Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vittoria Colonna feine allzugroße Bedeutung für sein inneres Leben zuschreiben.
Ihre Liebe ist unzweifelhaft bezeugt, und man weiß, daß er viele Sonette an
sie gerichtet hat. Aber so weit es möglich ist, die ihr gewidmeten Gedichte
mit einiger Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, unterscheiden sie sich weder durch
besondere Wärme noch durch besondere Gedanken vor vielen anderen. Im
Allgemeinen ist der Ton ein gedämpfter, das ethische Moment der Liebe tritt
stark in den Vordergrund, eine religiöse Stimmung beginnt sich anzukündigen.
Ohne Zweifel war eben der Umgang mit dieser Frau nicht ohne Einfluß auf
die religiöse Wendung, welche sich dann in den letzten Jahren Michelangelos
noch weit entschiedener vollzieht. Und wenn man weiß, daß- Vittoria Colonna
in Verbindung stand mit den damaligen reformatorischen Bestrebungen in
Italien, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die Frömmigkeit Michelangelos
entschieden von den Gedanken der Reformation und grade von ihrem Haupt¬
gedanken, dem Rechtfertigungsdogma beeinflußt erscheint. Der Widerspruch
Guastis, der sich lebhaft für die katholische Orthodoxie Michelangelos interessirt,
kann gegen das klare Zeugniß der Sonette nicht aufkommen. Indessen wissen
wir ja, daß Michelangelo bereits 50 Jahre früher der Predigt Savonarolas
lauschte und sie ihm unvergessen geblieben war. In den Briefen an seine Fa¬
milie zeigt er überall eine ehrliche, nüchterne, gesunde Frömmigkeit, und von
dieser zeugen auch die schönen Terzinen, die er beim Tod seines Vaters, wahr¬
scheinlich im Jahr 1S37 dichtete. Sonst freilich hatten in dem Dichter die
platonischen Anschauungen alles andere zurückgedrängt. In ihnen fand er volles
Genüge für sein moralisches wie für sein ästhetisches Ideal. Die Seelenlehre
Platons aber stimmte nicht mit dem christlichen Dogma. Es kommen Stellen,
die sich unbefangen über die christlichen Vorstellungen hinwegsetzen. Ein Ma¬
drigal (43) schildert in seltsamer Weise den Widerstreit der Seele, die eines"
theils zum Himmel, ihrer Heimath strebt, und andererseits auf der Erde von
der Schönheit der Geliebten festgehalten wird. Aber lieber will er die Seele
ganz aus dem Himmel verbannt wissen, um nur ganz mit der Geliebten ver¬
einigt zu werden. Und in einem andern Madrigal (64) heißt e" mit eigen¬
thümlicher Kühnheit: "Wenn die Seele dereinst in ihr süßes, ersehntes Gewand
wiederkehrt, sei es im Himmel oder in der Hölle, wird die Hölle mir lieb durch
deine Gegenwart sein; kehrt sie aber mit dir zum Himmel, so ist dein Anblick
daselbst meine höchste Lust, weit mehr als hier hoffe ich dich zu lieben, und
wenn ich dafür der göttlichen Seligkeit mich minder erfreue, was schadet im
Himmel ein so kleiner Verlust!"

Aber nun mit dem Alter drängt sich das Bild des Todes in die Liebes-
gedanken ein. Die Einheit der platonischen Anschauung beginnt sich aufzu¬
lösen; das moralische Ideal kommt mit dem ästhetischen in Conflict; christ¬
liche und platonische Bilder vermischen sich. Es kommt wohl auch vor, daß


Vittoria Colonna feine allzugroße Bedeutung für sein inneres Leben zuschreiben.
Ihre Liebe ist unzweifelhaft bezeugt, und man weiß, daß er viele Sonette an
sie gerichtet hat. Aber so weit es möglich ist, die ihr gewidmeten Gedichte
mit einiger Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, unterscheiden sie sich weder durch
besondere Wärme noch durch besondere Gedanken vor vielen anderen. Im
Allgemeinen ist der Ton ein gedämpfter, das ethische Moment der Liebe tritt
stark in den Vordergrund, eine religiöse Stimmung beginnt sich anzukündigen.
