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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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aller Weihrauch fern bleiben. Was in aller Welt soll es heißen, wenn man
Fünfgrvschenstücke, die sein Bild tragen, in Gold gefaßt an der Uhrkette trägt,,
wie man es bei genug gebildeten Leuten der höheren Classe sehen kann; oder
was soll das Fernbleiben vom Theater, über dessen gefürchtet? Schließung man
im, voraus mit hartem Vorwurf gegen Preußen jammerte; endlich, was denkt
man sich bei der herausfordernden Trauerkleidung, die bereits gebührende Rüge
gefunden hat? Das abstoßende Verhalten gegen die preußischen Truppen mag
Nachsicht finden, so lange das Schicksal der hannoverschen Armee, deren Offiziere
jetzt durchweg Civilkleidung tragen, unentschieden ist; aber wenn man mit
Ostentation fortfährt, vom Eintritt nicht nur vieler Kapitulanten, sondern auch
anderer Landeskinder in die östreichische Armee zu reden, so vergesse man nicht,
daß hierbei von Desertion die Rede ist, und daß die Strenge des preußischen
Militärgesetzes lieber unversucht bleibt!

Alle diese kleinen Züge des Widerspruchs sind zwar keineswegs siciats-
gefährlicb; aber sie stehen verständigen und gradsinnigen Norddeutschen schlecht
zu Gesicht. Denn leider bleibt nur die Wahl, sie entweder für unreife Faselei
oder für Speculation auf Rückkehr des Vertriebenen zu halten. Nach der über¬
langen politischen Passivität des Volkes ist diese Wahrnehmung höchst un¬
erfreulich und sie bestätigt nur, wie hohe Zeit es war, daß die Hannoveraner
Preußen d. h. active Bürger eines wirklichen Staates wurden.

Von sehr vielen verständigen Leuten des bürgerlichen Mittelstandes, auch
in der Residenz, muß man loben, daß sie der larmoyanten Sympathie für den
Exkönig, die ich unter ihnen selbst als ..Pudeltreue" habe belächeln hören,
fremd sind. Aber wenn der Blinde auch diesen Ausgang verdient hat -- so
sagt man -- warum ist uns der Kronprinz nicht zurückgegeben worden; er ist
unschuldig an der traurigen Politik des Vaters und überdies hatte Preußen die
Macht, sein Regiment durch alle möglichen Conventionen einzuengen. Weicht
auch dieser Einwurf der Vorstellung, daß durch ein solches Arrangement eine
in jedem Betracht unbefriedigende, für Herren und Unterthanen gleich pein¬
liche Doppelciutorität constituirt wurde, dann heißt es: Was hat das Land
verbrochen, daß man ihm seine Verfassung nimmt? Den thätigen Liberalen,
welche in der Kammer gegen die Handgriffe König Georgs mannhaften Protest
erhoben haben, mag des Landes Constitutionsurkunde den Werth haben, den
jedes Schmerzenskind für die hat. die es beim Leben erhielten; über die ab¬
solute Vortrefflichkeit mögen Kundigere urtheilen; bei den Meisten, welche dies,
Stichwort zu dem ihrigen gemacht haben, bedeutet es nicbt viel mehr als gei¬
stige Bequemlichkeit und die bekannte Liebhaberei des Eigenthums. Unsere Ver¬
fassung, so hört man. mag so gut oder so schlecht sein wie sie will, sie ist
unser Erwerb, unser Nechtsfundament; das ist Grund genug, um daran fest-


aller Weihrauch fern bleiben. Was in aller Welt soll es heißen, wenn man
Fünfgrvschenstücke, die sein Bild tragen, in Gold gefaßt an der Uhrkette trägt,,
wie man es bei genug gebildeten Leuten der höheren Classe sehen kann; oder
was soll das Fernbleiben vom Theater, über dessen gefürchtet? Schließung man
im, voraus mit hartem Vorwurf gegen Preußen jammerte; endlich, was denkt
man sich bei der herausfordernden Trauerkleidung, die bereits gebührende Rüge
gefunden hat? Das abstoßende Verhalten gegen die preußischen Truppen mag
Nachsicht finden, so lange das Schicksal der hannoverschen Armee, deren Offiziere
jetzt durchweg Civilkleidung tragen, unentschieden ist; aber wenn man mit
Ostentation fortfährt, vom Eintritt nicht nur vieler Kapitulanten, sondern auch
anderer Landeskinder in die östreichische Armee zu reden, so vergesse man nicht,
daß hierbei von Desertion die Rede ist, und daß die Strenge des preußischen
Militärgesetzes lieber unversucht bleibt!

Alle diese kleinen Züge des Widerspruchs sind zwar keineswegs siciats-
gefährlicb; aber sie stehen verständigen und gradsinnigen Norddeutschen schlecht
zu Gesicht. Denn leider bleibt nur die Wahl, sie entweder für unreife Faselei
oder für Speculation auf Rückkehr des Vertriebenen zu halten. Nach der über¬
langen politischen Passivität des Volkes ist diese Wahrnehmung höchst un¬
erfreulich und sie bestätigt nur, wie hohe Zeit es war, daß die Hannoveraner
Preußen d. h. active Bürger eines wirklichen Staates wurden.

