Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eigene, der "Herren", echt christliche Gesinnung, welche den Tagelöhner, den
unbemittelten Handwerfer, kurz den kleinen Mann gegen die Tyrannei des Ca¬
pitales schützen müsse. Wie dachten denn die Stifter unsrer echt christlichen,
protestantischen Kirche über diese "christliche Gesinnung?"

Bekanntlich galt durch das Mittelalter und etwa anderthalb Jahrhunderte
der Neuzeit das von der römischen Kirche in die weltlichen Gesetze einge¬
führte Wuchcrverbot. d. h. die kirchliche und weltliche Obrigkeit untersagte mit
harten Strafen jede Vergütung für die Nutzung fremden Capitales in weitesten
Umfange. Natürlich sträubte, sich gegen diese naturwidrige Bestimmung der
Verkehr je entwickelter, desto heftiger. Man forderte im Privat- und öffent¬
lichen Verkehre (Anleihen) trotz des Verbotes Zinsen, man umging es in immer
neuen Formen, man drängte die ausnahmsweise berechtigten Zinsforderer, die
Juden und christlichen Wechsler (Kawercini) zu immer höheren Zinsen und so
in ihr jähes Verderben (Judenverfolgungen), man nöthigte selbst die Kirche,
bestimmte Vertragsarten, obschon unzweifelhaft wunderlich, vom Verbote auszu¬
nehmen. Zumal gegen Ende des Mittelalters, nach Entdeckung Amerikas,
steigerte sich der bereits durch Hansa und Kreuzzüge erweiterte Verkehr zum
Weltverkehr, und der beflügelte Unternehmungsgeist suchte nicht mehr als noth¬
gedrängter Armer, sondern als gewinnreicher Speculant die darzuleihenden Ca¬
pitalien. Bereits stellte sich, ohne daß irgendwelche Behörde den Zinsfuß nor-
mirte, dieser selbst in dem so gepreßten Gcldverkehre durchschnittlich auf fünf bis
sechs Procent fest, welche Höhe das grade damals mächtigen Einfluß gewinnende
römische Recht ebenfalls guthieß. So viel erhellte bereits -- abgesehen von
allen andern daraus folgenden Lehren -- aus obiger jahrhundertlanger Ent¬
wickelung, daß durch äußere, kirchliche oder staatliche, ideal sittliche oder polizei¬
lich bevormundende Gesetze der Verkehr sich in seinem Fortschritte nicht zurück¬
halten ließ. Und wenn damals auch das Gesetz Zinsen überhaupt, heute nur
die Zinsen über fünf Procent als Wucher verbietet, so zeigt doch obige Aus¬
einandersetzung, daß damals derjenige, welcher für die Zinsen überhaupt, sei es
auch nur bis zu einem gesetzlichen Maximum auftrat, wesentlich dem gleich steht,
der heute die Aufhebung des gesetzlichen Zinsfußes fordert. (Hier, wie im
Folgenden, schöpfen wir aus M. Neumann, Geschichte des Wuchers :c. S. 467 ff.,
479 ff., 495 ff.)

Auf dieser Stelle ihrer Geschichte greift in die Wucherfrage nun die Re¬
formation ein.

Luther tritt mit ganzem sittlichen Eifer ein für die christliche Nächstenliebe
gegen die habgierigen Kaufleute und Kapitalisten, wie einst die Kirchenväter in
den ersten Versammlungen der jungen Kirche; die neugestaltete Kirche durfte
nicht zurückstehn qu sittlicher Reinheit. Alle Gründe, welche Theologen und


63*

eigene, der „Herren", echt christliche Gesinnung, welche den Tagelöhner, den
unbemittelten Handwerfer, kurz den kleinen Mann gegen die Tyrannei des Ca¬
pitales schützen müsse. Wie dachten denn die Stifter unsrer echt christlichen,
protestantischen Kirche über diese „christliche Gesinnung?"

Bekanntlich galt durch das Mittelalter und etwa anderthalb Jahrhunderte
der Neuzeit das von der römischen Kirche in die weltlichen Gesetze einge¬
führte Wuchcrverbot. d. h. die kirchliche und weltliche Obrigkeit untersagte mit
harten Strafen jede Vergütung für die Nutzung fremden Capitales in weitesten
Umfange. Natürlich sträubte, sich gegen diese naturwidrige Bestimmung der
Verkehr je entwickelter, desto heftiger. Man forderte im Privat- und öffent¬
lichen Verkehre (Anleihen) trotz des Verbotes Zinsen, man umging es in immer
neuen Formen, man drängte die ausnahmsweise berechtigten Zinsforderer, die
Juden und christlichen Wechsler (Kawercini) zu immer höheren Zinsen und so
in ihr jähes Verderben (Judenverfolgungen), man nöthigte selbst die Kirche,
bestimmte Vertragsarten, obschon unzweifelhaft wunderlich, vom Verbote auszu¬
nehmen. Zumal gegen Ende des Mittelalters, nach Entdeckung Amerikas,
steigerte sich der bereits durch Hansa und Kreuzzüge erweiterte Verkehr zum
Weltverkehr, und der beflügelte Unternehmungsgeist suchte nicht mehr als noth¬
gedrängter Armer, sondern als gewinnreicher Speculant die darzuleihenden Ca¬
pitalien. Bereits stellte sich, ohne daß irgendwelche Behörde den Zinsfuß nor-
mirte, dieser selbst in dem so gepreßten Gcldverkehre durchschnittlich auf fünf bis
sechs Procent fest, welche Höhe das grade damals mächtigen Einfluß gewinnende
römische Recht ebenfalls guthieß. So viel erhellte bereits — abgesehen von
allen andern daraus folgenden Lehren — aus obiger jahrhundertlanger Ent¬
wickelung, daß durch äußere, kirchliche oder staatliche, ideal sittliche oder polizei¬
lich bevormundende Gesetze der Verkehr sich in seinem Fortschritte nicht zurück¬
halten ließ. Und wenn damals auch das Gesetz Zinsen überhaupt, heute nur
die Zinsen über fünf Procent als Wucher verbietet, so zeigt doch obige Aus¬
einandersetzung, daß damals derjenige, welcher für die Zinsen überhaupt, sei es
auch nur bis zu einem gesetzlichen Maximum auftrat, wesentlich dem gleich steht,
der heute die Aufhebung des gesetzlichen Zinsfußes fordert. (Hier, wie im
Folgenden, schöpfen wir aus M. Neumann, Geschichte des Wuchers :c. S. 467 ff.,
479 ff., 495 ff.)

Auf dieser Stelle ihrer Geschichte greift in die Wucherfrage nun die Re¬
formation ein.

Luther tritt mit ganzem sittlichen Eifer ein für die christliche Nächstenliebe
gegen die habgierigen Kaufleute und Kapitalisten, wie einst die Kirchenväter in
den ersten Versammlungen der jungen Kirche; die neugestaltete Kirche durfte
nicht zurückstehn qu sittlicher Reinheit. Alle Gründe, welche Theologen und