Ohne Zweifel war eben der Umgang mit dieser Frau nicht ohne Einfluß auf
die religiöse Wendung, welche sich dann in den letzten Jahren Michelangelos
noch weit entschiedener vollzieht. Und wenn man weiß, daß- Vittoria Colonna
in Verbindung stand mit den damaligen reformatorischen Bestrebungen in
Italien, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die Frömmigkeit Michelangelos
entschieden von den Gedanken der Reformation und grade von ihrem Haupt¬
gedanken, dem Rechtfertigungsdogma beeinflußt erscheint. Der Widerspruch
Guastis, der sich lebhaft für die katholische Orthodoxie Michelangelos interessirt,
kann gegen das klare Zeugniß der Sonette nicht aufkommen. Indessen wissen
wir ja, daß Michelangelo bereits 50 Jahre früher der Predigt Savonarolas
lauschte und sie ihm unvergessen geblieben war. In den Briefen an seine Fa¬
milie zeigt er überall eine ehrliche, nüchterne, gesunde Frömmigkeit, und von
dieser zeugen auch die schönen Terzinen, die er beim Tod seines Vaters, wahr¬
scheinlich im Jahr 1S37 dichtete. Sonst freilich hatten in dem Dichter die
platonischen Anschauungen alles andere zurückgedrängt. In ihnen fand er volles
Genüge für sein moralisches wie für sein ästhetisches Ideal. Die Seelenlehre
Platons aber stimmte nicht mit dem christlichen Dogma. Es kommen Stellen,
die sich unbefangen über die christlichen Vorstellungen hinwegsetzen. Ein Ma¬
drigal (43) schildert in seltsamer Weise den Widerstreit der Seele, die eines«
theils zum Himmel, ihrer Heimath strebt, und andererseits auf der Erde von
der Schönheit der Geliebten festgehalten wird. Aber lieber will er die Seele
ganz aus dem Himmel verbannt wissen, um nur ganz mit der Geliebten ver¬
einigt zu werden. Und in einem andern Madrigal (64) heißt e» mit eigen¬
thümlicher Kühnheit: „Wenn die Seele dereinst in ihr süßes, ersehntes Gewand
wiederkehrt, sei es im Himmel oder in der Hölle, wird die Hölle mir lieb durch
deine Gegenwart sein; kehrt sie aber mit dir zum Himmel, so ist dein Anblick
daselbst meine höchste Lust, weit mehr als hier hoffe ich dich zu lieben, und
wenn ich dafür der göttlichen Seligkeit mich minder erfreue, was schadet im
Himmel ein so kleiner Verlust!"

Aber nun mit dem Alter drängt sich das Bild des Todes in die Liebes-
gedanken ein. Die Einheit der platonischen Anschauung beginnt sich aufzu¬
lösen; das moralische Ideal kommt mit dem ästhetischen in Conflict; christ¬
liche und platonische Bilder vermischen sich. Es kommt wohl auch vor, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285666"/>
          <p xml:id="ID_222" prev="#ID_221"> Vittoria Colonna feine allzugroße Bedeutung für sein inneres Leben zuschreiben.<lb/>
Ihre Liebe ist unzweifelhaft bezeugt, und man weiß, daß er viele Sonette an<lb/>
sie gerichtet hat. Aber so weit es möglich ist, die ihr gewidmeten Gedichte<lb/>
mit einiger Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, unterscheiden sie sich weder durch<lb/>
besondere Wärme noch durch besondere Gedanken vor vielen anderen. Im<lb/>
Allgemeinen ist der Ton ein gedämpfter, das ethische Moment der Liebe tritt<lb/>
stark in den Vordergrund, eine religiöse Stimmung beginnt sich anzukündigen.<lb/>
Ohne Zweifel war eben der Umgang mit dieser Frau nicht ohne Einfluß auf<lb/>
die religiöse Wendung, welche sich dann in den letzten Jahren Michelangelos<lb/>
noch weit entschiedener vollzieht. Und wenn man weiß, daß- Vittoria Colonna<lb/>
in Verbindung stand mit den damaligen reformatorischen Bestrebungen in<lb/>
Italien, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die Frömmigkeit Michelangelos<lb/>
entschieden von den Gedanken der Reformation und grade von ihrem Haupt¬<lb/>
gedanken, dem Rechtfertigungsdogma beeinflußt erscheint. Der Widerspruch<lb/>
Guastis, der sich lebhaft für die katholische Orthodoxie Michelangelos interessirt,<lb/>
kann gegen das klare Zeugniß der Sonette nicht aufkommen. Indessen wissen<lb/>
wir ja, daß Michelangelo bereits 50 Jahre früher der Predigt Savonarolas<lb/>
lauschte und sie ihm unvergessen geblieben war. In den Briefen an seine Fa¬<lb/>
milie zeigt er überall eine ehrliche, nüchterne, gesunde Frömmigkeit, und von<lb/>
dieser zeugen auch die schönen Terzinen, die er beim Tod seines Vaters, wahr¬<lb/>
scheinlich im Jahr 1S37 dichtete. Sonst freilich hatten in dem Dichter die<lb/>
platonischen Anschauungen alles andere zurückgedrängt. In ihnen fand er volles<lb/>
Genüge für sein moralisches wie für sein ästhetisches Ideal. Die Seelenlehre<lb/>
