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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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lehre und Syntax sind gleicherweise berücksichtigt, aber nicht getrennt oder nach
einander, wie es unsere gewohnte Schablone sprachlicher Darstellungen zu ver.
langen pflegt, sondern mit und in einander. Denn es ist die Erkenntniß des
Sprachgeistes in seiner Totalität, auf die hier gezielt wird und nicbt eine
äußere Vollständigkeit des bloßen Sprach Materials oder seine übersichtliche
Gliederung zum Vehufe des Lernens. Ob auch das elementar-sinnliche Element des
Landlebens mit herangezogen worden ist, läßt sich aus den Trümmern nicht
ersehen. Die Vergleichung nach den andern Sprachgruppen, namentlich den
indogermanischen hin. ist zwar nicht unterlassen, aber doch mit großer Resinction
angewandt, ein Zeichen, daß sich damals Rückerts Ansichten über diesen so
äußerst wichtigen Gegenstand noch, nicht zu der scharfen Bestimmtheit durch,
gearbeitet hatten, die sie später erreichten.

Das Interesse für eine solche Vergleichung erwachte bei ihm in dem Mo¬
mente, wo er neben Arabisch zugleich auch Persisch und Sanskrit zu durch-
dringen begann. Er ließ es sich auch nicht durch die ungemeinen Schwierig¬
keiten verkümmern, mit denen diese Forschung umringt ist, noch weniger durch
die Verketzerungen, denen ein solcher freierer Flug über das einmal abgezirkelte
und abgezäunte Feld der Tagesmode in der Wissenschaft hinaus nothwendig
ausgesetzt ist. Niemand hütete sich sorgfältiger vor allem unzulänglichen und
unvorbereiteter Zufahren, wie er: aber wenn jemand mit einem solchen Apparat
von linguistischen Wissen, wie er sich zum zweiten Male bei keinem in dieser
Zeit vereinigt fand, an die Sache herantrat, und wenn dieser jemand noch dazu
mit einem gleichfalls einzigen Maße genialer sprachlicher Intuition ausgerüstet
war, so durfte ein solcher sich auch wohl an etwas wagen, dem aus praktischen
Gründen schwächere Kräfte fern bleiben mußten. Wenn dies recht und billig
ist und keiner an sie die Forderung des Unmöglichen stellen wird, so scheint es
umgekehrt gleichfalls recht und billig, den Genius auch auf seinem separaten
Wege gewähren zu lassen. Doch man weiß ja, wie es hier und anderwärts
mit der Reciprocität bestellt ist. Auch Rückert wäre gewiß nicht dem zornigen
oder höhnischen Gebelfer entgangen, wenn er die Früchte seiner bis zuletzt mit
immer wachsendem Eifer fortgesetzten vergleichenden Sprachstudien auf den
Markt gebracht hätte. Daß er es nicht that, war nicht etwa Scheu vor dem
Arts'eil der Schule, sondern einfache Folge des eben erwähnten Umstandes.
Wäre es ihm vergönnt gewesen bei längerer Lebensdauer zu einem Abschluß zu
gelangen, so würde er auch nicht gezögert haben die Resultate seiner wissen¬
schaftlichen Thätigkeit hier wie anderwärts klar und bestimmt zu ziehen, ohne
daß er sie deshalb auch sofort dem Drucke übergeben hätte. Aber er ist auch
sich selbst gegenüber hier wohl zu einem vorläufigen innern, doch zu keinem
äußern Abschluß gekommen.

Für die Periode des Vorwiegens semitischer Studien kann die Vollendung


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lehre und Syntax sind gleicherweise berücksichtigt, aber nicht getrennt oder nach
einander, wie es unsere gewohnte Schablone sprachlicher Darstellungen zu ver.
langen pflegt, sondern mit und in einander. Denn es ist die Erkenntniß des
Sprachgeistes in seiner Totalität, auf die hier gezielt wird und nicbt eine
äußere Vollständigkeit des bloßen Sprach Materials oder seine übersichtliche
Gliederung zum Vehufe des Lernens. Ob auch das elementar-sinnliche Element des
Landlebens mit herangezogen worden ist, läßt sich aus den Trümmern nicht
ersehen. Die Vergleichung nach den andern Sprachgruppen, namentlich den
indogermanischen hin. ist zwar nicht unterlassen, aber doch mit großer Resinction
angewandt, ein Zeichen, daß sich damals Rückerts Ansichten über diesen so
äußerst wichtigen Gegenstand noch, nicht zu der scharfen Bestimmtheit durch,
gearbeitet hatten, die sie später erreichten.

Das Interesse für eine solche Vergleichung erwachte bei ihm in dem Mo¬
mente, wo er neben Arabisch zugleich auch Persisch und Sanskrit zu durch-
dringen begann. Er ließ es sich auch nicht durch die ungemeinen Schwierig¬
keiten verkümmern, mit denen diese Forschung umringt ist, noch weniger durch
die Verketzerungen, denen ein solcher freierer Flug über das einmal abgezirkelte
und abgezäunte Feld der Tagesmode in der Wissenschaft hinaus nothwendig
ausgesetzt ist. Niemand hütete sich sorgfältiger vor allem unzulänglichen und
unvorbereiteter Zufahren, wie er: aber wenn jemand mit einem solchen Apparat
von linguistischen Wissen, wie er sich zum zweiten Male bei keinem in dieser
Zeit vereinigt fand, an die Sache herantrat, und wenn dieser jemand noch dazu
mit einem gleichfalls einzigen Maße genialer sprachlicher Intuition ausgerüstet
war, so durfte ein solcher sich auch wohl an etwas wagen, dem aus praktischen
Gründen schwächere Kräfte fern bleiben mußten. Wenn dies recht und billig
ist und keiner an sie die Forderung des Unmöglichen stellen wird, so scheint es
umgekehrt gleichfalls recht und billig, den Genius auch auf seinem separaten
Wege gewähren zu lassen. Doch man weiß ja, wie es hier und anderwärts
mit der Reciprocität bestellt ist. Auch Rückert wäre gewiß nicht dem zornigen
oder höhnischen Gebelfer entgangen, wenn er die Früchte seiner bis zuletzt mit
immer wachsendem Eifer fortgesetzten vergleichenden Sprachstudien auf den
Markt gebracht hätte. Daß er es nicht that, war nicht etwa Scheu vor dem
Arts'eil der Schule, sondern einfache Folge des eben erwähnten Umstandes.
Wäre es ihm vergönnt gewesen bei längerer Lebensdauer zu einem Abschluß zu
gelangen, so würde er auch nicht gezögert haben die Resultate seiner wissen¬
schaftlichen Thätigkeit hier wie anderwärts klar und bestimmt zu ziehen, ohne
daß er sie deshalb auch sofort dem Drucke übergeben hätte. Aber er ist auch
sich selbst gegenüber hier wohl zu einem vorläufigen innern, doch zu keinem
äußern Abschluß gekommen.

Für die Periode des Vorwiegens semitischer Studien kann die Vollendung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/163>, abgerufen am 25.07.2024.