Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.Antheil nehmen. Inzwischen fühlen sich vom Kusse Apollos immer zahlreichere Gleichviel indessen! Es ist am Ende wichtiger, daß Vielen eine Ahnung Schlägt der so genährte ästhetische Sinn im Wupperthale einmal durch, so 1^
Antheil nehmen. Inzwischen fühlen sich vom Kusse Apollos immer zahlreichere Gleichviel indessen! Es ist am Ende wichtiger, daß Vielen eine Ahnung Schlägt der so genährte ästhetische Sinn im Wupperthale einmal durch, so 1^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286261"/> <p xml:id="ID_313" prev="#ID_312"> Antheil nehmen. Inzwischen fühlen sich vom Kusse Apollos immer zahlreichere<lb/> Kreise strebsamer Jünglinge angehaucht; das Dichten wird, wie in den schönsten<lb/> Tagen des alten Hellas, eine Gabe jedermanns, eine Beschäftigung der Massen,<lb/> und die den Fluthen zunächst ausgesetzte periodische Presse weiß sich durch<lb/> keine Deichbaukunst mehr vor der Überschwemmung mit Versen zu schützen.<lb/> In dem Süßwasser dieser Reimereien muß die Dichtkunst so sicher untergehen,<lb/> wie ihre Schwester Polyhymnia in dem Geklimper, das aus jedem Hause<lb/> schallt. Verdünnter Thee mag- besser sein als gar kein Thee, aber der echte<lb/> Theetrinker verlangt doch mehr von seiner Tasse, als blos ein schweißtreibendes<lb/> Mittel.</p><lb/> <p xml:id="ID_314"> Gleichviel indessen! Es ist am Ende wichtiger, daß Vielen eine Ahnung<lb/> des^Höheren auf den Fittichen des Verses und Reimes zugeflogen kommt, als<lb/> Wenigen ein voller Trunk, Wir wollen uns die Demokratisirung des poetischen<lb/> Betriebes gefallen lassen, wenn die Ansprüche nur auf der Höhe der Leistungen<lb/> bleiben. Die Leidenschaft, des Reimers ist vielleicht auch nur als das natür¬<lb/> liche Ergebniß der Bekanntschaft mit unsern großen Dichtern anzusehen, welche<lb/> in der Bevölkerung des Wupperthals noch ziemlich jungen Datums ist. Lange<lb/> Zeit waren Schul- und Eibauungsbücher die einzige hier gangbare Lecture.<lb/> Wäre Schiller bis an die Gegenwart heran dem Volke nicht so gründlich fremd<lb/> geblieben, die Nationalfeier seiner hundertjährigen Geburt im November 1869<lb/> hätte hier nicht zu solchen Verketzerungen von den Kanzeln herunter, wie sie<lb/> wirklich vorkamen, herausfordern können. Dafür aber ist jetzt in der Bibliothek<lb/> des elberfelder Bildungsvereins auch nichts begehrter als Lessing, Schiller und<lb/> Goethe. Man vergleiche damit z. B. die Büchernachfrage im berliner Handwerker¬<lb/> verein : sie richtet sich vorzugsweise auf technologische Werke u. tgi.</p><lb/> <p xml:id="ID_315"> Schlägt der so genährte ästhetische Sinn im Wupperthale einmal durch, so<lb/> wird er sich vor allem auch auf die Verwerthung der natürlichen Reize des<lb/> Thales zu werfen haben. Sie sind mannigfaltig und ausgeprägt genug, aber<lb/> beinahe durchweg so vernachlässigt, als flösse die Wupper noch zwischen ein¬<lb/> samen Bleichen und vereinzelten Gehöften hin. Außerhalb der Chausseen giebt<lb/> es keine leidlich gebahnten Spazierwege. Das Spazierengehen ist in dieser<lb/> arbeitsamen Welt gleichsam mit Strafe belegt: entweder durch die Langweilig¬<lb/> keit der Heerstraße, die meist auf der Thalsohle hinschleichend keine eigentliche<lb/> Fernsicht gewährt, oder durch die Mühseligkeit der die Höhen erklimmenden,<lb/> Weitblicke erschließenden Fußwege, auf denen neben manchem andern Dorn<lb/> auch die Leichdörner üppig gedeihen. Der Fremde kann sich nicht genug wun¬<lb/> dern, daß so schöne Partien so nahe einer volkreichen Stadt so wenig begangen<lb/> werden, und für zartere Sohlen in der That auch so wenig gangbar sind. Eine<lb/> weise öffentliche Fürsorge findet hier noch in Hülle und Fülle zu thun, um<lb/> fleißigen Menschen eine wohlthuende Erholung im Freien näher zu rücken.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 1^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
Antheil nehmen. Inzwischen fühlen sich vom Kusse Apollos immer zahlreichere
Kreise strebsamer Jünglinge angehaucht; das Dichten wird, wie in den schönsten
Tagen des alten Hellas, eine Gabe jedermanns, eine Beschäftigung der Massen,
und die den Fluthen zunächst ausgesetzte periodische Presse weiß sich durch
keine Deichbaukunst mehr vor der Überschwemmung mit Versen zu schützen.
