Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mir ward als mein Theil die finstre Zeit gegeben. Nur sich selbst vermag der
Künstler wiederzugeben: der Nacht gleiche ich, die, je weiter sie rückt, um so
dunkler wird, und so versenkt der Arbeit Fortgang mich in immer diesre Trauer.
Nur das tröstet mich, daß meine dunkle Nacht das Licht der Sonne Heller
leuchten macht, die Euch, Geliebte, bei der Geburt als Begleiterin gegeben ward." --
Ob unter der Geliebten bier die Stadt Florenz zu verstehen ist. deren Ruhm
er durch das Werk seiner Kunst mehrt?

"Ein einziger leuchtender Wurm/' dies der Inhalt des zweiten Sonetts, "ist
im Stande die Nacht zu besiegen und ihre göttlichen Eigenschaften zu ver¬
scheuchen. Was dem Sonnenblick erschlossen liegt, bringt vom stolzen Pflug
durchschnitten tausend Saaten und Gewächse hervor: aber den Menschen zu
pflanzen dient der Schatten, und so viel mehr der Mensch ist'als des Feldes
Früchte, so viel Heilger sind die Nächte als der Tag." Der Gedanke, die Nacht
sei so schwach, daß eine Fackel, Stahl und Zunder, ein kleines Würmchen sie
verscheuchen könne, wird im dritten Sonett noch weiter ausgeführt, während
das vierte sich zu einer glänzenden Hymne an die Nacht gestaltet: "O Nacht,
o selige, obwohl schwarze Zeit, wer dich erhebt, hat rechten Sinn; ein Ende
machst du jedem müden Gedanken, denn dein feuchter Schatten bringt alles zur
Ruh, und von der Erbe nach oben ziehend trägt mich der Traum dahin, wo
ich einst zu sein hoffe. O Schatten des Todes, der alles, was das Herz bestürmt,
zum Schweigen bringt, du letztes, sichres Mittel für die Schmerzen, du giebst
Stärkung unsern schwachen Gliedern, trocknest die Thränen, erquickst die Müden
und nimmst jeden Zorn und Ueberdruß von dem Rechtschaffenen hinweg." --

Seit dem Jahre 1534 lebte Michelangelo in Rom. Nichts vermochte ihn
wieder in die geliebte, der Freiheit beraubte Heimath zurückzubringen. Rom
war unter dem Pontisicat des französisch gesinnten Farnese das Asyl der Flo¬
rentiner, die von den Medicäern verbannt waren oder unter ihrer Herrschaft
nicht leben mochten. Sie standen unter dem besonderen Schutz der Cardinäle
Salviati und Nidolsi; in Michelangelo verehrten sie eine theure Rei>quie der
Republik. Hier schmiedeten sie ihre Entwürfe, deren letzter die verunglückie
Unternehmung Piero Strozzis im Jahr 1SS4 war. Mit ihnen theilt Michel¬
angelo die Erinnerungen und Hoffnungen. Im Jahr 1544 denkt er daran, aus
eigene Kosten eine Reiterstatue für den Hauptplatz in Florenz auszuführen, falls
die Stadt ihre Freiheit wieder erlange. Besonders verhaßt ist ihm der Herzog
Alessandro. Noch in Florenz lebend hatte er ihm die Zeichnung zu einer
Festung verweigert, die jener als ein Trutz-Florenz zu bauen beschloß. Als
Alessandro durch seinen Better Lorenzino ermordet ist, macht Michelangelo auf
die Bitte seines Freundes Donato Giannvtti für den Cardinal Rivolfi eine
Brutusbüste, mit offenbarer Anspielung auf Lorenzino. Freilich macht er die
Erfahrung, daß die That des neuen Brutus das Emporkommen eines neuen


mir ward als mein Theil die finstre Zeit gegeben. Nur sich selbst vermag der
Künstler wiederzugeben: der Nacht gleiche ich, die, je weiter sie rückt, um so
dunkler wird, und so versenkt der Arbeit Fortgang mich in immer diesre Trauer.
Nur das tröstet mich, daß meine dunkle Nacht das Licht der Sonne Heller
leuchten macht, die Euch, Geliebte, bei der Geburt als Begleiterin gegeben ward." —
Ob unter der Geliebten bier die Stadt Florenz zu verstehen ist. deren Ruhm
er durch das Werk seiner Kunst mehrt?

„Ein einziger leuchtender Wurm/' dies der Inhalt des zweiten Sonetts, „ist
im Stande die Nacht zu besiegen und ihre göttlichen Eigenschaften zu ver¬
scheuchen. Was dem Sonnenblick erschlossen liegt, bringt vom stolzen Pflug
durchschnitten tausend Saaten und Gewächse hervor: aber den Menschen zu
pflanzen dient der Schatten, und so viel mehr der Mensch ist'als des Feldes
Früchte, so viel Heilger sind die Nächte als der Tag." Der Gedanke, die Nacht
sei so schwach, daß eine Fackel, Stahl und Zunder, ein kleines Würmchen sie
verscheuchen könne, wird im dritten Sonett noch weiter ausgeführt, während
das vierte sich zu einer glänzenden Hymne an die Nacht gestaltet: „O Nacht,
o selige, obwohl schwarze Zeit, wer dich erhebt, hat rechten Sinn; ein Ende
machst du jedem müden Gedanken, denn dein feuchter Schatten bringt alles zur
Ruh, und von der Erbe nach oben ziehend trägt mich der Traum dahin, wo
ich einst zu sein hoffe. O Schatten des Todes, der alles, was das Herz bestürmt,
zum Schweigen bringt, du letztes, sichres Mittel für die Schmerzen, du giebst
Stärkung unsern schwachen Gliedern, trocknest die Thränen, erquickst die Müden
und nimmst jeden Zorn und Ueberdruß von dem Rechtschaffenen hinweg." —

