Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

müssen einige solcher Verbesserungen, die durchweg metrischer und rhythmischer
'Art sind, noch aus den allerletzten Lebensmonaten stammen.

Schon viel früher, noch in den dreißiger Jahren versuchte er die ganze
Kraft und den Reichthum seiner Sprach- und Verskunst an dem vielleicht gro߬
artigsten Objecte, das die gesammte Poesie des Alterthums darbietet, an einer
Uebersetzung der Vögel des Aristophanes. Die Kunde von diesem Versuche ist
seiner Zeit in das Publikum gedrungen und jeder, der Friedrich Rückert zu
würdigen verstand und zugleich einen Begriff von dem Wesen der ariftophaneischen
Poesie hatte, erwartete die Resultate davon mit höchster Spannung. Doch ist
das gleichfalls druckfettige und durch spätere Revisionen nur wenig veränderte
Manuscript eben nur Manuscript geblieben, wahrscheinlich weil er seinen Vor¬
satz, mehre aristophaneische Komödien und nicht blos diese eine zu übersetzen,
im Drange andrer Studien damals nicht ausführen konnte und später noch
weniger darauf zurückzukommen gestimmt war. Bis zuletzt aber pflegte er seine
grenzenlose Bewunderung des Aristophanes als Künstler und namentlich als
einziger und unübertroffener Muster des Verses auszusprechen. Dies scheint ihn
überhaupt zu ihm hingezogen zu haben: der Inhalt und die Stimmung der
attischen Komödie war sonst, wie sich leicht denken läßt, seiner durchaus posi¬
tiven, reinen und harmonischen Seele keineswegs homogen und es kann kein
Zweifel darüber obwalten, daß er sich aus diesem Grunde von einer Arbeit
abwandte, die ihn, so zu sagen, nur von der technischen Seite her anziehen
konnte, während er ihre ethische Substanz ungenießbar fand. Natürlich trat
mit dem wachsenden Ernste des eigenen innern Lebens grade diese Rücksicht
allmälig in ganz andrer Kraft an ihn heran, als in den früheren Jahren, wo
sich der Mensch in dem Dichter noch eher dem bloßen Techniker oder Künstler
unterordnen mochte. Jene in Stoff und Form an Aristophanes angelehnten
Gebilde, die beiden Theile der politischen Komödie, Napoleon und andere dem
Publikum noch völlig unbekannte ähnliche Erzeugnisse frühester Zeit wären
später nicht denkbar gewesen.

In nächster Beziehung zu dieser vielseitigen und durchweg productiven
Thätigkeit auf dem Felde der griechischen Literatur stand auch sein Antheil an
der lateinischen Sprache und ihrer Literatur. Als Philolog vom Fache in
der älteren beschränkten Bedeutung, wo damit nur Griechisch und Lateinisch ge¬
meint war, hatte er seine öffentliche gelehrte Thätigkeit begonnen. Seine Vor¬
lesungen in Jena nach seiner Habilitation, die er übrigens nicht lang-e fort¬
setzte, sondern schon Ende 1812 abbrach, erstreckten sich auf streng philologische
Gegenstände. Es lag in der damaligen Richtung der Philologie, welche selbst
wieder durch die Einflüsse der allgemeinen Bildung bestimmt wurde, daß das
Lateinische sein früheres unverhältnißmäßiges Uebergewicht an das berechtigtere
Griechische hatte abtreten müssen. Nichts desto weniger beherrschte Rückert das


Grenzboten IV. 18K6. 18

müssen einige solcher Verbesserungen, die durchweg metrischer und rhythmischer
'Art sind, noch aus den allerletzten Lebensmonaten stammen.