Platons aber stimmte nicht mit dem christlichen Dogma. Es kommen Stellen,<lb/>
die sich unbefangen über die christlichen Vorstellungen hinwegsetzen. Ein Ma¬<lb/>
drigal (43) schildert in seltsamer Weise den Widerstreit der Seele, die eines«<lb/>
theils zum Himmel, ihrer Heimath strebt, und andererseits auf der Erde von<lb/>
der Schönheit der Geliebten festgehalten wird. Aber lieber will er die Seele<lb/>
ganz aus dem Himmel verbannt wissen, um nur ganz mit der Geliebten ver¬<lb/>
einigt zu werden. Und in einem andern Madrigal (64) heißt e» mit eigen¬<lb/>
thümlicher Kühnheit: &#x201E;Wenn die Seele dereinst in ihr süßes, ersehntes Gewand<lb/>
wiederkehrt, sei es im Himmel oder in der Hölle, wird die Hölle mir lieb durch<lb/>
deine Gegenwart sein; kehrt sie aber mit dir zum Himmel, so ist dein Anblick<lb/>
daselbst meine höchste Lust, weit mehr als hier hoffe ich dich zu lieben, und<lb/>
wenn ich dafür der göttlichen Seligkeit mich minder erfreue, was schadet im<lb/>
Himmel ein so kleiner Verlust!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_223" next="#ID_224"> Aber nun mit dem Alter drängt sich das Bild des Todes in die Liebes-<lb/>
gedanken ein. Die Einheit der platonischen Anschauung beginnt sich aufzu¬<lb/>
lösen; das moralische Ideal kommt mit dem ästhetischen in Conflict; christ¬<lb/>
liche und platonische Bilder vermischen sich.  Es kommt wohl auch vor, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Vittoria Colonna feine allzugroße Bedeutung für sein inneres Leben zuschreiben. Ihre Liebe ist unzweifelhaft bezeugt, und man weiß, daß er viele Sonette an sie gerichtet hat. Aber so weit es möglich ist, die ihr gewidmeten Gedichte mit einiger Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, unterscheiden sie sich weder durch besondere Wärme noch durch besondere Gedanken vor vielen anderen. Im Allgemeinen ist der Ton ein gedämpfter, das ethische Moment der Liebe tritt stark in den Vordergrund, eine religiöse Stimmung beginnt sich anzukündigen. Ohne Zweifel war eben der Umgang mit dieser Frau nicht ohne Einfluß auf die religiöse Wendung, welche sich dann in den letzten Jahren Michelangelos noch weit entschiedener vollzieht. Und wenn man weiß, daß- Vittoria Colonna in Verbindung stand mit den damaligen reformatorischen Bestrebungen in Italien, so kann es nicht Wunder nehmen, daß die Frömmigkeit Michelangelos entschieden von den Gedanken der Reformation und grade von ihrem Haupt¬ gedanken, dem Rechtfertigungsdogma beeinflußt erscheint. Der Widerspruch Guastis, der sich lebhaft für die katholische Orthodoxie Michelangelos interessirt, kann gegen das klare Zeugniß der Sonette nicht aufkommen. Indessen wissen wir ja, daß Michelangelo bereits 50 Jahre früher der Predigt Savonarolas lauschte und sie ihm unvergessen geblieben war. In den Briefen an seine Fa¬ milie zeigt er überall eine ehrliche, nüchterne, gesunde Frömmigkeit, und von dieser zeugen auch die schönen Terzinen, die er beim Tod seines Vaters, wahr¬ scheinlich im Jahr 1S37 dichtete. Sonst freilich hatten in dem Dichter die platonischen Anschauungen alles andere zurückgedrängt. In ihnen fand er volles Genüge für sein moralisches wie für sein ästhetisches Ideal. Die Seelenlehre Platons aber stimmte nicht mit dem christlichen Dogma. Es kommen Stellen, die sich unbefangen über die christlichen Vorstellungen hinwegsetzen. Ein Ma¬ drigal (43) schildert in seltsamer Weise den Widerstreit der Seele, die eines« theils zum Himmel, ihrer Heimath strebt, und andererseits auf der Erde von der Schönheit der Geliebten festgehalten wird. Aber lieber will er die Seele ganz aus dem Himmel verbannt wissen, um nur ganz mit der Geliebten ver¬ einigt zu werden. Und in einem andern Madrigal (64) heißt e» mit eigen¬ thümlicher Kühnheit: „Wenn die Seele dereinst in ihr süßes, ersehntes Gewand wiederkehrt, sei es im Himmel oder in der Hölle, wird die Hölle mir lieb durch deine Gegenwart sein; kehrt sie aber mit dir zum Himmel, so ist dein Anblick daselbst meine höchste Lust, weit mehr als hier hoffe ich dich zu lieben, und wenn ich dafür der göttlichen Seligkeit mich minder erfreue, was schadet im Himmel ein so kleiner Verlust!" Aber nun mit dem Alter drängt sich das Bild des Todes in die Liebes- gedanken ein. Die Einheit der platonischen Anschauung beginnt sich aufzu¬ lösen; das moralische Ideal kommt mit dem ästhetischen in Conflict; christ¬ liche und platonische Bilder vermischen sich. Es kommt wohl auch vor, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/78>, abgerufen am 22.07.2024.