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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die ersten Ereignisse am Mincio.

DaS erste Ereigniß auf dem italienischen Kriegsschauplatz scheint zu be¬
weisen, daß der König von Italien Zahl und Aufstellung seines Gegners unter¬
schätzt und zuviel Vertrauen auf ein Unternehmen gesetzt hat, dessen Haupt-
charakter Keckheit war.

In der Zeit der Telegraphen sind Truppenbewegungen, bei denen es auf
Geheimniß und Schnelligkeit ankommt, weit gefährlicher als ehemals. Die öst¬
reichischen Generale mögen recht haben, wenn sie behaupten, Victor Emanuel
habe durch einen raschen Uebergang über die Etsch bei Albaredo die Nordseite
Veronas zu erreichen gehofft, während General Durando nach Einschließung
Peschieras die Stadt von Süden her bedrohen sollte. Selbst beim vollendetsten
und heimlichsten Vorrücken war dieser Plan angesichts eines so starken Feindes
tollkühn und fast unausführbar. Da man zu der Annahme gezwungen ist, daß
Erzherzog Albrecht durch Spione und Agenten von der Bewegung des italieni¬
schen Heeres unterrichtet war, so kann der Mißerfolg des Königs keinen Augen¬
blick Wunder nehmen. Peschiera zu belagern und Verona von Süden her
anzugreifen, erfordert bei der^ voraussichtlich sehr bedeutenden Stärke seiner
Besatzung nicht blos ungewöhnliche Streitkräfte, sondern auch einen ganz be¬
stimmten und geordneten Operationsplan. Vergegenwärtigt man sich dagegen
den wirklichen Hergang der Sache und denkt man ferner daran, daß zu der¬
selben Zeit ein zweites fast ebenso schwieriges Unternehmen im Werke war, so
wird man das italienische Obereommando von dem Vorwurf der Leichtfertigkeit
nicht freisprechen können.

Die Absicht Victor Emanuels bei seinem freilich ganz mißlungenen Plane
soll gewesen sein, dem General Cialdini das Vorrücken von Polesella oder Ponte
lagoscuro am Po zu erleichtern. Betrachten wir, was geschah.

Der König, der Cialdini Ordre gegeben hatte, auf ein bestimmtes Signal
den Po zu überbrücken, ging seinerseits am 23. Juni bei Goito mit dem zwei¬
ten und dritten Corps über den Mincio, zu derselben Stunde, wo Durando
mit dem ersten Corps den Fluß bei Borghetto überschritt. Victor Emanuel
hatte die Brigade Aqui und Ravenna unter General Schiaffini an seinem
rechten Flügel auf Curtatone dirigirt und nahm, während seine Vorhut Rover¬
bella besetzte, sein eignes Hauptquartier in Cerlüngo. Durando marschirte von
Valeggio nördlich und bivouakirte während der Nacht zwischen Peschiera, Sa-
lionze und Oliosi.

Valeggio bietet einen vortrefflichen Punkt zur Rundschau über das Ter-


Die ersten Ereignisse am Mincio.

DaS erste Ereigniß auf dem italienischen Kriegsschauplatz scheint zu be¬
weisen, daß der König von Italien Zahl und Aufstellung seines Gegners unter¬
schätzt und zuviel Vertrauen auf ein Unternehmen gesetzt hat, dessen Haupt-
charakter Keckheit war.

In der Zeit der Telegraphen sind Truppenbewegungen, bei denen es auf
Geheimniß und Schnelligkeit ankommt, weit gefährlicher als ehemals. Die öst¬
reichischen Generale mögen recht haben, wenn sie behaupten, Victor Emanuel
habe durch einen raschen Uebergang über die Etsch bei Albaredo die Nordseite
Veronas zu erreichen gehofft, während General Durando nach Einschließung
Peschieras die Stadt von Süden her bedrohen sollte. Selbst beim vollendetsten
und heimlichsten Vorrücken war dieser Plan angesichts eines so starken Feindes
tollkühn und fast unausführbar. Da man zu der Annahme gezwungen ist, daß
Erzherzog Albrecht durch Spione und Agenten von der Bewegung des italieni¬
schen Heeres unterrichtet war, so kann der Mißerfolg des Königs keinen Augen¬
blick Wunder nehmen. Peschiera zu belagern und Verona von Süden her
anzugreifen, erfordert bei der^ voraussichtlich sehr bedeutenden Stärke seiner
Besatzung nicht blos ungewöhnliche Streitkräfte, sondern auch einen ganz be¬
stimmten und geordneten Operationsplan. Vergegenwärtigt man sich dagegen
den wirklichen Hergang der Sache und denkt man ferner daran, daß zu der¬
selben Zeit ein zweites fast ebenso schwieriges Unternehmen im Werke war, so
wird man das italienische Obereommando von dem Vorwurf der Leichtfertigkeit
nicht freisprechen können.

