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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Auch das Tabakrauchen war nichts DespectirlicheS, sondern so gebräuchlich,
wie noch heute in Holland; oder wie könnte man sonst das Verbot der Obrig.
seit der Universität Oxford deuten, welche das Tabakrauchen in der Kirche ver¬
bot, "wegen der zu großen Masse des Qualms".

Aber, meint Herr Rümelin, den Ton gaben doch die Junker an und ihre
Coteriespäße würzten Shakespeares Stücke, seine Helden mußte er aus dem Adel
wählen und das bürgerliche Drama vernachlässigen, das seine Zeitgenossen cul-
tiviren. -- Da Shakespeare vor demselben Publikum spielte, wie seine Zeit¬
genossen und alle glänzende Geschäfte machten, so begreife ich nicht, wie Shake-,
speare einer Rücksicht unterworfen gewesen sein kann, die seine Rivalen nicht
zu nehmen hatten. Daß Shakespeare mit den Vertretern des bürgerlichen Lust¬
spiels, Ben Jonson und seiner Schule nicht zusammengeworfen werden darf,
weil diese als Gründer einer neuen Gattung gewissermaßen einer späteren
Periode angehören, während Shakespeare die Elemente der alten Schule in sich
vereinte, erfüllte und erschöpfte, ist hier nicht zu erörtern.

Den Junkereinfluß auf die Wahl der shakespeareschen Stoffe soll man in
dessen Stücken wahrnehmen? -- Kurz ein paar Beispiele, die directen Bezug
auf die Bühne haben. Sagt nicht Hamlet über den Polonius, den echten Ver¬
treter des Hofgeschmackes: "Er mag gern eine Posse oder eine Zotengeschichte,
sonst schläft er ein --?" oder zeigt nicht der als Lord verkleidete Kesselflicker in
der "bezähmten Widerspenstigen" mit seinen Fragen, während er das Stück auf
der Bühne mit anschaut, deutlich genug: wie die Schauspieler den Kunstsinn
dieses vornehmen Theils des Publikums ansahen? Wie kommen denn über¬
haupt die Höflinge davon? Nicht der "alte närrische Schwätzer" Polonius.
auch die jungen Cavaliere, Rosenkranz. Güldenstern, Osrick, Christoph von
Bleichenwang? oder das ganze Lustspiel "Wie es euch gefällt", das die Nichtig¬
keiten des Schranzenthums in allen Abstufungen vom melancholistrenden Gern¬
redner, durch den affectirter Le Beau bis zum brutalen Genüßling. den Hof¬
narren herab geißelt?

. In wie fern Gustav Rümelins Ausnahme von seiner Regel. "Die lustigen
Weiber", dieselbe bestätigen soll, ist mir nicht klar. Wenn hierin offenbar das
lasterhafte Junkerthum an den Bürgerstand Preis gegeben wird, so kann ich
sonst dagegen nirgend finden, daß bürgerliche Stände. Geistliche, Schulmeister
und Polizei als solche lächerlich gemacht würden, vielmehr sehen wir nur ihre
Ausartungen gegeißelt, die heutigen Tages wie damals bespottet werden. Räth
doch z. B. Jacques, indem der elende Textdreher gehöhnt wird, sogleich dem
Narren einen ordentlichen Geistlichen zu nehmen. Uns dünkt, schon dieses kleine
Beispiel zeigt, daß Shakespeare nicht den Stand, sondern dessen profanirende
Entartung habe treffen wollen. Es kann nur absichtliches Verkennen sein, zu
sagen: "Bürgermeister, Friedensrichter, Gelehrte, Geistliche, Aerzte finden wir


Auch das Tabakrauchen war nichts DespectirlicheS, sondern so gebräuchlich,
wie noch heute in Holland; oder wie könnte man sonst das Verbot der Obrig.
seit der Universität Oxford deuten, welche das Tabakrauchen in der Kirche ver¬
bot, „wegen der zu großen Masse des Qualms".

Aber, meint Herr Rümelin, den Ton gaben doch die Junker an und ihre
Coteriespäße würzten Shakespeares Stücke, seine Helden mußte er aus dem Adel
wählen und das bürgerliche Drama vernachlässigen, das seine Zeitgenossen cul-
tiviren. — Da Shakespeare vor demselben Publikum spielte, wie seine Zeit¬
genossen und alle glänzende Geschäfte machten, so begreife ich nicht, wie Shake-,
speare einer Rücksicht unterworfen gewesen sein kann, die seine Rivalen nicht
zu nehmen hatten. Daß Shakespeare mit den Vertretern des bürgerlichen Lust¬
spiels, Ben Jonson und seiner Schule nicht zusammengeworfen werden darf,
weil diese als Gründer einer neuen Gattung gewissermaßen einer späteren
Periode angehören, während Shakespeare die Elemente der alten Schule in sich
vereinte, erfüllte und erschöpfte, ist hier nicht zu erörtern.