Seit dem Jahre 1534 lebte Michelangelo in Rom. Nichts vermochte ihn
wieder in die geliebte, der Freiheit beraubte Heimath zurückzubringen. Rom
war unter dem Pontisicat des französisch gesinnten Farnese das Asyl der Flo¬
rentiner, die von den Medicäern verbannt waren oder unter ihrer Herrschaft
nicht leben mochten. Sie standen unter dem besonderen Schutz der Cardinäle
Salviati und Nidolsi; in Michelangelo verehrten sie eine theure Rei>quie der
Republik. Hier schmiedeten sie ihre Entwürfe, deren letzter die verunglückie
Unternehmung Piero Strozzis im Jahr 1SS4 war. Mit ihnen theilt Michel¬
angelo die Erinnerungen und Hoffnungen. Im Jahr 1544 denkt er daran, aus
eigene Kosten eine Reiterstatue für den Hauptplatz in Florenz auszuführen, falls
die Stadt ihre Freiheit wieder erlange. Besonders verhaßt ist ihm der Herzog
Alessandro. Noch in Florenz lebend hatte er ihm die Zeichnung zu einer
Festung verweigert, die jener als ein Trutz-Florenz zu bauen beschloß. Als
Alessandro durch seinen Better Lorenzino ermordet ist, macht Michelangelo auf
die Bitte seines Freundes Donato Giannvtti für den Cardinal Rivolfi eine
Brutusbüste, mit offenbarer Anspielung auf Lorenzino. Freilich macht er die
Erfahrung, daß die That des neuen Brutus das Emporkommen eines neuen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285655"/>
          <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> mir ward als mein Theil die finstre Zeit gegeben. Nur sich selbst vermag der<lb/>
Künstler wiederzugeben: der Nacht gleiche ich, die, je weiter sie rückt, um so<lb/>
dunkler wird, und so versenkt der Arbeit Fortgang mich in immer diesre Trauer.<lb/>
Nur das tröstet mich, daß meine dunkle Nacht das Licht der Sonne Heller<lb/>
leuchten macht, die Euch, Geliebte, bei der Geburt als Begleiterin gegeben ward." &#x2014;<lb/>
Ob unter der Geliebten bier die Stadt Florenz zu verstehen ist. deren Ruhm<lb/>
er durch das Werk seiner Kunst mehrt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_177"> &#x201E;Ein einziger leuchtender Wurm/' dies der Inhalt des zweiten Sonetts, &#x201E;ist<lb/>
im Stande die Nacht zu besiegen und ihre göttlichen Eigenschaften zu ver¬<lb/>
scheuchen. Was dem Sonnenblick erschlossen liegt, bringt vom stolzen Pflug<lb/>
durchschnitten tausend Saaten und Gewächse hervor: aber den Menschen zu<lb/>
pflanzen dient der Schatten, und so viel mehr der Mensch ist'als des Feldes<lb/>
Früchte, so viel Heilger sind die Nächte als der Tag." Der Gedanke, die Nacht<lb/>
sei so schwach, daß eine Fackel, Stahl und Zunder, ein kleines Würmchen sie<lb/>
verscheuchen könne, wird im dritten Sonett noch weiter ausgeführt, während<lb/>
das vierte sich zu einer glänzenden Hymne an die Nacht gestaltet: &#x201E;O Nacht,<lb/>
o selige, obwohl schwarze Zeit, wer dich erhebt, hat rechten Sinn; ein Ende<lb/>
machst du jedem müden Gedanken, denn dein feuchter Schatten bringt alles zur<lb/>
Ruh, und von der Erbe nach oben ziehend trägt mich der Traum dahin, wo<lb/>
ich einst zu sein hoffe. O Schatten des Todes, der alles, was das Herz bestürmt,<lb/>
zum Schweigen bringt, du letztes, sichres Mittel für die Schmerzen, du giebst<lb/>
Stärkung unsern schwachen Gliedern, trocknest die Thränen, erquickst die Müden<lb/>
und nimmst jeden Zorn und Ueberdruß von dem Rechtschaffenen hinweg." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_178" next="#ID_179"> Seit dem Jahre 1534 lebte Michelangelo in Rom. Nichts vermochte ihn<lb/>
wieder in die geliebte, der Freiheit beraubte Heimath zurückzubringen. Rom<lb/>
war unter dem Pontisicat des französisch gesinnten Farnese das Asyl der Flo¬<lb/>
rentiner, die von den Medicäern verbannt waren oder unter ihrer Herrschaft<lb/>
nicht leben mochten. Sie standen unter dem besonderen Schutz der Cardinäle<lb/>
Salviati und Nidolsi; in Michelangelo verehrten sie eine theure Rei&gt;quie der<lb/>
Republik. Hier schmiedeten sie ihre Entwürfe, deren letzter die verunglückie<lb/>