Die Absicht Victor Emanuels bei seinem freilich ganz mißlungenen Plane
soll gewesen sein, dem General Cialdini das Vorrücken von Polesella oder Ponte
lagoscuro am Po zu erleichtern. Betrachten wir, was geschah.

Der König, der Cialdini Ordre gegeben hatte, auf ein bestimmtes Signal
den Po zu überbrücken, ging seinerseits am 23. Juni bei Goito mit dem zwei¬
ten und dritten Corps über den Mincio, zu derselben Stunde, wo Durando
mit dem ersten Corps den Fluß bei Borghetto überschritt. Victor Emanuel
hatte die Brigade Aqui und Ravenna unter General Schiaffini an seinem
rechten Flügel auf Curtatone dirigirt und nahm, während seine Vorhut Rover¬
bella besetzte, sein eignes Hauptquartier in Cerlüngo. Durando marschirte von
Valeggio nördlich und bivouakirte während der Nacht zwischen Peschiera, Sa-
lionze und Oliosi.

Valeggio bietet einen vortrefflichen Punkt zur Rundschau über das Ter-


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[0086] Die ersten Ereignisse am Mincio. DaS erste Ereigniß auf dem italienischen Kriegsschauplatz scheint zu be¬ weisen, daß der König von Italien Zahl und Aufstellung seines Gegners unter¬ schätzt und zuviel Vertrauen auf ein Unternehmen gesetzt hat, dessen Haupt- charakter Keckheit war. In der Zeit der Telegraphen sind Truppenbewegungen, bei denen es auf Geheimniß und Schnelligkeit ankommt, weit gefährlicher als ehemals. Die öst¬ reichischen Generale mögen recht haben, wenn sie behaupten, Victor Emanuel habe durch einen raschen Uebergang über die Etsch bei Albaredo die Nordseite Veronas zu erreichen gehofft, während General Durando nach Einschließung Peschieras die Stadt von Süden her bedrohen sollte. Selbst beim vollendetsten und heimlichsten Vorrücken war dieser Plan angesichts eines so starken Feindes tollkühn und fast unausführbar. Da man zu der Annahme gezwungen ist, daß Erzherzog Albrecht durch Spione und Agenten von der Bewegung des italieni¬ schen Heeres unterrichtet war, so kann der Mißerfolg des Königs keinen Augen¬ blick Wunder nehmen. Peschiera zu belagern und Verona von Süden her anzugreifen, erfordert bei der^ voraussichtlich sehr bedeutenden Stärke seiner Besatzung nicht blos ungewöhnliche Streitkräfte, sondern auch einen ganz be¬ stimmten und geordneten Operationsplan. Vergegenwärtigt man sich dagegen den wirklichen Hergang der Sache und denkt man ferner daran, daß zu der¬ selben Zeit ein zweites fast ebenso schwieriges Unternehmen im Werke war, so wird man das italienische Obereommando von dem Vorwurf der Leichtfertigkeit nicht freisprechen können. Die Absicht Victor Emanuels bei seinem freilich ganz mißlungenen Plane soll gewesen sein, dem General Cialdini das Vorrücken von Polesella oder Ponte lagoscuro am Po zu erleichtern. Betrachten wir, was geschah. Der König, der Cialdini Ordre gegeben hatte, auf ein bestimmtes Signal den Po zu überbrücken, ging seinerseits am 23. Juni bei Goito mit dem zwei¬ ten und dritten Corps über den Mincio, zu derselben Stunde, wo Durando mit dem ersten Corps den Fluß bei Borghetto überschritt. Victor Emanuel hatte die Brigade Aqui und Ravenna unter General Schiaffini an seinem rechten Flügel auf Curtatone dirigirt und nahm, während seine Vorhut Rover¬ bella besetzte, sein eignes Hauptquartier in Cerlüngo. Durando marschirte von Valeggio nördlich und bivouakirte während der Nacht zwischen Peschiera, Sa- lionze und Oliosi. Valeggio bietet einen vortrefflichen Punkt zur Rundschau über das Ter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/86>, abgerufen am 22.07.2024.