Den Junkereinfluß auf die Wahl der shakespeareschen Stoffe soll man in
dessen Stücken wahrnehmen? — Kurz ein paar Beispiele, die directen Bezug
auf die Bühne haben. Sagt nicht Hamlet über den Polonius, den echten Ver¬
treter des Hofgeschmackes: „Er mag gern eine Posse oder eine Zotengeschichte,
sonst schläft er ein —?" oder zeigt nicht der als Lord verkleidete Kesselflicker in
der „bezähmten Widerspenstigen" mit seinen Fragen, während er das Stück auf
der Bühne mit anschaut, deutlich genug: wie die Schauspieler den Kunstsinn
dieses vornehmen Theils des Publikums ansahen? Wie kommen denn über¬
haupt die Höflinge davon? Nicht der „alte närrische Schwätzer" Polonius.
auch die jungen Cavaliere, Rosenkranz. Güldenstern, Osrick, Christoph von
Bleichenwang? oder das ganze Lustspiel „Wie es euch gefällt", das die Nichtig¬
keiten des Schranzenthums in allen Abstufungen vom melancholistrenden Gern¬
redner, durch den affectirter Le Beau bis zum brutalen Genüßling. den Hof¬
narren herab geißelt?

. In wie fern Gustav Rümelins Ausnahme von seiner Regel. „Die lustigen
Weiber", dieselbe bestätigen soll, ist mir nicht klar. Wenn hierin offenbar das
lasterhafte Junkerthum an den Bürgerstand Preis gegeben wird, so kann ich
sonst dagegen nirgend finden, daß bürgerliche Stände. Geistliche, Schulmeister
und Polizei als solche lächerlich gemacht würden, vielmehr sehen wir nur ihre
Ausartungen gegeißelt, die heutigen Tages wie damals bespottet werden. Räth
doch z. B. Jacques, indem der elende Textdreher gehöhnt wird, sogleich dem
Narren einen ordentlichen Geistlichen zu nehmen. Uns dünkt, schon dieses kleine
Beispiel zeigt, daß Shakespeare nicht den Stand, sondern dessen profanirende
Entartung habe treffen wollen. Es kann nur absichtliches Verkennen sein, zu
sagen: „Bürgermeister, Friedensrichter, Gelehrte, Geistliche, Aerzte finden wir


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[0198] Auch das Tabakrauchen war nichts DespectirlicheS, sondern so gebräuchlich, wie noch heute in Holland; oder wie könnte man sonst das Verbot der Obrig. seit der Universität Oxford deuten, welche das Tabakrauchen in der Kirche ver¬ bot, „wegen der zu großen Masse des Qualms". Aber, meint Herr Rümelin, den Ton gaben doch die Junker an und ihre Coteriespäße würzten Shakespeares Stücke, seine Helden mußte er aus dem Adel wählen und das bürgerliche Drama vernachlässigen, das seine Zeitgenossen cul- tiviren. — Da Shakespeare vor demselben Publikum spielte, wie seine Zeit¬ genossen und alle glänzende Geschäfte machten, so begreife ich nicht, wie Shake-, speare einer Rücksicht unterworfen gewesen sein kann, die seine Rivalen nicht zu nehmen hatten. Daß Shakespeare mit den Vertretern des bürgerlichen Lust¬ spiels, Ben Jonson und seiner Schule nicht zusammengeworfen werden darf, weil diese als Gründer einer neuen Gattung gewissermaßen einer späteren Periode angehören, während Shakespeare die Elemente der alten Schule in sich vereinte, erfüllte und erschöpfte, ist hier nicht zu erörtern. Den Junkereinfluß auf die Wahl der shakespeareschen Stoffe soll man in dessen Stücken wahrnehmen? — Kurz ein paar Beispiele, die directen Bezug auf die Bühne haben. Sagt nicht Hamlet über den Polonius, den echten Ver¬ treter des Hofgeschmackes: „Er mag gern eine Posse oder eine Zotengeschichte, sonst schläft er ein —?" oder zeigt nicht der als Lord verkleidete Kesselflicker in der „bezähmten Widerspenstigen" mit seinen Fragen, während er das Stück auf der Bühne mit anschaut, deutlich genug: wie die Schauspieler den Kunstsinn dieses vornehmen Theils des Publikums ansahen? Wie kommen denn über¬ haupt die Höflinge davon? Nicht der „alte närrische Schwätzer" Polonius. auch die jungen Cavaliere, Rosenkranz. Güldenstern, Osrick, Christoph von Bleichenwang? oder das ganze Lustspiel „Wie es euch gefällt", das die Nichtig¬ keiten des Schranzenthums in allen Abstufungen vom melancholistrenden Gern¬ redner, durch den affectirter Le Beau bis zum brutalen Genüßling. den Hof¬ narren herab geißelt? . In wie fern Gustav Rümelins Ausnahme von seiner Regel. „Die lustigen Weiber", dieselbe bestätigen soll, ist mir nicht klar. Wenn hierin offenbar das lasterhafte Junkerthum an den Bürgerstand Preis gegeben wird, so kann ich sonst dagegen nirgend finden, daß bürgerliche Stände. Geistliche, Schulmeister und Polizei als solche lächerlich gemacht würden, vielmehr sehen wir nur ihre Ausartungen gegeißelt, die heutigen Tages wie damals bespottet werden. Räth doch z. B. Jacques, indem der elende Textdreher gehöhnt wird, sogleich dem Narren einen ordentlichen Geistlichen zu nehmen. Uns dünkt, schon dieses kleine Beispiel zeigt, daß Shakespeare nicht den Stand, sondern dessen profanirende Entartung habe treffen wollen. Es kann nur absichtliches Verkennen sein, zu sagen: „Bürgermeister, Friedensrichter, Gelehrte, Geistliche, Aerzte finden wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/198>, abgerufen am 04.07.2024.