Künstler übte; nach langen Jahren noch waren ihm die Worte des Bruders von San Marco gegenwärtig und seine Schriften eine liebe Lectüre. Michel¬ angelo ist jetzt Republikaner, er hält zu den Piagnonen, der Partei Savonarolas, wir sehen ihn in der Folge mit einem Valori, einem Soderini und andern Häuptern der Republik befreundet. Mit dem Tod der Nachkommen Lorenzos, Giuliano (1516) und Lorenzo (1619) ist auch sein persönliches Verhältniß zur medicäischen Familie gelöst. Dies hindert nicht, daß er wie von Leo so auch später von Clemens Aufträge annimmt, die der Verherrlichung der Familie gelten. Aber er ist innerlich frei geworden, nichts steht mehr im Wege, für seine republikanische Ueberzeugung nöthigenfalls thatkräftig einzutreten.
In einem eigenthümlichen Conflict sehen wir Michelangelo während der berühmten von Geschichtschreibern und Dichtern vielgefeierten Belagerung seiner Vaterstadt im Jahre 1S29, des Todeskampfes der Republik. Er befindet sich damals in Florenz, um im Auftrage Clemens des Siebenten in der Sakristei der Familienkirche die Grabdenkmäler von Lorenzo und Giuliano auszuführen. Jetzt ernennt ihn die Stadt zum obersten Leiter der Befestigungsarbeiten, und als solcher nimmt er hervorragenden Antheil an der Vertheidigung der Stadt, die der Papst, mit dem Kaiser verbunden, wieder zu gewinnen trachtet. Als Künstler arbeitet er sür denselben Mann, den er als Bürger verabscheut und bekämpft, und während er bei Tag die Festungswerke baut und besichtigt, schleicht er sich des Nachts unbemerkt in die Sakristei von San Lorenzo und meißelt heimlich an den Statuen weiter, die das medicäische Haus zu verherrlichen be¬ stimmt sind! Als die Stadt im August 1630 durch Verrath gefallen, wird eine Amnestie erlassen: Michelangelo befindet sich unter den von der Amnestie Ausgeschlossenen. Er hält sich in einem Versteck, bis ihm der Papst Verzeihung ankündigen läßt unter der Bedingung, daß er die Grabdenkmäler vollende. Michelangelo gehorcht, noch einmal siegt der Künstler über den Republikaner; bis zum Jahr 1634 zieht sich die Arbeit hinaus, dann verläßt er Florenz für immer.
Welche Gefühle mögen unter solchen Umständen, vor und nach der Ein¬ nahme der Stadt, die Arbeit an diesen Sculpturen begleitet haben? Vielleicht ist uns noch eine Spur davon erhalten. Erinnern wir uns, daß er heimlich bei Nacht an ihnen arbeitet, daß die ausgezeichnetste darunter eine Statue der Nacht ist. Und nun finden wir eine Anzahl Sonette an die Nacht (41--44), schwermüthig ernst, spitzfindig grübelnd: ist die Vermuthung zu gewagt, daß diese brütenden Nachtgedanken dem in die Gestalt jener Nacht Versenkten auf¬ stiegen, der sich gewaltsam vor der Außenwelt verschließend den Bildern seiner Phantasie nachsann? "Der aus dem Nichts" -- so lautet das eine -- "die Zeit erschuf, theilte sie in Tag und Nacht, und gab die Sonne dem einen, der andern den Mond. Damals ward Loos und Schicksal eines jeden entschieden, und
Künstler übte; nach langen Jahren noch waren ihm die Worte des Bruders von San Marco gegenwärtig und seine Schriften eine liebe Lectüre. Michel¬ angelo ist jetzt Republikaner, er hält zu den Piagnonen, der Partei Savonarolas, wir sehen ihn in der Folge mit einem Valori, einem Soderini und andern Häuptern der Republik befreundet. Mit dem Tod der Nachkommen Lorenzos, Giuliano (1516) und Lorenzo (1619) ist auch sein persönliches Verhältniß zur medicäischen Familie gelöst. Dies hindert nicht, daß er wie von Leo so auch später von Clemens Aufträge annimmt, die der Verherrlichung der Familie gelten. Aber er ist innerlich frei geworden, nichts steht mehr im Wege, für seine republikanische Ueberzeugung nöthigenfalls thatkräftig einzutreten.
