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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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tags) wieder wie ehedem einer Mainzer Commission oder einem frankfurter
Centraluntersuchungsausschuß des Bundestages überwiesen und entweder in
das Ausland versprengt oder in den Kerker geworfen, oder sonstwie mit Stumpf
und Stiel ausgerottet werden müßte. Hat doch der frankfurter Senat dem
Volksverein, welcher sich unter Führung der Herren Röckel, G. v. Struve und
Trabert am 20. Juni in Frankfurt bildete, um das Bundesrecht zu vertheidigen,
unter Berufung aus die klaren und unzweifelhaften Vorschriften eben dieses
nämlichen Bundesrechts d"s frankfurter Dominik verweigert. "?er yuoä yuig
xeeeat, per item xuiriwr et iäem." Der alte Hegel nannte das, glaub' ich,
die List der Idee.

Der moderne Staat, der, um die überwuchernden Mißbildungen und Zwerg-
gcstaltungen des sinkenden und überlebten Mittelalters zu überwinden und zu
absorbiren, sich häusig in das rauhe Gewand des gestrengen Zucht- und Schul¬
meisters, des harten Fiscals, des unnachsichtiger Unteroffiziers, des absolutistischen
Bureaukraten und Calculators kleiden mußte, ist nicht immer liebenswürdig
und war es früher noch weniger. Auch ging er vielfach zu weit; er muß durch,
das Princip der Selbstverwaltung in Kirche, Schulen, Gemeinde, Bezirk, Kreis.
Provinz' aus sein eigenstes wahres Gebiet zurückgedrängt werden. Auf diesem
Gebiet muß er einheitlich centralistrt sein. Aber nur auf diesem. Im Uebrigen
muß er der bürgerlichen Gesellschaft gestatten, sich zu emancipiren und sich selb¬
ständig um die localen Centren zu gruppiren; mit andern Worten: Es muß
zwischen der bürgerlichen Gesellschaft einerseits und dem Staate andrerseits
eine Auseinandersetzung und Grenzregulirung stattfinden, damit jeder Theil auf
seinem Gebiete die volle Freiheit der Action erhält. Die Staatsgewalt verliert
dadurch einen Theil ihres jetzigen ausgedehnten Geschäftskreises, aber auf dem
Theil, den sie behält, wird sie viel stärker. Das ist ein Kampf, den das Bürger-
thum mit dem Staate, trotz des Dankes, den es ihm schuldet für die Erlösung
von der Staatenlosigkeit des Mittelalters. in der Zukunft energisch und rück¬
sichtslos, und zwar im Interesse des Staates selbst, auszukämpfen hat. Aber
um dieser Differenz willen die Existenz des Staats negiren, denselben decentra-
lisiren, in Gemeinden, Kreise. Cantönli und sonstige centrifugale Verbände auf¬
lösen zu wollen, das wäre schlimmer, als das Kind mit dem Bade ausschütten.
Das stünde auf einer Linie mit dem Vatermord. Denn der moderne Staat
ist der Vater des modernen Bürgerthums. Er hat ihm die wirthschafiliche Ein¬
heit und Freiheit, den Wohlstand und die Bildung gegeben, und er wird ihm
-- um seiner selbst willen -- mag er wollen oder nicht, auch die politische
Einheit und Freiheit geben müssen. Aber freilich, indem er Rechte und Wohl¬
thaten giebt, verlangt er die Uebernahme vo" Pflichten und Opfern. Indem
er Leben und Eigenthum mit starker Hand gegen innere und äußere Feinde
sichert, verlangt er, ich möchte sagen: als Assecuranzprämie, Uebernahme der


tags) wieder wie ehedem einer Mainzer Commission oder einem frankfurter
Centraluntersuchungsausschuß des Bundestages überwiesen und entweder in
das Ausland versprengt oder in den Kerker geworfen, oder sonstwie mit Stumpf
und Stiel ausgerottet werden müßte. Hat doch der frankfurter Senat dem
Volksverein, welcher sich unter Führung der Herren Röckel, G. v. Struve und
Trabert am 20. Juni in Frankfurt bildete, um das Bundesrecht zu vertheidigen,
unter Berufung aus die klaren und unzweifelhaften Vorschriften eben dieses
nämlichen Bundesrechts d»s frankfurter Dominik verweigert. „?er yuoä yuig
xeeeat, per item xuiriwr et iäem." Der alte Hegel nannte das, glaub' ich,
die List der Idee.

Der moderne Staat, der, um die überwuchernden Mißbildungen und Zwerg-
gcstaltungen des sinkenden und überlebten Mittelalters zu überwinden und zu
absorbiren, sich häusig in das rauhe Gewand des gestrengen Zucht- und Schul¬
meisters, des harten Fiscals, des unnachsichtiger Unteroffiziers, des absolutistischen
Bureaukraten und Calculators kleiden mußte, ist nicht immer liebenswürdig
und war es früher noch weniger. Auch ging er vielfach zu weit; er muß durch,
das Princip der Selbstverwaltung in Kirche, Schulen, Gemeinde, Bezirk, Kreis.
Provinz' aus sein eigenstes wahres Gebiet zurückgedrängt werden. Auf diesem
Gebiet muß er einheitlich centralistrt sein. Aber nur auf diesem. Im Uebrigen
muß er der bürgerlichen Gesellschaft gestatten, sich zu emancipiren und sich selb¬
ständig um die localen Centren zu gruppiren; mit andern Worten: Es muß
zwischen der bürgerlichen Gesellschaft einerseits und dem Staate andrerseits
eine Auseinandersetzung und Grenzregulirung stattfinden, damit jeder Theil auf
seinem Gebiete die volle Freiheit der Action erhält. Die Staatsgewalt verliert
dadurch einen Theil ihres jetzigen ausgedehnten Geschäftskreises, aber auf dem
Theil, den sie behält, wird sie viel stärker. Das ist ein Kampf, den das Bürger-
thum mit dem Staate, trotz des Dankes, den es ihm schuldet für die Erlösung
von der Staatenlosigkeit des Mittelalters. in der Zukunft energisch und rück¬
sichtslos, und zwar im Interesse des Staates selbst, auszukämpfen hat. Aber
um dieser Differenz willen die Existenz des Staats negiren, denselben decentra-
lisiren, in Gemeinden, Kreise. Cantönli und sonstige centrifugale Verbände auf¬
lösen zu wollen, das wäre schlimmer, als das Kind mit dem Bade ausschütten.
Das stünde auf einer Linie mit dem Vatermord. Denn der moderne Staat
ist der Vater des modernen Bürgerthums. Er hat ihm die wirthschafiliche Ein¬
heit und Freiheit, den Wohlstand und die Bildung gegeben, und er wird ihm
— um seiner selbst willen — mag er wollen oder nicht, auch die politische
Einheit und Freiheit geben müssen. Aber freilich, indem er Rechte und Wohl¬
thaten giebt, verlangt er die Uebernahme vo» Pflichten und Opfern. Indem
er Leben und Eigenthum mit starker Hand gegen innere und äußere Feinde
sichert, verlangt er, ich möchte sagen: als Assecuranzprämie, Uebernahme der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/59>, abgerufen am 22.07.2024.