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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Gebiet im Kaiserstaat, welches in ähnlicher Weise weggeschenkt werden kann>
Galizien und die Bukowina an Rußland, vielleicht auch Dalmatien an Italien,
Nordböhmen an Sachsen und Tirol an Bayern; die Menschen, welche in diesen
Ländern leben, sind erinnert worden, daß sie der Hofburg in Wien ungefähr
so viel bedeuten als das Inventarium eines entlegenen Vorwerks auf tief ver¬
schuldeten Gute, welches der heruntergekommene Besitzer mit Achselzucken ver¬
äußert, verschenkt oder verspielt.

Wir aber haben wenig Ursache zu fragen, ob die Schenkung Venetiens an
Frankreich männlich und anständig war, nur wie weit sie dem Vortheil Oest¬
reichs dient und seinen Feinden schadet, deren Sache die unsere ist. Ohne
Zweifel war dieser Act ein sinnreiches Mittel, die kaiserliche Regierung aus der
großen Verlegenheit des Augenblicks herauszuheben und Preußen wie Italien
in Verlegenheit zu setzen. Kaiser Napoleon ist dadurch in einer Weise captivirt
worden, welcher sowohl seine Persönlichkeit als die Eitelkeit der Franzosen schwer
widerstehen wird; von der Rolle des Vermittlers wird er Schritt für Schritt
zur bewaffneten Intervention im Interesse Oestreichs getrieben werden, der
Siegeslauf der preußischen Armee wird gehemmt, Oestreich erhält Gelegenheit
fein Heer zu reorganisiren, das italienische Heer heranzuziehen, Preußen sieht
sich jetzt in Gefahr eines Krieges sowohl mit Oestreich, den deutschen Südstaaten
als mit Frankreich, der Conflict der kämpfenden Interessen erhält eine Ausdehnung,
welche alle Großmächte Europas zur Theilnahme zwingt, und diese Theilnahme
droht, im Ganzen betrachtet, den Ansprüchen Preußens nicht günstig zu sein.

Das sieht jedermann ein, und wenn Oestreich nichts weiter wollte, als
einen Dämpfer aus die Friedenshoffnungen des preußischen Volkes setzen, fo hat
es vorläufig diesen Zweck erreicht.

Aber welcher dauernde Nutzen soU ihm selbst aus der Schenkung hervor¬
gehen? Zunächst hoffte es dadurch seine Stellung in Deutschland zu retten,
aber grade diese hat es nach menschlichem Ermessen unrettbar verdorben. Ueber
die Köpfe seiner Bundesgenossen, die Könige ausgenommen, hinweg, derselben
Bundesgenossen, welche aus einem Abhängigkeitsgefühl von dem allmächtigen
Oestreich ihre Geldkräfte, das Blut ihrer Soldaten, ihre eigene Existenz auf
das Spiel gesetzt haben, ruft es Frankreich zum Schiedsrichter in den deutschen
Streit herein. Es war ihm nicht der Mühe werth, die verhängnißvolle Ma߬
regel, welche über die Geschicke Deutschlands entscheiden soll, sämmtlichen Regie¬
rungen der bamberger Conferenz vorzulegen; ohne es zu wissen und zu wollen,
werden die Herren, welche für ihre Souveränetätswünsche Schutz bei Oestreich
suchten, der Protection Frankreichs überliefert. Wir kennen eine und die andere Re¬
gierung Süddeutschlands, welcher diese demüthigende Behandlung, die sie zu einem
stummen Vasallen des Kaiserstaats degradirt, ganz recht ist, denn es fehlt uns
nicht an Dynastien, welche sich lieber unter dem Purpurmantel Napoleons


Gebiet im Kaiserstaat, welches in ähnlicher Weise weggeschenkt werden kann>
Galizien und die Bukowina an Rußland, vielleicht auch Dalmatien an Italien,
Nordböhmen an Sachsen und Tirol an Bayern; die Menschen, welche in diesen
Ländern leben, sind erinnert worden, daß sie der Hofburg in Wien ungefähr
so viel bedeuten als das Inventarium eines entlegenen Vorwerks auf tief ver¬
schuldeten Gute, welches der heruntergekommene Besitzer mit Achselzucken ver¬
äußert, verschenkt oder verspielt.

Wir aber haben wenig Ursache zu fragen, ob die Schenkung Venetiens an
Frankreich männlich und anständig war, nur wie weit sie dem Vortheil Oest¬
reichs dient und seinen Feinden schadet, deren Sache die unsere ist. Ohne
Zweifel war dieser Act ein sinnreiches Mittel, die kaiserliche Regierung aus der
großen Verlegenheit des Augenblicks herauszuheben und Preußen wie Italien
in Verlegenheit zu setzen. Kaiser Napoleon ist dadurch in einer Weise captivirt
worden, welcher sowohl seine Persönlichkeit als die Eitelkeit der Franzosen schwer
widerstehen wird; von der Rolle des Vermittlers wird er Schritt für Schritt
zur bewaffneten Intervention im Interesse Oestreichs getrieben werden, der
Siegeslauf der preußischen Armee wird gehemmt, Oestreich erhält Gelegenheit
fein Heer zu reorganisiren, das italienische Heer heranzuziehen, Preußen sieht
sich jetzt in Gefahr eines Krieges sowohl mit Oestreich, den deutschen Südstaaten
als mit Frankreich, der Conflict der kämpfenden Interessen erhält eine Ausdehnung,
welche alle Großmächte Europas zur Theilnahme zwingt, und diese Theilnahme
droht, im Ganzen betrachtet, den Ansprüchen Preußens nicht günstig zu sein.

Das sieht jedermann ein, und wenn Oestreich nichts weiter wollte, als
einen Dämpfer aus die Friedenshoffnungen des preußischen Volkes setzen, fo hat
es vorläufig diesen Zweck erreicht.

Aber welcher dauernde Nutzen soU ihm selbst aus der Schenkung hervor¬
gehen? Zunächst hoffte es dadurch seine Stellung in Deutschland zu retten,
aber grade diese hat es nach menschlichem Ermessen unrettbar verdorben. Ueber
die Köpfe seiner Bundesgenossen, die Könige ausgenommen, hinweg, derselben
Bundesgenossen, welche aus einem Abhängigkeitsgefühl von dem allmächtigen
Oestreich ihre Geldkräfte, das Blut ihrer Soldaten, ihre eigene Existenz auf
das Spiel gesetzt haben, ruft es Frankreich zum Schiedsrichter in den deutschen
Streit herein. Es war ihm nicht der Mühe werth, die verhängnißvolle Ma߬
regel, welche über die Geschicke Deutschlands entscheiden soll, sämmtlichen Regie¬
rungen der bamberger Conferenz vorzulegen; ohne es zu wissen und zu wollen,
werden die Herren, welche für ihre Souveränetätswünsche Schutz bei Oestreich
suchten, der Protection Frankreichs überliefert. Wir kennen eine und die andere Re¬
gierung Süddeutschlands, welcher diese demüthigende Behandlung, die sie zu einem
stummen Vasallen des Kaiserstaats degradirt, ganz recht ist, denn es fehlt uns
nicht an Dynastien, welche sich lieber unter dem Purpurmantel Napoleons


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/96>, abgerufen am 22.07.2024.