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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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^ oder L oder X viel zu kümmern, aber auch ohne sie zu verachten, meist be¬
gründet durch die poetische Substanz des Lesers und Kritikers, ausnahmslos
auf metrische und rhythmische Erkenntnisse gestützt, für welche der gewöhnliche
Herausgeber, unbeschadet seines Fleißes und seines Wissens, meist gar kein
Organ besitzt, aber beinahe ebenso oft auch, wie in jenem Exemplar des Homer,
Interlinear oder Randversionen, natürlich alle sogleich künstlerisch geformt,
den Rhythmen und Meeren des Originals nachgebildet, leider gewöhnlich in
kleinster Schrift und fast immer mit Bleistift im Momente hingeworfen, aber
meist auf den ersten Wurf so fertig, daß spätere Revisionen selten etwas daran
zu bessern fanden.

Daneben bezeugt eine Menge Einzelblätter, die aus den letzten Jahren
Rückerts stammen, daß er wahrscheinlich nur für sich selbst und einige fach-
gelehrte Freunde auch zusammenhängende kritische und namentlich metrische
Studien besonders in den Tragikern und Pindar gemacht hat, wenn es dafür
eines Zeugnisses bedürfte. Eine Anzahl von größeren Textesabschnitten aus
verschiedenen Tragödien des Euripides liegt vor in sauberster Reinschrift, wie
unmittelbar zum Drucke fertig gemacht. Es sind namentlich lyrische Stellen
und sie stehen in deutlicher Beziehung zu den umfassenden Aufzeichnungen und
Darstellungen griechischer lyrischer Vers- und Strophenformen, aus denen sich
beinahe ein vollständiges System der griechischen Metrik und Rhythmik zusammen¬
setzen ließ. Denn sie werten erzeugt durch sehr ausgedehnte und bis in das
allersublilste Detail geführte Untersuchungen über den Bau des dramatischen
Trimetcrs und namentlich des Hexameters. Für den letzteren ist der griechische
wie natürlich zur. Basis genommen, aber seine specifische Entwickelung bei den
Römern, namentlich bei den Elegikern, für die Rückert unter allen Erzeugnissen
der römischen Poesie die entschiedenste und fast ausschließliche Vorliebe bewahrte,
ist ebenso gründlich erforscht und dargelegt, aber in diesem Falle alles auf ein
bestimmtes praktisches Ziel hin, um die Theorie des deutschen Hexameters zu
begründen. Denn alle bisherigen Vnsuche, vor allem Voß und seine Schule,
schienen ihm eine gänzlich falsche Bahn betreten zu haben und er selbst war
mit seinen früheren, ohnehin sehr sparsamen hexametrischen Gestaltungen all-
mälig ganz unzufrieden geworden. In der unendlichen Fülle der poetischen
Tagebuchblätter, wie man sie wohl nennen dürfte, in denen das ganze innere
und äußere Leben des Dichters bis ins kleinste Detail während der letzten
zwanzig Jahre niedergelegt ist, findet sich eine sehr beträchtliche Anzahl von
hexametrischen Versuchen oder solchen im elegischen Versmaß. Von umfassenderer
Anwendung dieses Verses bietet nur die einzige vollständige und gradezu druck¬
fertige, auch thatsächlich für den Druck bestimmte Übersetzung des Theokrit ein
Beispiel. Sie stammt aus der Mitte der fünfziger Jahre, ist aber bis zuletzt
mancher Revision unterzogen worden. Nach den Schriftzügen zu urtheilen,


^ oder L oder X viel zu kümmern, aber auch ohne sie zu verachten, meist be¬
gründet durch die poetische Substanz des Lesers und Kritikers, ausnahmslos
auf metrische und rhythmische Erkenntnisse gestützt, für welche der gewöhnliche
Herausgeber, unbeschadet seines Fleißes und seines Wissens, meist gar kein
Organ besitzt, aber beinahe ebenso oft auch, wie in jenem Exemplar des Homer,
Interlinear oder Randversionen, natürlich alle sogleich künstlerisch geformt,
den Rhythmen und Meeren des Originals nachgebildet, leider gewöhnlich in
kleinster Schrift und fast immer mit Bleistift im Momente hingeworfen, aber
meist auf den ersten Wurf so fertig, daß spätere Revisionen selten etwas daran
zu bessern fanden.

Daneben bezeugt eine Menge Einzelblätter, die aus den letzten Jahren
Rückerts stammen, daß er wahrscheinlich nur für sich selbst und einige fach-
gelehrte Freunde auch zusammenhängende kritische und namentlich metrische
Studien besonders in den Tragikern und Pindar gemacht hat, wenn es dafür
eines Zeugnisses bedürfte. Eine Anzahl von größeren Textesabschnitten aus
verschiedenen Tragödien des Euripides liegt vor in sauberster Reinschrift, wie
unmittelbar zum Drucke fertig gemacht. Es sind namentlich lyrische Stellen
und sie stehen in deutlicher Beziehung zu den umfassenden Aufzeichnungen und
Darstellungen griechischer lyrischer Vers- und Strophenformen, aus denen sich
beinahe ein vollständiges System der griechischen Metrik und Rhythmik zusammen¬
setzen ließ. Denn sie werten erzeugt durch sehr ausgedehnte und bis in das
allersublilste Detail geführte Untersuchungen über den Bau des dramatischen
Trimetcrs und namentlich des Hexameters. Für den letzteren ist der griechische
wie natürlich zur. Basis genommen, aber seine specifische Entwickelung bei den
Römern, namentlich bei den Elegikern, für die Rückert unter allen Erzeugnissen
der römischen Poesie die entschiedenste und fast ausschließliche Vorliebe bewahrte,
ist ebenso gründlich erforscht und dargelegt, aber in diesem Falle alles auf ein
bestimmtes praktisches Ziel hin, um die Theorie des deutschen Hexameters zu
begründen. Denn alle bisherigen Vnsuche, vor allem Voß und seine Schule,
schienen ihm eine gänzlich falsche Bahn betreten zu haben und er selbst war
mit seinen früheren, ohnehin sehr sparsamen hexametrischen Gestaltungen all-
mälig ganz unzufrieden geworden. In der unendlichen Fülle der poetischen
Tagebuchblätter, wie man sie wohl nennen dürfte, in denen das ganze innere
und äußere Leben des Dichters bis ins kleinste Detail während der letzten
zwanzig Jahre niedergelegt ist, findet sich eine sehr beträchtliche Anzahl von
hexametrischen Versuchen oder solchen im elegischen Versmaß. Von umfassenderer
Anwendung dieses Verses bietet nur die einzige vollständige und gradezu druck¬
fertige, auch thatsächlich für den Druck bestimmte Übersetzung des Theokrit ein
Beispiel. Sie stammt aus der Mitte der fünfziger Jahre, ist aber bis zuletzt
mancher Revision unterzogen worden. Nach den Schriftzügen zu urtheilen,


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[0152] ^ oder L oder X viel zu kümmern, aber auch ohne sie zu verachten, meist be¬ gründet durch die poetische Substanz des Lesers und Kritikers, ausnahmslos auf metrische und rhythmische Erkenntnisse gestützt, für welche der gewöhnliche Herausgeber, unbeschadet seines Fleißes und seines Wissens, meist gar kein Organ besitzt, aber beinahe ebenso oft auch, wie in jenem Exemplar des Homer, Interlinear oder Randversionen, natürlich alle sogleich künstlerisch geformt, den Rhythmen und Meeren des Originals nachgebildet, leider gewöhnlich in kleinster Schrift und fast immer mit Bleistift im Momente hingeworfen, aber meist auf den ersten Wurf so fertig, daß spätere Revisionen selten etwas daran zu bessern fanden. Daneben bezeugt eine Menge Einzelblätter, die aus den letzten Jahren Rückerts stammen, daß er wahrscheinlich nur für sich selbst und einige fach- gelehrte Freunde auch zusammenhängende kritische und namentlich metrische Studien besonders in den Tragikern und Pindar gemacht hat, wenn es dafür eines Zeugnisses bedürfte. Eine Anzahl von größeren Textesabschnitten aus verschiedenen Tragödien des Euripides liegt vor in sauberster Reinschrift, wie unmittelbar zum Drucke fertig gemacht. Es sind namentlich lyrische Stellen und sie stehen in deutlicher Beziehung zu den umfassenden Aufzeichnungen und Darstellungen griechischer lyrischer Vers- und Strophenformen, aus denen sich beinahe ein vollständiges System der griechischen Metrik und Rhythmik zusammen¬ setzen ließ. Denn sie werten erzeugt durch sehr ausgedehnte und bis in das allersublilste Detail geführte Untersuchungen über den Bau des dramatischen Trimetcrs und namentlich des Hexameters. Für den letzteren ist der griechische wie natürlich zur. Basis genommen, aber seine specifische Entwickelung bei den Römern, namentlich bei den Elegikern, für die Rückert unter allen Erzeugnissen der römischen Poesie die entschiedenste und fast ausschließliche Vorliebe bewahrte, ist ebenso gründlich erforscht und dargelegt, aber in diesem Falle alles auf ein bestimmtes praktisches Ziel hin, um die Theorie des deutschen Hexameters zu begründen. Denn alle bisherigen Vnsuche, vor allem Voß und seine Schule, schienen ihm eine gänzlich falsche Bahn betreten zu haben und er selbst war mit seinen früheren, ohnehin sehr sparsamen hexametrischen Gestaltungen all- mälig ganz unzufrieden geworden. In der unendlichen Fülle der poetischen Tagebuchblätter, wie man sie wohl nennen dürfte, in denen das ganze innere und äußere Leben des Dichters bis ins kleinste Detail während der letzten zwanzig Jahre niedergelegt ist, findet sich eine sehr beträchtliche Anzahl von hexametrischen Versuchen oder solchen im elegischen Versmaß. Von umfassenderer Anwendung dieses Verses bietet nur die einzige vollständige und gradezu druck¬ fertige, auch thatsächlich für den Druck bestimmte Übersetzung des Theokrit ein Beispiel. Sie stammt aus der Mitte der fünfziger Jahre, ist aber bis zuletzt mancher Revision unterzogen worden. Nach den Schriftzügen zu urtheilen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/152>, abgerufen am 25.07.2024.