Schon viel früher, noch in den dreißiger Jahren versuchte er die ganze
Kraft und den Reichthum seiner Sprach- und Verskunst an dem vielleicht gro߬
artigsten Objecte, das die gesammte Poesie des Alterthums darbietet, an einer
Uebersetzung der Vögel des Aristophanes. Die Kunde von diesem Versuche ist
seiner Zeit in das Publikum gedrungen und jeder, der Friedrich Rückert zu
würdigen verstand und zugleich einen Begriff von dem Wesen der ariftophaneischen
Poesie hatte, erwartete die Resultate davon mit höchster Spannung. Doch ist
das gleichfalls druckfettige und durch spätere Revisionen nur wenig veränderte
Manuscript eben nur Manuscript geblieben, wahrscheinlich weil er seinen Vor¬
satz, mehre aristophaneische Komödien und nicht blos diese eine zu übersetzen,
im Drange andrer Studien damals nicht ausführen konnte und später noch
weniger darauf zurückzukommen gestimmt war. Bis zuletzt aber pflegte er seine
grenzenlose Bewunderung des Aristophanes als Künstler und namentlich als
einziger und unübertroffener Muster des Verses auszusprechen. Dies scheint ihn
überhaupt zu ihm hingezogen zu haben: der Inhalt und die Stimmung der
attischen Komödie war sonst, wie sich leicht denken läßt, seiner durchaus posi¬
tiven, reinen und harmonischen Seele keineswegs homogen und es kann kein
Zweifel darüber obwalten, daß er sich aus diesem Grunde von einer Arbeit
abwandte, die ihn, so zu sagen, nur von der technischen Seite her anziehen
konnte, während er ihre ethische Substanz ungenießbar fand. Natürlich trat
mit dem wachsenden Ernste des eigenen innern Lebens grade diese Rücksicht
allmälig in ganz andrer Kraft an ihn heran, als in den früheren Jahren, wo
sich der Mensch in dem Dichter noch eher dem bloßen Techniker oder Künstler
unterordnen mochte. Jene in Stoff und Form an Aristophanes angelehnten
Gebilde, die beiden Theile der politischen Komödie, Napoleon und andere dem
Publikum noch völlig unbekannte ähnliche Erzeugnisse frühester Zeit wären
später nicht denkbar gewesen.

In nächster Beziehung zu dieser vielseitigen und durchweg productiven
Thätigkeit auf dem Felde der griechischen Literatur stand auch sein Antheil an
der lateinischen Sprache und ihrer Literatur. Als Philolog vom Fache in
der älteren beschränkten Bedeutung, wo damit nur Griechisch und Lateinisch ge¬
meint war, hatte er seine öffentliche gelehrte Thätigkeit begonnen. Seine Vor¬
lesungen in Jena nach seiner Habilitation, die er übrigens nicht lang-e fort¬
setzte, sondern schon Ende 1812 abbrach, erstreckten sich auf streng philologische
Gegenstände. Es lag in der damaligen Richtung der Philologie, welche selbst
wieder durch die Einflüsse der allgemeinen Bildung bestimmt wurde, daß das
Lateinische sein früheres unverhältnißmäßiges Uebergewicht an das berechtigtere
Griechische hatte abtreten müssen. Nichts desto weniger beherrschte Rückert das