In dem Süßwasser dieser Reimereien muß die Dichtkunst so sicher untergehen,
wie ihre Schwester Polyhymnia in dem Geklimper, das aus jedem Hause
schallt. Verdünnter Thee mag- besser sein als gar kein Thee, aber der echte
Theetrinker verlangt doch mehr von seiner Tasse, als blos ein schweißtreibendes
Mittel.
Gleichviel indessen! Es ist am Ende wichtiger, daß Vielen eine Ahnung
des^Höheren auf den Fittichen des Verses und Reimes zugeflogen kommt, als
Wenigen ein voller Trunk, Wir wollen uns die Demokratisirung des poetischen
Betriebes gefallen lassen, wenn die Ansprüche nur auf der Höhe der Leistungen
bleiben. Die Leidenschaft, des Reimers ist vielleicht auch nur als das natür¬
liche Ergebniß der Bekanntschaft mit unsern großen Dichtern anzusehen, welche
in der Bevölkerung des Wupperthals noch ziemlich jungen Datums ist. Lange
Zeit waren Schul- und Eibauungsbücher die einzige hier gangbare Lecture.
Wäre Schiller bis an die Gegenwart heran dem Volke nicht so gründlich fremd
geblieben, die Nationalfeier seiner hundertjährigen Geburt im November 1869
hätte hier nicht zu solchen Verketzerungen von den Kanzeln herunter, wie sie
wirklich vorkamen, herausfordern können. Dafür aber ist jetzt in der Bibliothek
des elberfelder Bildungsvereins auch nichts begehrter als Lessing, Schiller und
Goethe. Man vergleiche damit z. B. die Büchernachfrage im berliner Handwerker¬
verein : sie richtet sich vorzugsweise auf technologische Werke u. tgi.
Schlägt der so genährte ästhetische Sinn im Wupperthale einmal durch, so
wird er sich vor allem auch auf die Verwerthung der natürlichen Reize des
Thales zu werfen haben. Sie sind mannigfaltig und ausgeprägt genug, aber
beinahe durchweg so vernachlässigt, als flösse die Wupper noch zwischen ein¬
samen Bleichen und vereinzelten Gehöften hin. Außerhalb der Chausseen giebt
es keine leidlich gebahnten Spazierwege. Das Spazierengehen ist in dieser
arbeitsamen Welt gleichsam mit Strafe belegt: entweder durch die Langweilig¬
keit der Heerstraße, die meist auf der Thalsohle hinschleichend keine eigentliche
Fernsicht gewährt, oder durch die Mühseligkeit der die Höhen erklimmenden,
Weitblicke erschließenden Fußwege, auf denen neben manchem andern Dorn
auch die Leichdörner üppig gedeihen. Der Fremde kann sich nicht genug wun¬
dern, daß so schöne Partien so nahe einer volkreichen Stadt so wenig begangen
werden, und für zartere Sohlen in der That auch so wenig gangbar sind. Eine
weise öffentliche Fürsorge findet hier noch in Hülle und Fülle zu thun, um
fleißigen Menschen eine wohlthuende Erholung im Freien näher zu rücken.
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