Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.Also ist es unrichtig, "daß Shakespeares Werke nicht gelesen wurden". Es ist endlich nicht wahr, daß "die ganze romanische Race den britischen Also ist es unrichtig, „daß Shakespeares Werke nicht gelesen wurden". Es ist endlich nicht wahr, daß „die ganze romanische Race den britischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286352"/> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_567"> Also ist es unrichtig, „daß Shakespeares Werke nicht gelesen wurden".<lb/> Als der Einfluß des französischen Hoftons sich auch in England geltend machte,<lb/> sehen wir natürlich frivolen Modestücken die ernste Gattung weichen; als der<lb/> Bürgerkrieg die Theater schloß, konnten auch Shakespeares Dramen nicht ge¬<lb/> geben werden. Aber gleich nach Wiedereröffnung der Bühnen machte der<lb/> Schauspieler Batterlon nach Tradition des Souffleurs Davenant den großen<lb/> Dichter wieder auf der Bühne heimisch und erzielte reiche Einnahmen damit.<lb/> Die Belehrung Battertons ging so weit, daß er eigens nach Stratford reiste,<lb/> um dort Erkundigungen über Shakespeare einzuziehen und seinen Notizen ver¬<lb/> dankt man Rowes Lebensbeschreibung Shakespeares, in der fünften Ausgabe<lb/> der Werke. Bon Batterien bis auf unsere Tage hat sich in England die Tra¬<lb/> dition am Theater fortgepflanzt und es ist mehr dem Geschmack der Höfe und<lb/> Vornehmen, als dem Amts'eil des Publikums Schuld zu geben, wenn die Mode<lb/> der französischen Zeit die Auffassung der shakespeareschen Dramen und ihre Aus¬<lb/> nahme verdarb.</p><lb/> <p xml:id="ID_568" next="#ID_569"> Es ist endlich nicht wahr, daß „die ganze romanische Race den britischen<lb/> Dichter heute noch fast ungenießbar findet". Gleichzeitig mit seiner Einführung<lb/> in Deutschland beginnt Shakespeare in Frankreich Boden zu gewinnen, an den¬<lb/> selben Stücken und mit denselben Berstümmelungen, wie bei uns, die nur<lb/> größer waren, weil der herrschende Zeitgeschmack eben von Frankreich ausging.<lb/> Bedeutende Mitglieder der Akademie haben sich beeifert, dem englischen Dichter<lb/> durch Bearbeitungen -gerecht zu werden, aus seinen Stücken wurde immer mehr<lb/> von der französischen Zuthat entfernt, immer mehr von dem Ursprünglichen<lb/> hergestellt, grade wie in Deutschland, bis Benjamin Laroche in der Borrede<lb/> seiner mit ebenso viel Pietät als Verständniß durchgeführten vollständigen Ueber-<lb/> setzung der shakespeareschen Dramen ausrufen darf: „Wo sind die Zeiten hin,<lb/> da Boltaire von der Höhe seines akademischen Stolzes herab Shakespeare als<lb/> Barbaren, als betrunkenen Wilden kennzeichnete; da Letourneur in seiner<lb/> schleppenden und farblosen Prosa die energische und naive Ausdrucksweise des<lb/> Schwans vom Avon unter dem lächerlichen Pomp seiner Umschreibungen erstickte<lb/> und ohne Weiteres die Scenen, die ihm nicht behagten, mit Stillschweigen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Also ist es unrichtig, „daß Shakespeares Werke nicht gelesen wurden".
Als der Einfluß des französischen Hoftons sich auch in England geltend machte,
sehen wir natürlich frivolen Modestücken die ernste Gattung weichen; als der
Bürgerkrieg die Theater schloß, konnten auch Shakespeares Dramen nicht ge¬
geben werden. Aber gleich nach Wiedereröffnung der Bühnen machte der
Schauspieler Batterlon nach Tradition des Souffleurs Davenant den großen
Dichter wieder auf der Bühne heimisch und erzielte reiche Einnahmen damit.
Die Belehrung Battertons ging so weit, daß er eigens nach Stratford reiste,
um dort Erkundigungen über Shakespeare einzuziehen und seinen Notizen ver¬
dankt man Rowes Lebensbeschreibung Shakespeares, in der fünften Ausgabe
der Werke. Bon Batterien bis auf unsere Tage hat sich in England die Tra¬
dition am Theater fortgepflanzt und es ist mehr dem Geschmack der Höfe und
Vornehmen, als dem Amts'eil des Publikums Schuld zu geben, wenn die Mode
der französischen Zeit die Auffassung der shakespeareschen Dramen und ihre Aus¬
nahme verdarb.
Es ist endlich nicht wahr, daß „die ganze romanische Race den britischen
Dichter heute noch fast ungenießbar findet". Gleichzeitig mit seiner Einführung
in Deutschland beginnt Shakespeare in Frankreich Boden zu gewinnen, an den¬
selben Stücken und mit denselben Berstümmelungen, wie bei uns, die nur
größer waren, weil der herrschende Zeitgeschmack eben von Frankreich ausging.
Bedeutende Mitglieder der Akademie haben sich beeifert, dem englischen Dichter
durch Bearbeitungen -gerecht zu werden, aus seinen Stücken wurde immer mehr
von der französischen Zuthat entfernt, immer mehr von dem Ursprünglichen
hergestellt, grade wie in Deutschland, bis Benjamin Laroche in der Borrede
seiner mit ebenso viel Pietät als Verständniß durchgeführten vollständigen Ueber-
setzung der shakespeareschen Dramen ausrufen darf: „Wo sind die Zeiten hin,
da Boltaire von der Höhe seines akademischen Stolzes herab Shakespeare als
Barbaren, als betrunkenen Wilden kennzeichnete; da Letourneur in seiner
schleppenden und farblosen Prosa die energische und naive Ausdrucksweise des
Schwans vom Avon unter dem lächerlichen Pomp seiner Umschreibungen erstickte
und ohne Weiteres die Scenen, die ihm nicht behagten, mit Stillschweigen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |