Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Theologen sehr bemerkenswerth begutachten, man könne über den Wucher eine
reigulg, uviversAlis nicht aufstellen (geschweige denn ein Gesetz!), weil "Land.
Gewerbe. Zeit. Wohlfeilung, Theurung, Krieg, Vermehrung der Menschen, Er¬
schwerung und Verhinderung im Handel und Handwerk ungleich seien. Was
ist das für ein Eiver? Wenn sie die Krämer. Brauer, Bäcker, Fleischer und
Handwerker und Hantircr ohne Geld nicht g.<Z eommunionkiri lassen wollten,
die das Hundert durch jährliche Nutzung viel höher brächten, denn fünf Procent,
was wollte man für Communicanten behalten?" Griff dagegen die obrigkeit¬
liche Gewalt nicht durch, sondern stellte sie gar. durch die Geistlichkeit getrieben,
deren Zinsverbot gesetzlich fest, so erhoben sich an vielen Orten dawider die
Besitzenden und gar die Masse des armen Volkes, welchem man zinslose Dar¬
lehn hatte verschaffen wollen und doch alle Darlehn abschnitt durch den Ver¬
kehrten Zwang gegen die Kapitalisten. Anderswo stimmte das in reformato¬
rischen Gähren erregte Volk mit Eifer für Gesetz und Geistlichkeit und "keine
Zinsen" wurde das Feldgeschrei gegen die darleihenden Gläubiger. So in
Danzig. in Kopenhagen. Da wandten sich die weltlichen Herren in Angst und
Zweifel vielfach wieder an Luther und seine Anhänger, und diese erkannten
ihren Fehltritt aus seinen Folgen, nicht aus tiefer wirthschaftlicher Einsicht in
die wirkliche Productivität des Capitales, und theils in offnem Bekenntniß des
Irrweges, theils im verdeckenden Anschluß an die Zinsausnahmen des alten
Rechtes der römischen Kirche ermäßigten oder verwarfen sie ihr Wucherverhot.

Diese Umkehr documentirt sich bei Luther offen und kernig, wie seine
Natur war. in einem Briefe an die in drohendem Aufstande lebende danziger
Gemeinde vom Jahre 1S2S. welcher -- bisher nur bei Neumann, Wucherge¬
schichte S. 615, abgedruckt -- aus mehr als einem Grunde verdient recht weit
verbreitet zu werden. Darin heißt es:

"Das gesetzt Moses ist todt und gantz ab ja auch allein den Juden ge¬
geben, wir Heiden sollen gehorchen dem landrechte da wir wohnen wie S. Patry
am 8. spricht: Alle man :c. Aber das Evangelium ist ein geistlich gesetz
darnach man nicht recht regiren kan. sondern dasselbe jeglicher für sich selbst
stelle, ob er es thun oder lassen werde. Vnd man kann und soll auch niemand
dazu zwingen gleich als zum glauben, den hie nicht das schwere, sondern der
geiht gottes lehren und regiere" muß. Dörumb soll man das geistliche
Regiment des Evangelii ferne scheyden von eusscrlich weltlich Re¬
giment und ja nicht durch eine anders mischen. Das Evangelische Regiment
soll der Prediger allein mit dem Munde treiben und einnn jeglichen seinen willen
allhie lassen, der es annimbt der nehm es an. der nicht will der lass es, als
das ich ein Exempel geb.

"Der Zinskauff oder der Zinspfennig ist gantz Unevangelisch da Christus


Theologen sehr bemerkenswerth begutachten, man könne über den Wucher eine
reigulg, uviversAlis nicht aufstellen (geschweige denn ein Gesetz!), weil „Land.
Gewerbe. Zeit. Wohlfeilung, Theurung, Krieg, Vermehrung der Menschen, Er¬
schwerung und Verhinderung im Handel und Handwerk ungleich seien. Was
ist das für ein Eiver? Wenn sie die Krämer. Brauer, Bäcker, Fleischer und
Handwerker und Hantircr ohne Geld nicht g.<Z eommunionkiri lassen wollten,
die das Hundert durch jährliche Nutzung viel höher brächten, denn fünf Procent,
was wollte man für Communicanten behalten?" Griff dagegen die obrigkeit¬
liche Gewalt nicht durch, sondern stellte sie gar. durch die Geistlichkeit getrieben,
deren Zinsverbot gesetzlich fest, so erhoben sich an vielen Orten dawider die
Besitzenden und gar die Masse des armen Volkes, welchem man zinslose Dar¬
lehn hatte verschaffen wollen und doch alle Darlehn abschnitt durch den Ver¬
kehrten Zwang gegen die Kapitalisten. Anderswo stimmte das in reformato¬
rischen Gähren erregte Volk mit Eifer für Gesetz und Geistlichkeit und „keine
Zinsen" wurde das Feldgeschrei gegen die darleihenden Gläubiger. So in
Danzig. in Kopenhagen. Da wandten sich die weltlichen Herren in Angst und
Zweifel vielfach wieder an Luther und seine Anhänger, und diese erkannten
ihren Fehltritt aus seinen Folgen, nicht aus tiefer wirthschaftlicher Einsicht in
die wirkliche Productivität des Capitales, und theils in offnem Bekenntniß des
Irrweges, theils im verdeckenden Anschluß an die Zinsausnahmen des alten
Rechtes der römischen Kirche ermäßigten oder verwarfen sie ihr Wucherverhot.

Diese Umkehr documentirt sich bei Luther offen und kernig, wie seine
Natur war. in einem Briefe an die in drohendem Aufstande lebende danziger
Gemeinde vom Jahre 1S2S. welcher — bisher nur bei Neumann, Wucherge¬
schichte S. 615, abgedruckt — aus mehr als einem Grunde verdient recht weit
verbreitet zu werden. Darin heißt es:

„Das gesetzt Moses ist todt und gantz ab ja auch allein den Juden ge¬
geben, wir Heiden sollen gehorchen dem landrechte da wir wohnen wie S. Patry
am 8. spricht: Alle man :c. Aber das Evangelium ist ein geistlich gesetz
darnach man nicht recht regiren kan. sondern dasselbe jeglicher für sich selbst
stelle, ob er es thun oder lassen werde. Vnd man kann und soll auch niemand
dazu zwingen gleich als zum glauben, den hie nicht das schwere, sondern der
geiht gottes lehren und regiere» muß. Dörumb soll man das geistliche
Regiment des Evangelii ferne scheyden von eusscrlich weltlich Re¬
giment und ja nicht durch eine anders mischen. Das Evangelische Regiment
soll der Prediger allein mit dem Munde treiben und einnn jeglichen seinen willen
allhie lassen, der es annimbt der nehm es an. der nicht will der lass es, als
das ich ein Exempel geb.

