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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Veränderungen anvertraut werden muß. Nicht an gutem Willen und Eifer
wird es ihnen fehlen, wohl aber an unbefangener Würdigung der örtlichen
Zustände, und wie wir befürchten, zuweilen an frischer Kraft und großem Or¬
ganisationstalent. Wir alle wissen, daß rü Preußen selbst Gesetzgebung und
Verwaltung in manchem hinter den Forderungen der Zeit zurückgeblieben sind,
das läßt sich nicht im Augenblick nachholen, keinenfalls ohne Personenwechsel.

Unläugbar ist das sehr unbequem, es wird immer wieder verstimmen, und
eine wirkliche Vereinigung der Interessen und der Gemüther wird erst dann
stattfinden, wenn die neuen Preußen durch ihre erwählten Volksvertreter mit
den übrigen zusammen berathen. Unterdeß aber möchten wir doch werthen
Freunden in Hannover, Hessen. Nassau, Frankfurt einen Wunsch an das Herz
legen. Auch diejenigen, welche den Werth der Verbindung mit Preußen wohl
zu schätzen wissen, sind durch die Ereignisse dieses Jahres überrascht worden.
Daß die Einverleibung ohne jedes Zuthun der Völker stattfand, unter Waffen¬
lärm, durch einen Frieden, der hinter den böhmischen Bergen geschlossen wurde,
das hat alle Männer friedlicher Thätigkeit in eine passive Stellung gebracht,
deren Uebelstände jetzt fühlbar werden. Wir haben erlebt, daß über uns ver¬
fügt wurde, und deshalb beharren viele Wohlgesinnte noch jetzt in der Rolle
theilnehmender Kritiker, und weitverbreitet ist die Stimmung, den Preußen
allein liege ob, jetzt alles, was sie so selbstwillig begonnen, zum Ende zu führen.
Solche Stimmung wird genährt durch eine gewisse deutsche Unbehilflichkeit,
welche jede Thätigkeit, die nicht im gewohnten Gleise verläuft, von sich abhält,
'bei manchen der Besten durch ein stolzes Zartgefühl, welches verbietet, daß man
sich anträgt und Aufforderung und Entgegenkommen beansprucht. Ueberall
giebt es rühmliche Ausnahmen, aber irren wir nicht, so steht die Mehrzahl der
preußisch Gesinnten immer noch wie der Chor in der Tragödie mit Beistim-
mung, Seufzer und Klage.

Jetzt aber ist keine Zeit zu solcher Zurückhaltung. Jeder patriotische
Mann, dem um die Sache zu thun ist, d. h. um das höchste Interesse des
jetztlebenden Geschlechtes, muß erkennen, daß dies die Tage sind, wo ihm die
Pflicht gebietet, sich selbst zum Wohl seines Vaterlandes einzusetzen; wird er
nicht gesucht, so soll er sich anbieten, selbst wenn unrichtige Auffassung der
preußischen Negierung sein Erbieten nicht nach seinem Werth würdigt, soll er
sich nicht schweigend zurückziehen; es giebt viele Wege, ein Ziel zu erreichen,
die Presse, Adressen . Versammlungen. Deputationen haben jetzt entscheidende
Bedeutung gewonnen. Wer Schädliches zu hindern vermöchte, und thut es
nicht, auch der begeht ein Unrecht" und verletzt eine große patriotische
Pflicht.

Durch die Beendigung des Krieges.ist uns keineswegs ein sicherer Friede
geschenkt, in welchem die Volkskraft ruhig ihre Neubildungen zeitigen kann.


Veränderungen anvertraut werden muß. Nicht an gutem Willen und Eifer
wird es ihnen fehlen, wohl aber an unbefangener Würdigung der örtlichen
Zustände, und wie wir befürchten, zuweilen an frischer Kraft und großem Or¬
ganisationstalent. Wir alle wissen, daß rü Preußen selbst Gesetzgebung und
Verwaltung in manchem hinter den Forderungen der Zeit zurückgeblieben sind,
das läßt sich nicht im Augenblick nachholen, keinenfalls ohne Personenwechsel.

Unläugbar ist das sehr unbequem, es wird immer wieder verstimmen, und
eine wirkliche Vereinigung der Interessen und der Gemüther wird erst dann
stattfinden, wenn die neuen Preußen durch ihre erwählten Volksvertreter mit
den übrigen zusammen berathen. Unterdeß aber möchten wir doch werthen
Freunden in Hannover, Hessen. Nassau, Frankfurt einen Wunsch an das Herz
legen. Auch diejenigen, welche den Werth der Verbindung mit Preußen wohl
zu schätzen wissen, sind durch die Ereignisse dieses Jahres überrascht worden.
Daß die Einverleibung ohne jedes Zuthun der Völker stattfand, unter Waffen¬
lärm, durch einen Frieden, der hinter den böhmischen Bergen geschlossen wurde,
das hat alle Männer friedlicher Thätigkeit in eine passive Stellung gebracht,
deren Uebelstände jetzt fühlbar werden. Wir haben erlebt, daß über uns ver¬
fügt wurde, und deshalb beharren viele Wohlgesinnte noch jetzt in der Rolle
theilnehmender Kritiker, und weitverbreitet ist die Stimmung, den Preußen
allein liege ob, jetzt alles, was sie so selbstwillig begonnen, zum Ende zu führen.
Solche Stimmung wird genährt durch eine gewisse deutsche Unbehilflichkeit,
welche jede Thätigkeit, die nicht im gewohnten Gleise verläuft, von sich abhält,
'bei manchen der Besten durch ein stolzes Zartgefühl, welches verbietet, daß man
sich anträgt und Aufforderung und Entgegenkommen beansprucht. Ueberall
giebt es rühmliche Ausnahmen, aber irren wir nicht, so steht die Mehrzahl der
preußisch Gesinnten immer noch wie der Chor in der Tragödie mit Beistim-
mung, Seufzer und Klage.