63*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286137"/>
          <p xml:id="ID_1948" prev="#ID_1947"> eigene, der &#x201E;Herren", echt christliche Gesinnung, welche den Tagelöhner, den<lb/>
unbemittelten Handwerfer, kurz den kleinen Mann gegen die Tyrannei des Ca¬<lb/>
pitales schützen müsse. Wie dachten denn die Stifter unsrer echt christlichen,<lb/>
protestantischen Kirche über diese &#x201E;christliche Gesinnung?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1949"> Bekanntlich galt durch das Mittelalter und etwa anderthalb Jahrhunderte<lb/>
der Neuzeit das von der römischen Kirche in die weltlichen Gesetze einge¬<lb/>
führte Wuchcrverbot. d. h. die kirchliche und weltliche Obrigkeit untersagte mit<lb/>
harten Strafen jede Vergütung für die Nutzung fremden Capitales in weitesten<lb/>
Umfange. Natürlich sträubte, sich gegen diese naturwidrige Bestimmung der<lb/>
Verkehr je entwickelter, desto heftiger. Man forderte im Privat- und öffent¬<lb/>
lichen Verkehre (Anleihen) trotz des Verbotes Zinsen, man umging es in immer<lb/>
neuen Formen, man drängte die ausnahmsweise berechtigten Zinsforderer, die<lb/>
Juden und christlichen Wechsler (Kawercini) zu immer höheren Zinsen und so<lb/>
in ihr jähes Verderben (Judenverfolgungen), man nöthigte selbst die Kirche,<lb/>
bestimmte Vertragsarten, obschon unzweifelhaft wunderlich, vom Verbote auszu¬<lb/>
nehmen. Zumal gegen Ende des Mittelalters, nach Entdeckung Amerikas,<lb/>
steigerte sich der bereits durch Hansa und Kreuzzüge erweiterte Verkehr zum<lb/>
Weltverkehr, und der beflügelte Unternehmungsgeist suchte nicht mehr als noth¬<lb/>
gedrängter Armer, sondern als gewinnreicher Speculant die darzuleihenden Ca¬<lb/>
pitalien. Bereits stellte sich, ohne daß irgendwelche Behörde den Zinsfuß nor-<lb/>
mirte, dieser selbst in dem so gepreßten Gcldverkehre durchschnittlich auf fünf bis<lb/>
sechs Procent fest, welche Höhe das grade damals mächtigen Einfluß gewinnende<lb/>
römische Recht ebenfalls guthieß. So viel erhellte bereits &#x2014; abgesehen von<lb/>
allen andern daraus folgenden Lehren &#x2014; aus obiger jahrhundertlanger Ent¬<lb/>
wickelung, daß durch äußere, kirchliche oder staatliche, ideal sittliche oder polizei¬<lb/>
lich bevormundende Gesetze der Verkehr sich in seinem Fortschritte nicht zurück¬<lb/>
halten ließ. Und wenn damals auch das Gesetz Zinsen überhaupt, heute nur<lb/>
die Zinsen über fünf Procent als Wucher verbietet, so zeigt doch obige Aus¬<lb/>
einandersetzung, daß damals derjenige, welcher für die Zinsen überhaupt, sei es<lb/>
auch nur bis zu einem gesetzlichen Maximum auftrat, wesentlich dem gleich steht,<lb/>
der heute die Aufhebung des gesetzlichen Zinsfußes fordert. (Hier, wie im<lb/>
Folgenden, schöpfen wir aus M. Neumann, Geschichte des Wuchers :c. S. 467 ff.,<lb/>
479 ff., 495 ff.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1950"> Auf dieser Stelle ihrer Geschichte greift in die Wucherfrage nun die Re¬<lb/>
formation ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1951" next="#ID_1952"> Luther tritt mit ganzem sittlichen Eifer ein für die christliche Nächstenliebe<lb/>
gegen die habgierigen Kaufleute und Kapitalisten, wie einst die Kirchenväter in<lb/>
den ersten Versammlungen der jungen Kirche; die neugestaltete Kirche durfte<lb/>
nicht zurückstehn qu sittlicher Reinheit.  Alle Gründe, welche Theologen und</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> 63*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0549] eigene, der „Herren", echt christliche Gesinnung, welche den Tagelöhner, den unbemittelten Handwerfer, kurz den kleinen Mann gegen die Tyrannei des Ca¬ pitales schützen müsse. Wie dachten denn die Stifter unsrer echt christlichen, protestantischen Kirche über diese „christliche Gesinnung?" Bekanntlich galt durch das Mittelalter und etwa anderthalb Jahrhunderte der Neuzeit das von der römischen Kirche in die weltlichen Gesetze einge¬ führte Wuchcrverbot. d. h. die kirchliche und weltliche Obrigkeit untersagte mit harten Strafen jede Vergütung für die Nutzung fremden Capitales in weitesten Umfange. Natürlich sträubte, sich gegen diese naturwidrige Bestimmung der Verkehr je entwickelter, desto heftiger. Man forderte im Privat- und öffent¬ lichen Verkehre (Anleihen) trotz des Verbotes Zinsen, man umging es in immer neuen Formen, man drängte die ausnahmsweise berechtigten Zinsforderer, die Juden und christlichen Wechsler (Kawercini) zu immer höheren Zinsen und so in ihr jähes Verderben (Judenverfolgungen), man nöthigte selbst die Kirche, bestimmte Vertragsarten, obschon unzweifelhaft wunderlich, vom Verbote auszu¬ nehmen. Zumal gegen Ende des Mittelalters, nach Entdeckung Amerikas, steigerte sich der bereits durch Hansa und Kreuzzüge erweiterte Verkehr zum Weltverkehr, und der beflügelte Unternehmungsgeist suchte nicht mehr als noth¬ gedrängter Armer, sondern als gewinnreicher Speculant die darzuleihenden Ca¬ pitalien. Bereits stellte sich, ohne daß irgendwelche Behörde den Zinsfuß nor- mirte, dieser selbst in dem so gepreßten Gcldverkehre durchschnittlich auf fünf bis sechs Procent fest, welche Höhe das grade damals mächtigen Einfluß gewinnende römische Recht ebenfalls guthieß. So viel erhellte bereits — abgesehen von allen andern daraus folgenden Lehren — aus obiger jahrhundertlanger Ent¬ wickelung, daß durch äußere, kirchliche oder staatliche, ideal sittliche oder polizei¬ lich bevormundende Gesetze der Verkehr sich in seinem Fortschritte nicht zurück¬ halten ließ. Und wenn damals auch das Gesetz Zinsen überhaupt, heute nur die Zinsen über fünf Procent als Wucher verbietet, so zeigt doch obige Aus¬ einandersetzung, daß damals derjenige, welcher für die Zinsen überhaupt, sei es auch nur bis zu einem gesetzlichen Maximum auftrat, wesentlich dem gleich steht, der heute die Aufhebung des gesetzlichen Zinsfußes fordert. (Hier, wie im Folgenden, schöpfen wir aus M. Neumann, Geschichte des Wuchers :c. S. 467 ff., 479 ff., 495 ff.) Auf dieser Stelle ihrer Geschichte greift in die Wucherfrage nun die Re¬ formation ein. Luther tritt mit ganzem sittlichen Eifer ein für die christliche Nächstenliebe gegen die habgierigen Kaufleute und Kapitalisten, wie einst die Kirchenväter in den ersten Versammlungen der jungen Kirche; die neugestaltete Kirche durfte nicht zurückstehn qu sittlicher Reinheit. Alle Gründe, welche Theologen und 63*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/549
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/549>, abgerufen am 22.07.2024.