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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Ausdruck giebt. Ein andres Mal die Ausführung des Malersprichworts , daß
jeder Künstler in seinen Schöpfungen nur sich selbst wiederzugeben vermöge.
Lebhaft ist in mehren Gedichten das Bewußtsein seines Berufs ausgedrückt,
den ihm der Himmel selbst verliehen hat. "Der schönen Kunst/' ruft er voll Selbst¬
gefühl aus, "bin ich geboren, die, wenn sie vom Himmel stammt und zum
Himmel aufwärts trägt, die Natur überwindet; und wenn ich so, für das Schöne
weder taub noch blind geboren, das finde, was mir das Herz in Flammen setzt,
so ist es einzig die Schuld dessen, der mich zu dieser Gluth bestimmt hat. "In
verschiedenen Variationen kehrt dieser Gedanke wieder: als seine Seele von
Gott schied, machte sie Amor ganz Auge, damit im Anblick des Schönen, das
von Gott stammend Gott am meisten gleicht, er sich hienieden zum Paradies
wieder aufschwinge. Als sichere Leuchte für seinen Beruf ist ihm bei der Geburt
die Schönheit gegeben worden; sie allein trägt das Auge zu jener Höhe der
Gedanken, die er mit dem Pinsel oder mit dem Meisel zu erreichen strebt. Die¬
jenigen fälschen die Schönheit, welche sie zu den Sinnen herabziehen, denn sie
trägt vielmehr zum Himmel jeden gesunden Geist.

War dies die Art der Liebe, von der Michelangelo in seinen Gedichten
singt, so werden wir nicht mehr nach einzelnen Verhältnissen, nach Persönlich"
leiten suchen, auf welche sie sich beziehen. Wo ihm das Schöne in seiner un¬
endlichen Mannigfaltigkeit sich darbot, ward er davon entzündet: er liebte alles
Schöne. Es ist uns eine charakteristische Aeußerung von Condivi über Michel¬
angelo aufbewahrt. "Nicht allein," schreibt der Biograph, "hat er die mensch¬
liche Schönheit geliebt, sondern überhaupt jedes Schöne, ein schönes Pferd,
einen schönen Hund, die schöne Landschaft, schöne Pflanzen, schönen Berg, schönen
Wald, kurz alles, was in seiner Weise schön und ausgezeichnet ist." Und eine
willkommene Ergänzung dazu enthält eine Stelle in dem uns schon bekannten
giannottischen Dialog. Die Freunde hatten Michelangelo aufgefordert, mit ihnen
gemeinschaftlich zu speisen; sie wollten, setzten sie hinzu, auch für Musik sorgen
und Tänze aufführen, um ihm die Melancholie zu verscheuchen.

Michelangelo: O, ihr macht mich lachen, daß ihr ans Tanzen denkt. Ich
sage euch, in dieser Welt ist es zum Weinen.

Luigi: Und grade darum müssen wir lachen, um uns so gut als möglich
aufrecht zu halten, denn dies ist ein Gebot der Natur selbst.

Michelangelo: Ihr seid in großem Irrthum. Und um euch zu zeigen, wie
sehr ihr mit euren Gründen, die mich zum Speisen mit euch überreden sollen, auf
dem Holzweg seid, so wisset, daß ich von Natur mehr zur Liebe geschaffen bin,
als vielleicht irgendeiner, der je geboren ist. So oft ich einen sehe, der von
edler Bildung ist, der irgendeine Fertigkeit des Geistes zeigt, der geschickter als
andere etwas zu thun oder zu reden versteht, so bin ich genöthigt, mich in ihn
zu verlieben, und ich bin ihm so willenlos hingegeben, daß ich nicht mehr ich


Ausdruck giebt. Ein andres Mal die Ausführung des Malersprichworts , daß
jeder Künstler in seinen Schöpfungen nur sich selbst wiederzugeben vermöge.
Lebhaft ist in mehren Gedichten das Bewußtsein seines Berufs ausgedrückt,
den ihm der Himmel selbst verliehen hat. „Der schönen Kunst/' ruft er voll Selbst¬
gefühl aus, „bin ich geboren, die, wenn sie vom Himmel stammt und zum
Himmel aufwärts trägt, die Natur überwindet; und wenn ich so, für das Schöne
weder taub noch blind geboren, das finde, was mir das Herz in Flammen setzt,
so ist es einzig die Schuld dessen, der mich zu dieser Gluth bestimmt hat. „In
verschiedenen Variationen kehrt dieser Gedanke wieder: als seine Seele von
Gott schied, machte sie Amor ganz Auge, damit im Anblick des Schönen, das
von Gott stammend Gott am meisten gleicht, er sich hienieden zum Paradies
wieder aufschwinge. Als sichere Leuchte für seinen Beruf ist ihm bei der Geburt
die Schönheit gegeben worden; sie allein trägt das Auge zu jener Höhe der
Gedanken, die er mit dem Pinsel oder mit dem Meisel zu erreichen strebt. Die¬
jenigen fälschen die Schönheit, welche sie zu den Sinnen herabziehen, denn sie
trägt vielmehr zum Himmel jeden gesunden Geist.

War dies die Art der Liebe, von der Michelangelo in seinen Gedichten
singt, so werden wir nicht mehr nach einzelnen Verhältnissen, nach Persönlich«
leiten suchen, auf welche sie sich beziehen. Wo ihm das Schöne in seiner un¬
endlichen Mannigfaltigkeit sich darbot, ward er davon entzündet: er liebte alles
Schöne. Es ist uns eine charakteristische Aeußerung von Condivi über Michel¬
angelo aufbewahrt. „Nicht allein," schreibt der Biograph, „hat er die mensch¬
liche Schönheit geliebt, sondern überhaupt jedes Schöne, ein schönes Pferd,
einen schönen Hund, die schöne Landschaft, schöne Pflanzen, schönen Berg, schönen
Wald, kurz alles, was in seiner Weise schön und ausgezeichnet ist." Und eine
willkommene Ergänzung dazu enthält eine Stelle in dem uns schon bekannten
giannottischen Dialog. Die Freunde hatten Michelangelo aufgefordert, mit ihnen
gemeinschaftlich zu speisen; sie wollten, setzten sie hinzu, auch für Musik sorgen
und Tänze aufführen, um ihm die Melancholie zu verscheuchen.

Michelangelo: O, ihr macht mich lachen, daß ihr ans Tanzen denkt. Ich
sage euch, in dieser Welt ist es zum Weinen.

Luigi: Und grade darum müssen wir lachen, um uns so gut als möglich
aufrecht zu halten, denn dies ist ein Gebot der Natur selbst.

Michelangelo: Ihr seid in großem Irrthum. Und um euch zu zeigen, wie
sehr ihr mit euren Gründen, die mich zum Speisen mit euch überreden sollen, auf
dem Holzweg seid, so wisset, daß ich von Natur mehr zur Liebe geschaffen bin,
als vielleicht irgendeiner, der je geboren ist. So oft ich einen sehe, der von
edler Bildung ist, der irgendeine Fertigkeit des Geistes zeigt, der geschickter als
andere etwas zu thun oder zu reden versteht, so bin ich genöthigt, mich in ihn
zu verlieben, und ich bin ihm so willenlos hingegeben, daß ich nicht mehr ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/76>, abgerufen am 22.07.2024.