„Der Zinskauff oder der Zinspfennig ist gantz Unevangelisch da Christus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286139"/>
          <p xml:id="ID_1955" prev="#ID_1954"> Theologen sehr bemerkenswerth begutachten, man könne über den Wucher eine<lb/>
reigulg, uviversAlis nicht aufstellen (geschweige denn ein Gesetz!), weil &#x201E;Land.<lb/>
Gewerbe. Zeit. Wohlfeilung, Theurung, Krieg, Vermehrung der Menschen, Er¬<lb/>
schwerung und Verhinderung im Handel und Handwerk ungleich seien. Was<lb/>
ist das für ein Eiver? Wenn sie die Krämer. Brauer, Bäcker, Fleischer und<lb/>
Handwerker und Hantircr ohne Geld nicht g.&lt;Z eommunionkiri lassen wollten,<lb/>
die das Hundert durch jährliche Nutzung viel höher brächten, denn fünf Procent,<lb/>
was wollte man für Communicanten behalten?" Griff dagegen die obrigkeit¬<lb/>
liche Gewalt nicht durch, sondern stellte sie gar. durch die Geistlichkeit getrieben,<lb/>
deren Zinsverbot gesetzlich fest, so erhoben sich an vielen Orten dawider die<lb/>
Besitzenden und gar die Masse des armen Volkes, welchem man zinslose Dar¬<lb/>
lehn hatte verschaffen wollen und doch alle Darlehn abschnitt durch den Ver¬<lb/>
kehrten Zwang gegen die Kapitalisten. Anderswo stimmte das in reformato¬<lb/>
rischen Gähren erregte Volk mit Eifer für Gesetz und Geistlichkeit und &#x201E;keine<lb/>
Zinsen" wurde das Feldgeschrei gegen die darleihenden Gläubiger. So in<lb/>
Danzig. in Kopenhagen. Da wandten sich die weltlichen Herren in Angst und<lb/>
Zweifel vielfach wieder an Luther und seine Anhänger, und diese erkannten<lb/>
ihren Fehltritt aus seinen Folgen, nicht aus tiefer wirthschaftlicher Einsicht in<lb/>
die wirkliche Productivität des Capitales, und theils in offnem Bekenntniß des<lb/>
Irrweges, theils im verdeckenden Anschluß an die Zinsausnahmen des alten<lb/>
Rechtes der römischen Kirche ermäßigten oder verwarfen sie ihr Wucherverhot.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1956"> Diese Umkehr documentirt sich bei Luther offen und kernig, wie seine<lb/>
Natur war. in einem Briefe an die in drohendem Aufstande lebende danziger<lb/>
Gemeinde vom Jahre 1S2S. welcher &#x2014; bisher nur bei Neumann, Wucherge¬<lb/>
schichte S. 615, abgedruckt &#x2014; aus mehr als einem Grunde verdient recht weit<lb/>
verbreitet zu werden.  Darin heißt es:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1957"> &#x201E;Das gesetzt Moses ist todt und gantz ab ja auch allein den Juden ge¬<lb/>
geben, wir Heiden sollen gehorchen dem landrechte da wir wohnen wie S. Patry<lb/>
am 8. spricht: Alle man :c. Aber das Evangelium ist ein geistlich gesetz<lb/>
darnach man nicht recht regiren kan. sondern dasselbe jeglicher für sich selbst<lb/>
stelle, ob er es thun oder lassen werde. Vnd man kann und soll auch niemand<lb/>
dazu zwingen gleich als zum glauben, den hie nicht das schwere, sondern der<lb/>
geiht gottes lehren und regiere» muß. Dörumb soll man das geistliche<lb/>
Regiment des Evangelii ferne scheyden von eusscrlich weltlich Re¬<lb/>
giment und ja nicht durch eine anders mischen. Das Evangelische Regiment<lb/>
soll der Prediger allein mit dem Munde treiben und einnn jeglichen seinen willen<lb/>
allhie lassen, der es annimbt der nehm es an. der nicht will der lass es, als<lb/>
das ich ein Exempel geb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1958" next="#ID_1959"> &#x201E;Der Zinskauff oder der Zinspfennig ist gantz Unevangelisch da Christus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0551] Theologen sehr bemerkenswerth begutachten, man könne über den Wucher eine reigulg, uviversAlis nicht aufstellen (geschweige denn ein Gesetz!), weil „Land. Gewerbe. Zeit. Wohlfeilung, Theurung, Krieg, Vermehrung der Menschen, Er¬ schwerung und Verhinderung im Handel und Handwerk ungleich seien. Was ist das für ein Eiver? Wenn sie die Krämer. Brauer, Bäcker, Fleischer und Handwerker und Hantircr ohne Geld nicht g.<Z eommunionkiri lassen wollten, die das Hundert durch jährliche Nutzung viel höher brächten, denn fünf Procent, was wollte man für Communicanten behalten?" Griff dagegen die obrigkeit¬ liche Gewalt nicht durch, sondern stellte sie gar. durch die Geistlichkeit getrieben, deren Zinsverbot gesetzlich fest, so erhoben sich an vielen Orten dawider die Besitzenden und gar die Masse des armen Volkes, welchem man zinslose Dar¬ lehn hatte verschaffen wollen und doch alle Darlehn abschnitt durch den Ver¬ kehrten Zwang gegen die Kapitalisten. Anderswo stimmte das in reformato¬ rischen Gähren erregte Volk mit Eifer für Gesetz und Geistlichkeit und „keine Zinsen" wurde das Feldgeschrei gegen die darleihenden Gläubiger. So in Danzig. in Kopenhagen. Da wandten sich die weltlichen Herren in Angst und Zweifel vielfach wieder an Luther und seine Anhänger, und diese erkannten ihren Fehltritt aus seinen Folgen, nicht aus tiefer wirthschaftlicher Einsicht in die wirkliche Productivität des Capitales, und theils in offnem Bekenntniß des Irrweges, theils im verdeckenden Anschluß an die Zinsausnahmen des alten Rechtes der römischen Kirche ermäßigten oder verwarfen sie ihr Wucherverhot. Diese Umkehr documentirt sich bei Luther offen und kernig, wie seine Natur war. in einem Briefe an die in drohendem Aufstande lebende danziger Gemeinde vom Jahre 1S2S. welcher — bisher nur bei Neumann, Wucherge¬ schichte S. 615, abgedruckt — aus mehr als einem Grunde verdient recht weit verbreitet zu werden. Darin heißt es: „Das gesetzt Moses ist todt und gantz ab ja auch allein den Juden ge¬ geben, wir Heiden sollen gehorchen dem landrechte da wir wohnen wie S. Patry am 8. spricht: Alle man :c. Aber das Evangelium ist ein geistlich gesetz darnach man nicht recht regiren kan. sondern dasselbe jeglicher für sich selbst stelle, ob er es thun oder lassen werde. Vnd man kann und soll auch niemand dazu zwingen gleich als zum glauben, den hie nicht das schwere, sondern der geiht gottes lehren und regiere» muß. Dörumb soll man das geistliche Regiment des Evangelii ferne scheyden von eusscrlich weltlich Re¬ giment und ja nicht durch eine anders mischen. Das Evangelische Regiment soll der Prediger allein mit dem Munde treiben und einnn jeglichen seinen willen allhie lassen, der es annimbt der nehm es an. der nicht will der lass es, als das ich ein Exempel geb. „Der Zinskauff oder der Zinspfennig ist gantz Unevangelisch da Christus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/551
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/551>, abgerufen am 22.07.2024.