lb/> geeignet wären (obschon auch in dieser Hinsicht die Ausbeute für die Sprach¬<lb/> lehre nicht gering ist), als vielmehr in der Wörterfülle, welche es entfaltet.<lb/> Bekanntlich ist die provenzalische Literatur nicht eben der reichsten eine; die<lb/> Zahl der gepflegten Gattungen der Dichtung ist zwar ziemlich bedeutend, aber<lb/> die Hauptmasse des uns Erhaltenen vertheilt sich denn doch auf wenige und<lb/> noch dazu einander ziemlich nahe stehende Gattungen höfischer Lyrik und ist<lb/> darum wenig dazu angethan, den ganzen Reichthum der Sprache zur Ver¬<lb/> wendung gelangen zu lassen. Um so willkommener sind dem Lexikographen jene<lb/> Werke, welche entweder als Encyklopädien wie das Breviari d'Amor ihm die<lb/> Bezeichnung für eine beträchtliche Zahl von Dingen und zwar in einer gewissen<lb/> Ordnung vorführen, oder als Romane und epische Gedichte durch den Zweck</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
Verkehrs durch eine Handlung, die schlimmer ist als Meineid, durch einen
Eid nämlich, dessen Wortlaut ihren Gatten über ihr Verhalten gänzlich beruhigt,
während doch jede Untreue von ihrer Seite sich mit der strengsten Heilighaltung
desselben verträgt. Der Eid gilt noch, man würde ihn nicht zu brechen wagen;
aber man macht ihn durch schlaue Künste zu dem Taschenspielerknoten, der trotz
dem Scheine der Unauflösbarkeit oren leisesten Rucke auseinandergeht. Und
Wilhelm, der ein Ritter, nicht ein schwaches Weib ist, wirbt um die Freund¬
schaft und das Vertrauen des Mannes, den er verräth; und dieser Mann ist,
nachdem einmal Flamencas Schwur ihm die Ruhe des Herzens wiedergegeben
und jede Regung der Eifersucht gebannt hat, keineswegs der beschränkte oder
altersschwache oder geizige oder mürrische oder alle diese Eigenschaften in sich
vereinigende Ehemann, welchen manches französische Fabliau. manche italienische
Novelle zum Opfer der List macht, so daß etwa die Lächerlichkeit seiner Ansprüche
das Mitleid nicht auskommen ließe, welches sonst das ihm widerfahrene Un¬
recht einflößen könnte; sondern er ist dem Begünstigten in jeder Hinsicht eben¬
bürtig. Der Dichter hat auch augenscheinlich die Ahnung oder das Bewußt¬
sein von der sittlichen Bedenklichkeit der von ihm erzählten Vorgänge nicht,
welche manche neuere Darsteller ähnlicher Conflicte (wir erinnern an das fran¬
zösische Theater der letzten Jahre) erfüllt und manchmal bei der Wahl ihrer
Vorwürfe gradezu leitet; er weiß sich offenbar in Uebereinstimmung mit der
Anschauungsweise der Gesellschaft, der er angehört; sie ist es daher auch Vor¬
zugsweise, welche wir aus Flammea kennen lernen.
Wir haben damit schon den Uebergang zu der Besprechung des Werthes
gemacht, welchen Flammea als Geschichtsquelle hat. Die Gesichtspunkte, die
man dabei einnehmen kann, sind aber so verschieden und so zahlreich, daß wir
bei Andeutungen werden bleiben müssen.
Zuerst ein Wort über die Bedeutung, welche unser Werk.als Sprachdenk¬
mal hat. Es liegt dieselbe nicht so sehr in dem Reichthum an Eigenthümlich¬
keiten, welche unsere Kenntniß der provenzalischen Sprachformen zu erweitern
geeignet wären (obschon auch in dieser Hinsicht die Ausbeute für die Sprach¬
lehre nicht gering ist), als vielmehr in der Wörterfülle, welche es entfaltet.
Bekanntlich ist die provenzalische Literatur nicht eben der reichsten eine; die
Zahl der gepflegten Gattungen der Dichtung ist zwar ziemlich bedeutend, aber
die Hauptmasse des uns Erhaltenen vertheilt sich denn doch auf wenige und
noch dazu einander ziemlich nahe stehende Gattungen höfischer Lyrik und ist
darum wenig dazu angethan, den ganzen Reichthum der Sprache zur Ver¬
wendung gelangen zu lassen. Um so willkommener sind dem Lexikographen jene
Werke, welche entweder als Encyklopädien wie das Breviari d'Amor ihm die
Bezeichnung für eine beträchtliche Zahl von Dingen und zwar in einer gewissen
Ordnung vorführen, oder als Romane und epische Gedichte durch den Zweck
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