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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Cäsar nicht verhindert. Unbeugsam bleibt er auch Cosimo gegenüber, der
wiederholt und aufs dringlichste ihn zu sich nach Florenz ladet. Bald schützt er
die schlechte Luft in Florenz vor, die er nicht ertragen könne, bald die Be¬
schwerden des Alters, oder den Bau von Sanct Peter, den er um Gottes
willen unternommen habe und nicht verlassen dürfe. Selbst der Gedanke, seine
Gebeine neben die des Vaters zu betten, vermag ihn nicht zu locken, die In¬
triguen, unter denen er in Rom leidet, nicht zu bewegen. Vergebens sucht der
Hofmaler Vasari sein Verhältniß zu Cosimo als ein ganz freundliches darzu¬
stellen; erst in den letzten Jahren, als Michelangelo nichts mehr von dieser
Welt hoffte, und die Ordnung der Dinge in Florenz unabänderlich geworden,
scheint er wenigstens äußerlich mit Cosimo ausgesöhnt. Aber Florenz sah er
nicht wieder: seine Gebeine, verordnete er, sollten in die geliebte Heimath ge¬
bracht werden.

Mit jenen meist weit jüngeren Landsleuten unterhielt Michelangelo einen
herzlichen Verkehr, der den bald gutmüthig scherzenden, bald mit seinem Ernst
dazwischentretenden Alten wie einen Sokrates unter den Jünglingen erscheinen
läßt. Dieser Eindruck ist es, den wir aus einem höchst schätzbaren Document
erhallen, das uns einer jener Freunde selbst hinterlassen hat und das erst vor
wenigen Jahren veröffentlicht worden ist. Es war im Jahre 1L46, als eines
Tages zwei jener Emigrirten, Luigi del Riccio und Antonio Petreo, durch die
Stadt spazieren gingen und über einen Gegenstand der göttlichen KoMödie in
Streit geriethen. Während sie eifrig im Gespräch sind, begegnen sie Buonar-
roti und Donato Giannotti, die eben vom Capitol kommen. Diese werden
sofort in den Streit gezogen, und Giannotti hat nachher das ganze Gespräch
zu Papier gebracht. Ist auch diese Aufzeichnung nicht wörtlich, so dient sie
doch ganz vortrefflich zur Charakteristik Michelangelos und seines Verkehrs mit
den jungen Leuten; ein willkommenes Seitenstück zu dem bekannten Bericht des
Meisters Franz von Holland über den Verkehr Michelangelos mit Vittoria Co-
lonna. Nebst anderen kostbaren Einzelheiten erfahren wir daraus, wie Michel¬
angelo damals über die Lage seiner Vaterstadt dachte und trauerte.

Merkwürdig -- ruft Michelangelo aus, als er von dem Streit hört --
und doch eine allgemeine Erfahrung unter uns, daß so selten der eine die
gleiche Ansicht hat wie der andere. Und wenn viele irgendwo zusammen sind,
um über etwas zu verhandeln, so giebt es immer tausenderlei Meinungen; und
von dieser Eigenschaft rühren Vielleicht die Zwistigkeiten und der Verfall unsres
Toscana her. Darum muß ich immer die Antwort loben/ die ein edler Mit¬
bürger von uns einem andern aus die Aufforderung gab, in einen gewissen
Verein zu treten, den einige Mißvergnügte gestiftet hatten.

Antonio: Was war die Antwort?

Michelangelo: Er antwortete, ihm genüge es, Mitglied des Consilio


Cäsar nicht verhindert. Unbeugsam bleibt er auch Cosimo gegenüber, der
wiederholt und aufs dringlichste ihn zu sich nach Florenz ladet. Bald schützt er
die schlechte Luft in Florenz vor, die er nicht ertragen könne, bald die Be¬
schwerden des Alters, oder den Bau von Sanct Peter, den er um Gottes
willen unternommen habe und nicht verlassen dürfe. Selbst der Gedanke, seine
Gebeine neben die des Vaters zu betten, vermag ihn nicht zu locken, die In¬
triguen, unter denen er in Rom leidet, nicht zu bewegen. Vergebens sucht der
Hofmaler Vasari sein Verhältniß zu Cosimo als ein ganz freundliches darzu¬
stellen; erst in den letzten Jahren, als Michelangelo nichts mehr von dieser
Welt hoffte, und die Ordnung der Dinge in Florenz unabänderlich geworden,
scheint er wenigstens äußerlich mit Cosimo ausgesöhnt. Aber Florenz sah er
nicht wieder: seine Gebeine, verordnete er, sollten in die geliebte Heimath ge¬
bracht werden.