Jetzt aber ist keine Zeit zu solcher Zurückhaltung. Jeder patriotische
Mann, dem um die Sache zu thun ist, d. h. um das höchste Interesse des
jetztlebenden Geschlechtes, muß erkennen, daß dies die Tage sind, wo ihm die
Pflicht gebietet, sich selbst zum Wohl seines Vaterlandes einzusetzen; wird er
nicht gesucht, so soll er sich anbieten, selbst wenn unrichtige Auffassung der
preußischen Negierung sein Erbieten nicht nach seinem Werth würdigt, soll er
sich nicht schweigend zurückziehen; es giebt viele Wege, ein Ziel zu erreichen,
die Presse, Adressen . Versammlungen. Deputationen haben jetzt entscheidende
Bedeutung gewonnen. Wer Schädliches zu hindern vermöchte, und thut es
nicht, auch der begeht ein Unrecht» und verletzt eine große patriotische
Pflicht.

Durch die Beendigung des Krieges.ist uns keineswegs ein sicherer Friede
geschenkt, in welchem die Volkskraft ruhig ihre Neubildungen zeitigen kann.


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[0185] Veränderungen anvertraut werden muß. Nicht an gutem Willen und Eifer wird es ihnen fehlen, wohl aber an unbefangener Würdigung der örtlichen Zustände, und wie wir befürchten, zuweilen an frischer Kraft und großem Or¬ ganisationstalent. Wir alle wissen, daß rü Preußen selbst Gesetzgebung und Verwaltung in manchem hinter den Forderungen der Zeit zurückgeblieben sind, das läßt sich nicht im Augenblick nachholen, keinenfalls ohne Personenwechsel. Unläugbar ist das sehr unbequem, es wird immer wieder verstimmen, und eine wirkliche Vereinigung der Interessen und der Gemüther wird erst dann stattfinden, wenn die neuen Preußen durch ihre erwählten Volksvertreter mit den übrigen zusammen berathen. Unterdeß aber möchten wir doch werthen Freunden in Hannover, Hessen. Nassau, Frankfurt einen Wunsch an das Herz legen. Auch diejenigen, welche den Werth der Verbindung mit Preußen wohl zu schätzen wissen, sind durch die Ereignisse dieses Jahres überrascht worden. Daß die Einverleibung ohne jedes Zuthun der Völker stattfand, unter Waffen¬ lärm, durch einen Frieden, der hinter den böhmischen Bergen geschlossen wurde, das hat alle Männer friedlicher Thätigkeit in eine passive Stellung gebracht, deren Uebelstände jetzt fühlbar werden. Wir haben erlebt, daß über uns ver¬ fügt wurde, und deshalb beharren viele Wohlgesinnte noch jetzt in der Rolle theilnehmender Kritiker, und weitverbreitet ist die Stimmung, den Preußen allein liege ob, jetzt alles, was sie so selbstwillig begonnen, zum Ende zu führen. Solche Stimmung wird genährt durch eine gewisse deutsche Unbehilflichkeit, welche jede Thätigkeit, die nicht im gewohnten Gleise verläuft, von sich abhält, 'bei manchen der Besten durch ein stolzes Zartgefühl, welches verbietet, daß man sich anträgt und Aufforderung und Entgegenkommen beansprucht. Ueberall giebt es rühmliche Ausnahmen, aber irren wir nicht, so steht die Mehrzahl der preußisch Gesinnten immer noch wie der Chor in der Tragödie mit Beistim- mung, Seufzer und Klage. Jetzt aber ist keine Zeit zu solcher Zurückhaltung. Jeder patriotische Mann, dem um die Sache zu thun ist, d. h. um das höchste Interesse des jetztlebenden Geschlechtes, muß erkennen, daß dies die Tage sind, wo ihm die Pflicht gebietet, sich selbst zum Wohl seines Vaterlandes einzusetzen; wird er nicht gesucht, so soll er sich anbieten, selbst wenn unrichtige Auffassung der preußischen Negierung sein Erbieten nicht nach seinem Werth würdigt, soll er sich nicht schweigend zurückziehen; es giebt viele Wege, ein Ziel zu erreichen, die Presse, Adressen . Versammlungen. Deputationen haben jetzt entscheidende Bedeutung gewonnen. Wer Schädliches zu hindern vermöchte, und thut es nicht, auch der begeht ein Unrecht» und verletzt eine große patriotische Pflicht. Durch die Beendigung des Krieges.ist uns keineswegs ein sicherer Friede geschenkt, in welchem die Volkskraft ruhig ihre Neubildungen zeitigen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/185>, abgerufen am 24.08.2024.