Von sehr vielen verständigen Leuten des bürgerlichen Mittelstandes, auch
in der Residenz, muß man loben, daß sie der larmoyanten Sympathie für den
Exkönig, die ich unter ihnen selbst als ..Pudeltreue" habe belächeln hören,
fremd sind. Aber wenn der Blinde auch diesen Ausgang verdient hat — so
sagt man — warum ist uns der Kronprinz nicht zurückgegeben worden; er ist
unschuldig an der traurigen Politik des Vaters und überdies hatte Preußen die
Macht, sein Regiment durch alle möglichen Conventionen einzuengen. Weicht
auch dieser Einwurf der Vorstellung, daß durch ein solches Arrangement eine
in jedem Betracht unbefriedigende, für Herren und Unterthanen gleich pein¬
liche Doppelciutorität constituirt wurde, dann heißt es: Was hat das Land
verbrochen, daß man ihm seine Verfassung nimmt? Den thätigen Liberalen,
welche in der Kammer gegen die Handgriffe König Georgs mannhaften Protest
erhoben haben, mag des Landes Constitutionsurkunde den Werth haben, den
jedes Schmerzenskind für die hat. die es beim Leben erhielten; über die ab¬
solute Vortrefflichkeit mögen Kundigere urtheilen; bei den Meisten, welche dies,
Stichwort zu dem ihrigen gemacht haben, bedeutet es nicbt viel mehr als gei¬
stige Bequemlichkeit und die bekannte Liebhaberei des Eigenthums. Unsere Ver¬
fassung, so hört man. mag so gut oder so schlecht sein wie sie will, sie ist
unser Erwerb, unser Nechtsfundament; das ist Grund genug, um daran fest-


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[0174] aller Weihrauch fern bleiben. Was in aller Welt soll es heißen, wenn man Fünfgrvschenstücke, die sein Bild tragen, in Gold gefaßt an der Uhrkette trägt,, wie man es bei genug gebildeten Leuten der höheren Classe sehen kann; oder was soll das Fernbleiben vom Theater, über dessen gefürchtet? Schließung man im, voraus mit hartem Vorwurf gegen Preußen jammerte; endlich, was denkt man sich bei der herausfordernden Trauerkleidung, die bereits gebührende Rüge gefunden hat? Das abstoßende Verhalten gegen die preußischen Truppen mag Nachsicht finden, so lange das Schicksal der hannoverschen Armee, deren Offiziere jetzt durchweg Civilkleidung tragen, unentschieden ist; aber wenn man mit Ostentation fortfährt, vom Eintritt nicht nur vieler Kapitulanten, sondern auch anderer Landeskinder in die östreichische Armee zu reden, so vergesse man nicht, daß hierbei von Desertion die Rede ist, und daß die Strenge des preußischen Militärgesetzes lieber unversucht bleibt! Alle diese kleinen Züge des Widerspruchs sind zwar keineswegs siciats- gefährlicb; aber sie stehen verständigen und gradsinnigen Norddeutschen schlecht zu Gesicht. Denn leider bleibt nur die Wahl, sie entweder für unreife Faselei oder für Speculation auf Rückkehr des Vertriebenen zu halten. Nach der über¬ langen politischen Passivität des Volkes ist diese Wahrnehmung höchst un¬ erfreulich und sie bestätigt nur, wie hohe Zeit es war, daß die Hannoveraner Preußen d. h. active Bürger eines wirklichen Staates wurden. Von sehr vielen verständigen Leuten des bürgerlichen Mittelstandes, auch in der Residenz, muß man loben, daß sie der larmoyanten Sympathie für den Exkönig, die ich unter ihnen selbst als ..Pudeltreue" habe belächeln hören, fremd sind. Aber wenn der Blinde auch diesen Ausgang verdient hat — so sagt man — warum ist uns der Kronprinz nicht zurückgegeben worden; er ist unschuldig an der traurigen Politik des Vaters und überdies hatte Preußen die Macht, sein Regiment durch alle möglichen Conventionen einzuengen. Weicht auch dieser Einwurf der Vorstellung, daß durch ein solches Arrangement eine in jedem Betracht unbefriedigende, für Herren und Unterthanen gleich pein¬ liche Doppelciutorität constituirt wurde, dann heißt es: Was hat das Land verbrochen, daß man ihm seine Verfassung nimmt? Den thätigen Liberalen, welche in der Kammer gegen die Handgriffe König Georgs mannhaften Protest erhoben haben, mag des Landes Constitutionsurkunde den Werth haben, den jedes Schmerzenskind für die hat. die es beim Leben erhielten; über die ab¬ solute Vortrefflichkeit mögen Kundigere urtheilen; bei den Meisten, welche dies, Stichwort zu dem ihrigen gemacht haben, bedeutet es nicbt viel mehr als gei¬ stige Bequemlichkeit und die bekannte Liebhaberei des Eigenthums. Unsere Ver¬ fassung, so hört man. mag so gut oder so schlecht sein wie sie will, sie ist unser Erwerb, unser Nechtsfundament; das ist Grund genug, um daran fest-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/174>, abgerufen am 04.07.2024.