Unternehmung Piero Strozzis im Jahr 1SS4 war. Mit ihnen theilt Michel¬<lb/>
angelo die Erinnerungen und Hoffnungen. Im Jahr 1544 denkt er daran, aus<lb/>
eigene Kosten eine Reiterstatue für den Hauptplatz in Florenz auszuführen, falls<lb/>
die Stadt ihre Freiheit wieder erlange. Besonders verhaßt ist ihm der Herzog<lb/>
Alessandro. Noch in Florenz lebend hatte er ihm die Zeichnung zu einer<lb/>
Festung verweigert, die jener als ein Trutz-Florenz zu bauen beschloß. Als<lb/>
Alessandro durch seinen Better Lorenzino ermordet ist, macht Michelangelo auf<lb/>
die Bitte seines Freundes Donato Giannvtti für den Cardinal Rivolfi eine<lb/>
Brutusbüste, mit offenbarer Anspielung auf Lorenzino. Freilich macht er die<lb/>
Erfahrung, daß die That des neuen Brutus das Emporkommen eines neuen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] mir ward als mein Theil die finstre Zeit gegeben. Nur sich selbst vermag der Künstler wiederzugeben: der Nacht gleiche ich, die, je weiter sie rückt, um so dunkler wird, und so versenkt der Arbeit Fortgang mich in immer diesre Trauer. Nur das tröstet mich, daß meine dunkle Nacht das Licht der Sonne Heller leuchten macht, die Euch, Geliebte, bei der Geburt als Begleiterin gegeben ward." — Ob unter der Geliebten bier die Stadt Florenz zu verstehen ist. deren Ruhm er durch das Werk seiner Kunst mehrt? „Ein einziger leuchtender Wurm/' dies der Inhalt des zweiten Sonetts, „ist im Stande die Nacht zu besiegen und ihre göttlichen Eigenschaften zu ver¬ scheuchen. Was dem Sonnenblick erschlossen liegt, bringt vom stolzen Pflug durchschnitten tausend Saaten und Gewächse hervor: aber den Menschen zu pflanzen dient der Schatten, und so viel mehr der Mensch ist'als des Feldes Früchte, so viel Heilger sind die Nächte als der Tag." Der Gedanke, die Nacht sei so schwach, daß eine Fackel, Stahl und Zunder, ein kleines Würmchen sie verscheuchen könne, wird im dritten Sonett noch weiter ausgeführt, während das vierte sich zu einer glänzenden Hymne an die Nacht gestaltet: „O Nacht, o selige, obwohl schwarze Zeit, wer dich erhebt, hat rechten Sinn; ein Ende machst du jedem müden Gedanken, denn dein feuchter Schatten bringt alles zur Ruh, und von der Erbe nach oben ziehend trägt mich der Traum dahin, wo ich einst zu sein hoffe. O Schatten des Todes, der alles, was das Herz bestürmt, zum Schweigen bringt, du letztes, sichres Mittel für die Schmerzen, du giebst Stärkung unsern schwachen Gliedern, trocknest die Thränen, erquickst die Müden und nimmst jeden Zorn und Ueberdruß von dem Rechtschaffenen hinweg." — Seit dem Jahre 1534 lebte Michelangelo in Rom. Nichts vermochte ihn wieder in die geliebte, der Freiheit beraubte Heimath zurückzubringen. Rom war unter dem Pontisicat des französisch gesinnten Farnese das Asyl der Flo¬ rentiner, die von den Medicäern verbannt waren oder unter ihrer Herrschaft nicht leben mochten. Sie standen unter dem besonderen Schutz der Cardinäle Salviati und Nidolsi; in Michelangelo verehrten sie eine theure Rei>quie der Republik. Hier schmiedeten sie ihre Entwürfe, deren letzter die verunglückie Unternehmung Piero Strozzis im Jahr 1SS4 war. Mit ihnen theilt Michel¬ angelo die Erinnerungen und Hoffnungen. Im Jahr 1544 denkt er daran, aus eigene Kosten eine Reiterstatue für den Hauptplatz in Florenz auszuführen, falls die Stadt ihre Freiheit wieder erlange. Besonders verhaßt ist ihm der Herzog Alessandro. Noch in Florenz lebend hatte er ihm die Zeichnung zu einer Festung verweigert, die jener als ein Trutz-Florenz zu bauen beschloß. Als Alessandro durch seinen Better Lorenzino ermordet ist, macht Michelangelo auf die Bitte seines Freundes Donato Giannvtti für den Cardinal Rivolfi eine Brutusbüste, mit offenbarer Anspielung auf Lorenzino. Freilich macht er die Erfahrung, daß die That des neuen Brutus das Emporkommen eines neuen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/67>, abgerufen am 22.07.2024.