Grenzboten IV. 18K6. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286301"/>
          <p xml:id="ID_417" prev="#ID_416"> müssen einige solcher Verbesserungen, die durchweg metrischer und rhythmischer<lb/>
'Art sind, noch aus den allerletzten Lebensmonaten stammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_418"> Schon viel früher, noch in den dreißiger Jahren versuchte er die ganze<lb/>
Kraft und den Reichthum seiner Sprach- und Verskunst an dem vielleicht gro߬<lb/>
artigsten Objecte, das die gesammte Poesie des Alterthums darbietet, an einer<lb/>
Uebersetzung der Vögel des Aristophanes. Die Kunde von diesem Versuche ist<lb/>
seiner Zeit in das Publikum gedrungen und jeder, der Friedrich Rückert zu<lb/>
würdigen verstand und zugleich einen Begriff von dem Wesen der ariftophaneischen<lb/>
Poesie hatte, erwartete die Resultate davon mit höchster Spannung. Doch ist<lb/>
das gleichfalls druckfettige und durch spätere Revisionen nur wenig veränderte<lb/>
Manuscript eben nur Manuscript geblieben, wahrscheinlich weil er seinen Vor¬<lb/>
satz, mehre aristophaneische Komödien und nicht blos diese eine zu übersetzen,<lb/>
im Drange andrer Studien damals nicht ausführen konnte und später noch<lb/>
weniger darauf zurückzukommen gestimmt war. Bis zuletzt aber pflegte er seine<lb/>
grenzenlose Bewunderung des Aristophanes als Künstler und namentlich als<lb/>
einziger und unübertroffener Muster des Verses auszusprechen. Dies scheint ihn<lb/>
überhaupt zu ihm hingezogen zu haben: der Inhalt und die Stimmung der<lb/>
attischen Komödie war sonst, wie sich leicht denken läßt, seiner durchaus posi¬<lb/>
tiven, reinen und harmonischen Seele keineswegs homogen und es kann kein<lb/>
Zweifel darüber obwalten, daß er sich aus diesem Grunde von einer Arbeit<lb/>
abwandte, die ihn, so zu sagen, nur von der technischen Seite her anziehen<lb/>
konnte, während er ihre ethische Substanz ungenießbar fand. Natürlich trat<lb/>
mit dem wachsenden Ernste des eigenen innern Lebens grade diese Rücksicht<lb/>
allmälig in ganz andrer Kraft an ihn heran, als in den früheren Jahren, wo<lb/>
sich der Mensch in dem Dichter noch eher dem bloßen Techniker oder Künstler<lb/>
unterordnen mochte. Jene in Stoff und Form an Aristophanes angelehnten<lb/>
Gebilde, die beiden Theile der politischen Komödie, Napoleon und andere dem<lb/>
Publikum noch völlig unbekannte ähnliche Erzeugnisse frühester Zeit wären<lb/>
später nicht denkbar gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> In nächster Beziehung zu dieser vielseitigen und durchweg productiven<lb/>
Thätigkeit auf dem Felde der griechischen Literatur stand auch sein Antheil an<lb/>
der lateinischen Sprache und ihrer Literatur. Als Philolog vom Fache in<lb/>
der älteren beschränkten Bedeutung, wo damit nur Griechisch und Lateinisch ge¬<lb/>
meint war, hatte er seine öffentliche gelehrte Thätigkeit begonnen. Seine Vor¬<lb/>
lesungen in Jena nach seiner Habilitation, die er übrigens nicht lang-e fort¬<lb/>
setzte, sondern schon Ende 1812 abbrach, erstreckten sich auf streng philologische<lb/>
Gegenstände. Es lag in der damaligen Richtung der Philologie, welche selbst<lb/>
wieder durch die Einflüsse der allgemeinen Bildung bestimmt wurde, daß das<lb/>
Lateinische sein früheres unverhältnißmäßiges Uebergewicht an das berechtigtere<lb/>
Griechische hatte abtreten müssen. Nichts desto weniger beherrschte Rückert das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18K6. 18</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] müssen einige solcher Verbesserungen, die durchweg metrischer und rhythmischer 'Art sind, noch aus den allerletzten Lebensmonaten stammen. Schon viel früher, noch in den dreißiger Jahren versuchte er die ganze Kraft und den Reichthum seiner Sprach- und Verskunst an dem vielleicht gro߬ artigsten Objecte, das die gesammte Poesie des Alterthums darbietet, an einer Uebersetzung der Vögel des Aristophanes. Die Kunde von diesem Versuche ist seiner Zeit in das Publikum gedrungen und jeder, der Friedrich Rückert zu würdigen verstand und zugleich einen Begriff von dem Wesen der ariftophaneischen Poesie hatte, erwartete die Resultate davon mit höchster Spannung. Doch ist das gleichfalls druckfettige und durch spätere Revisionen nur wenig veränderte Manuscript eben nur Manuscript geblieben, wahrscheinlich weil er seinen Vor¬ satz, mehre aristophaneische Komödien und nicht blos diese eine zu übersetzen, im Drange andrer Studien damals nicht ausführen konnte und später noch weniger darauf zurückzukommen gestimmt war. Bis zuletzt aber pflegte er seine grenzenlose Bewunderung des Aristophanes als Künstler und namentlich als einziger und unübertroffener Muster des Verses auszusprechen. Dies scheint ihn überhaupt zu ihm hingezogen zu haben: der Inhalt und die Stimmung der attischen Komödie war sonst, wie sich leicht denken läßt, seiner durchaus posi¬ tiven, reinen und harmonischen Seele keineswegs homogen und es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß er sich aus diesem Grunde von einer Arbeit abwandte, die ihn, so zu sagen, nur von der technischen Seite her anziehen konnte, während er ihre ethische Substanz ungenießbar fand. Natürlich trat mit dem wachsenden Ernste des eigenen innern Lebens grade diese Rücksicht allmälig in ganz andrer Kraft an ihn heran, als in den früheren Jahren, wo sich der Mensch in dem Dichter noch eher dem bloßen Techniker oder Künstler unterordnen mochte. Jene in Stoff und Form an Aristophanes angelehnten Gebilde, die beiden Theile der politischen Komödie, Napoleon und andere dem Publikum noch völlig unbekannte ähnliche Erzeugnisse frühester Zeit wären später nicht denkbar gewesen. In nächster Beziehung zu dieser vielseitigen und durchweg productiven Thätigkeit auf dem Felde der griechischen Literatur stand auch sein Antheil an der lateinischen Sprache und ihrer Literatur. Als Philolog vom Fache in der älteren beschränkten Bedeutung, wo damit nur Griechisch und Lateinisch ge¬ meint war, hatte er seine öffentliche gelehrte Thätigkeit begonnen. Seine Vor¬ lesungen in Jena nach seiner Habilitation, die er übrigens nicht lang-e fort¬ setzte, sondern schon Ende 1812 abbrach, erstreckten sich auf streng philologische Gegenstände. Es lag in der damaligen Richtung der Philologie, welche selbst wieder durch die Einflüsse der allgemeinen Bildung bestimmt wurde, daß das Lateinische sein früheres unverhältnißmäßiges Uebergewicht an das berechtigtere Griechische hatte abtreten müssen. Nichts desto weniger beherrschte Rückert das Grenzboten IV. 18K6. 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/153>, abgerufen am 25.07.2024.