In einem eigenthümlichen Conflict sehen wir Michelangelo während der berühmten von Geschichtschreibern und Dichtern vielgefeierten Belagerung seiner Vaterstadt im Jahre 1S29, des Todeskampfes der Republik. Er befindet sich damals in Florenz, um im Auftrage Clemens des Siebenten in der Sakristei der Familienkirche die Grabdenkmäler von Lorenzo und Giuliano auszuführen. Jetzt ernennt ihn die Stadt zum obersten Leiter der Befestigungsarbeiten, und als solcher nimmt er hervorragenden Antheil an der Vertheidigung der Stadt, die der Papst, mit dem Kaiser verbunden, wieder zu gewinnen trachtet. Als Künstler arbeitet er sür denselben Mann, den er als Bürger verabscheut und bekämpft, und während er bei Tag die Festungswerke baut und besichtigt, schleicht er sich des Nachts unbemerkt in die Sakristei von San Lorenzo und meißelt heimlich an den Statuen weiter, die das medicäische Haus zu verherrlichen be¬ stimmt sind! Als die Stadt im August 1630 durch Verrath gefallen, wird eine Amnestie erlassen: Michelangelo befindet sich unter den von der Amnestie Ausgeschlossenen. Er hält sich in einem Versteck, bis ihm der Papst Verzeihung ankündigen läßt unter der Bedingung, daß er die Grabdenkmäler vollende. Michelangelo gehorcht, noch einmal siegt der Künstler über den Republikaner; bis zum Jahr 1634 zieht sich die Arbeit hinaus, dann verläßt er Florenz für immer.
Welche Gefühle mögen unter solchen Umständen, vor und nach der Ein¬ nahme der Stadt, die Arbeit an diesen Sculpturen begleitet haben? Vielleicht ist uns noch eine Spur davon erhalten. Erinnern wir uns, daß er heimlich bei Nacht an ihnen arbeitet, daß die ausgezeichnetste darunter eine Statue der Nacht ist. Und nun finden wir eine Anzahl Sonette an die Nacht (41—44), schwermüthig ernst, spitzfindig grübelnd: ist die Vermuthung zu gewagt, daß diese brütenden Nachtgedanken dem in die Gestalt jener Nacht Versenkten auf¬ stiegen, der sich gewaltsam vor der Außenwelt verschließend den Bildern seiner Phantasie nachsann? „Der aus dem Nichts" — so lautet das eine — „die Zeit erschuf, theilte sie in Tag und Nacht, und gab die Sonne dem einen, der andern den Mond. Damals ward Loos und Schicksal eines jeden entschieden, und
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wir sehen ihn in der Folge mit einem Valori, einem Soderini und andern
Häuptern der Republik befreundet. Mit dem Tod der Nachkommen Lorenzos,
Giuliano (1516) und Lorenzo (1619) ist auch sein persönliches Verhältniß zur
medicäischen Familie gelöst. Dies hindert nicht, daß er wie von Leo so auch
später von Clemens Aufträge annimmt, die der Verherrlichung der Familie
gelten. Aber er ist innerlich frei geworden, nichts steht mehr im Wege, für
seine republikanische Ueberzeugung nöthigenfalls thatkräftig einzutreten.
In einem eigenthümlichen Conflict sehen wir Michelangelo während der
berühmten von Geschichtschreibern und Dichtern vielgefeierten Belagerung seiner
Vaterstadt im Jahre 1S29, des Todeskampfes der Republik. Er befindet sich
damals in Florenz, um im Auftrage Clemens des Siebenten in der Sakristei
der Familienkirche die Grabdenkmäler von Lorenzo und Giuliano auszuführen.
Jetzt ernennt ihn die Stadt zum obersten Leiter der Befestigungsarbeiten, und
als solcher nimmt er hervorragenden Antheil an der Vertheidigung der Stadt,
die der Papst, mit dem Kaiser verbunden, wieder zu gewinnen trachtet. Als
Künstler arbeitet er sür denselben Mann, den er als Bürger verabscheut und
bekämpft, und während er bei Tag die Festungswerke baut und besichtigt, schleicht
er sich des Nachts unbemerkt in die Sakristei von San Lorenzo und meißelt
heimlich an den Statuen weiter, die das medicäische Haus zu verherrlichen be¬
stimmt sind! Als die Stadt im August 1630 durch Verrath gefallen, wird
eine Amnestie erlassen: Michelangelo befindet sich unter den von der Amnestie
Ausgeschlossenen. Er hält sich in einem Versteck, bis ihm der Papst Verzeihung
ankündigen läßt unter der Bedingung, daß er die Grabdenkmäler vollende.
Michelangelo gehorcht, noch einmal siegt der Künstler über den Republikaner;
bis zum Jahr 1634 zieht sich die Arbeit hinaus, dann verläßt er Florenz für
immer.
Welche Gefühle mögen unter solchen Umständen, vor und nach der Ein¬
nahme der Stadt, die Arbeit an diesen Sculpturen begleitet haben? Vielleicht
ist uns noch eine Spur davon erhalten. Erinnern wir uns, daß er heimlich
bei Nacht an ihnen arbeitet, daß die ausgezeichnetste darunter eine Statue der
Nacht ist. Und nun finden wir eine Anzahl Sonette an die Nacht (41—44),
schwermüthig ernst, spitzfindig grübelnd: ist die Vermuthung zu gewagt, daß
diese brütenden Nachtgedanken dem in die Gestalt jener Nacht Versenkten auf¬
stiegen, der sich gewaltsam vor der Außenwelt verschließend den Bildern seiner
Phantasie nachsann? „Der aus dem Nichts" — so lautet das eine — „die Zeit
erschuf, theilte sie in Tag und Nacht, und gab die Sonne dem einen, der andern
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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/66>, abgerufen am 24.01.2025.
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