Mit jenen meist weit jüngeren Landsleuten unterhielt Michelangelo einen
herzlichen Verkehr, der den bald gutmüthig scherzenden, bald mit seinem Ernst
dazwischentretenden Alten wie einen Sokrates unter den Jünglingen erscheinen
läßt. Dieser Eindruck ist es, den wir aus einem höchst schätzbaren Document
erhallen, das uns einer jener Freunde selbst hinterlassen hat und das erst vor
wenigen Jahren veröffentlicht worden ist. Es war im Jahre 1L46, als eines
Tages zwei jener Emigrirten, Luigi del Riccio und Antonio Petreo, durch die
Stadt spazieren gingen und über einen Gegenstand der göttlichen KoMödie in
Streit geriethen. Während sie eifrig im Gespräch sind, begegnen sie Buonar-
roti und Donato Giannotti, die eben vom Capitol kommen. Diese werden
sofort in den Streit gezogen, und Giannotti hat nachher das ganze Gespräch
zu Papier gebracht. Ist auch diese Aufzeichnung nicht wörtlich, so dient sie
doch ganz vortrefflich zur Charakteristik Michelangelos und seines Verkehrs mit
den jungen Leuten; ein willkommenes Seitenstück zu dem bekannten Bericht des
Meisters Franz von Holland über den Verkehr Michelangelos mit Vittoria Co-
lonna. Nebst anderen kostbaren Einzelheiten erfahren wir daraus, wie Michel¬
angelo damals über die Lage seiner Vaterstadt dachte und trauerte.

Merkwürdig — ruft Michelangelo aus, als er von dem Streit hört —
und doch eine allgemeine Erfahrung unter uns, daß so selten der eine die
gleiche Ansicht hat wie der andere. Und wenn viele irgendwo zusammen sind,
um über etwas zu verhandeln, so giebt es immer tausenderlei Meinungen; und
von dieser Eigenschaft rühren Vielleicht die Zwistigkeiten und der Verfall unsres
Toscana her. Darum muß ich immer die Antwort loben/ die ein edler Mit¬
bürger von uns einem andern aus die Aufforderung gab, in einen gewissen
Verein zu treten, den einige Mißvergnügte gestiftet hatten.

Antonio: Was war die Antwort?

Michelangelo: Er antwortete, ihm genüge es, Mitglied des Consilio


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[0068] Cäsar nicht verhindert. Unbeugsam bleibt er auch Cosimo gegenüber, der wiederholt und aufs dringlichste ihn zu sich nach Florenz ladet. Bald schützt er die schlechte Luft in Florenz vor, die er nicht ertragen könne, bald die Be¬ schwerden des Alters, oder den Bau von Sanct Peter, den er um Gottes willen unternommen habe und nicht verlassen dürfe. Selbst der Gedanke, seine Gebeine neben die des Vaters zu betten, vermag ihn nicht zu locken, die In¬ triguen, unter denen er in Rom leidet, nicht zu bewegen. Vergebens sucht der Hofmaler Vasari sein Verhältniß zu Cosimo als ein ganz freundliches darzu¬ stellen; erst in den letzten Jahren, als Michelangelo nichts mehr von dieser Welt hoffte, und die Ordnung der Dinge in Florenz unabänderlich geworden, scheint er wenigstens äußerlich mit Cosimo ausgesöhnt. Aber Florenz sah er nicht wieder: seine Gebeine, verordnete er, sollten in die geliebte Heimath ge¬ bracht werden. Mit jenen meist weit jüngeren Landsleuten unterhielt Michelangelo einen herzlichen Verkehr, der den bald gutmüthig scherzenden, bald mit seinem Ernst dazwischentretenden Alten wie einen Sokrates unter den Jünglingen erscheinen läßt. Dieser Eindruck ist es, den wir aus einem höchst schätzbaren Document erhallen, das uns einer jener Freunde selbst hinterlassen hat und das erst vor wenigen Jahren veröffentlicht worden ist. Es war im Jahre 1L46, als eines Tages zwei jener Emigrirten, Luigi del Riccio und Antonio Petreo, durch die Stadt spazieren gingen und über einen Gegenstand der göttlichen KoMödie in Streit geriethen. Während sie eifrig im Gespräch sind, begegnen sie Buonar- roti und Donato Giannotti, die eben vom Capitol kommen. Diese werden sofort in den Streit gezogen, und Giannotti hat nachher das ganze Gespräch zu Papier gebracht. Ist auch diese Aufzeichnung nicht wörtlich, so dient sie doch ganz vortrefflich zur Charakteristik Michelangelos und seines Verkehrs mit den jungen Leuten; ein willkommenes Seitenstück zu dem bekannten Bericht des Meisters Franz von Holland über den Verkehr Michelangelos mit Vittoria Co- lonna. Nebst anderen kostbaren Einzelheiten erfahren wir daraus, wie Michel¬ angelo damals über die Lage seiner Vaterstadt dachte und trauerte. Merkwürdig — ruft Michelangelo aus, als er von dem Streit hört — und doch eine allgemeine Erfahrung unter uns, daß so selten der eine die gleiche Ansicht hat wie der andere. Und wenn viele irgendwo zusammen sind, um über etwas zu verhandeln, so giebt es immer tausenderlei Meinungen; und von dieser Eigenschaft rühren Vielleicht die Zwistigkeiten und der Verfall unsres Toscana her. Darum muß ich immer die Antwort loben/ die ein edler Mit¬ bürger von uns einem andern aus die Aufforderung gab, in einen gewissen Verein zu treten, den einige Mißvergnügte gestiftet hatten. Antonio: Was war die Antwort? Michelangelo: Er antwortete, ihm genüge es, Mitglied des Consilio

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/68>, abgerufen am 22.07.2024.