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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nur nach Heranziehung eines Theils itner italienischen Armee, also mit Preis¬
gabe Venetiens. aufzunehmen, oder nach längeren Rüstungen, zu deren MaSki-
rung vielleicht Verhandlungen eingeleitet werden. Wir nehmen an, daß die
Preußen den Bortheil, den sie jetzt erworben, nicht dadurch auf das Spiel setzen,
daß sie auf halbem Wege stehn bleiben.

Es wird schwer, ruhig zu schreiben, während ein Strom der stärksten Em¬
pfindungen durch die Seele wogt, aber uns allen thut noth, die fliegenden
Gedanken fest zu zügeln, noch ist das Ende nicht da, die letzte Schlacht nicht
geschlagen, und noch sind wir nicht in der Lage, uns politischer Resultate dieses
Sieges zu freuen. Dieselbe bescheidene Mäßigung, welche die Kriegsberichte
des preußischen Heeres bis jetzt bewährt haben, wollen auch wir uns erhalten,
nicht in dem, was wir zu fordern haben von der Zukunft, aber in dem, waS
wir erwarten. Die größte Tüchtigkeit eines Heeres vermag nicht das Schlachten¬
glück an seine Fahnen zu fesseln, und die stärkste Kraftentwickelung eines Staates
vermag nicht alle Bedingungen niederzuwerfen, welche seinen Fortschritt auf¬
halten. Auch ein vollständiger militärischer Sieg ist noch nicht ein großer po¬
litischer, und der politische Erfolg des gegenwärtigen Krieges wird schwerer zu
erreichen sein, als der militärische.

Ein großes Resultat aber hat der Krieg bereits gehabt, er hat dem preu¬
ßischen Volk unter schweren Opfern fühlbar gemacht, was sein Staat bedeutet.
Auch dem kleinen Mann ist in der Seele mächtig aufgegangen seine höchste
Erdenpflicht, die Hingabe an seinen Staat und die Opferfreudigkeit. Zeiten,
welche große Empfindungen geben, machen alle Einzelnen, welche daran Theil
haben, stärker und besser. Die Vorurtheile des Standes und einzelner Berufs¬
classen schwinden, wärmer drückt ein Nachbar dem andern die Hand, mitten
unter den schrecklichsten Leidensscenen erweitern die milden Empfindungen des
Mitleids und der Menschenliebe das Herz. Wer so Großes durchgelebt, erhält
einen andern Maßstab für Beurtheilung der Erdendinge, und der Patriotismus,
welcher wärmer und thatkräftiger wirkt, macht das politische Urtheil freier
und größer. Dieser Krieg wird auch im Innern Preußens der Beginn eines
neuen politischen Lebens werden. Es ist ein Irrthum, wenn man als letztes
Resultat eine Steigerung der Reaction fürchtet. Die aus dem Felde zurück¬
kehren, und die in der Heimath die gewaltigen Tage durchleben, sie alle lassen
aus den blutgetränkten Schlachtfeldern viel von ihren Vorurtheilen zurück.

Was uns die Zukunft bereitet, steht in höherer Hand; wir aber wollen
unser Herz maßvoll und fest halten, bei dem Siege, dessen wir uns jetzt freuen,
und bei der Arbeit, welche uns noch bevorsteht.




Verantwortlich" Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hiithel 6- Segler (früher <5. E. Elbert) in Leipzig.

nur nach Heranziehung eines Theils itner italienischen Armee, also mit Preis¬
gabe Venetiens. aufzunehmen, oder nach längeren Rüstungen, zu deren MaSki-
rung vielleicht Verhandlungen eingeleitet werden. Wir nehmen an, daß die
Preußen den Bortheil, den sie jetzt erworben, nicht dadurch auf das Spiel setzen,
daß sie auf halbem Wege stehn bleiben.

Es wird schwer, ruhig zu schreiben, während ein Strom der stärksten Em¬
pfindungen durch die Seele wogt, aber uns allen thut noth, die fliegenden
Gedanken fest zu zügeln, noch ist das Ende nicht da, die letzte Schlacht nicht
geschlagen, und noch sind wir nicht in der Lage, uns politischer Resultate dieses
Sieges zu freuen. Dieselbe bescheidene Mäßigung, welche die Kriegsberichte
des preußischen Heeres bis jetzt bewährt haben, wollen auch wir uns erhalten,
nicht in dem, was wir zu fordern haben von der Zukunft, aber in dem, waS
wir erwarten. Die größte Tüchtigkeit eines Heeres vermag nicht das Schlachten¬
glück an seine Fahnen zu fesseln, und die stärkste Kraftentwickelung eines Staates
vermag nicht alle Bedingungen niederzuwerfen, welche seinen Fortschritt auf¬
halten. Auch ein vollständiger militärischer Sieg ist noch nicht ein großer po¬
litischer, und der politische Erfolg des gegenwärtigen Krieges wird schwerer zu
erreichen sein, als der militärische.

Ein großes Resultat aber hat der Krieg bereits gehabt, er hat dem preu¬
ßischen Volk unter schweren Opfern fühlbar gemacht, was sein Staat bedeutet.
Auch dem kleinen Mann ist in der Seele mächtig aufgegangen seine höchste
Erdenpflicht, die Hingabe an seinen Staat und die Opferfreudigkeit. Zeiten,
welche große Empfindungen geben, machen alle Einzelnen, welche daran Theil
haben, stärker und besser. Die Vorurtheile des Standes und einzelner Berufs¬
classen schwinden, wärmer drückt ein Nachbar dem andern die Hand, mitten
unter den schrecklichsten Leidensscenen erweitern die milden Empfindungen des
Mitleids und der Menschenliebe das Herz. Wer so Großes durchgelebt, erhält
einen andern Maßstab für Beurtheilung der Erdendinge, und der Patriotismus,
welcher wärmer und thatkräftiger wirkt, macht das politische Urtheil freier
und größer. Dieser Krieg wird auch im Innern Preußens der Beginn eines
neuen politischen Lebens werden. Es ist ein Irrthum, wenn man als letztes
Resultat eine Steigerung der Reaction fürchtet. Die aus dem Felde zurück¬
kehren, und die in der Heimath die gewaltigen Tage durchleben, sie alle lassen
aus den blutgetränkten Schlachtfeldern viel von ihren Vorurtheilen zurück.

Was uns die Zukunft bereitet, steht in höherer Hand; wir aber wollen
unser Herz maßvoll und fest halten, bei dem Siege, dessen wir uns jetzt freuen,
und bei der Arbeit, welche uns noch bevorsteht.




Verantwortlich« Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithel 6- Segler (früher <5. E. Elbert) in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/92>, abgerufen am 22.07.2024.