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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die ganze bisherige Entwickelung wird zur Genüge deutlich gemacht haben,
daß es ganz unzulässig wäre, die gemeinschaftliche Dynastie oder das Heer als
solche Grundlagen zu betrachten. Das dynastische Gefühl mag in Oestreich
namentlich bei einzelnen Völkerschaften, stark ausgeprägt und deshalb ein wich,
tiger Factor der politischen Rechnung sein, aber die Lebensidee, den innern
Grund der staatlichen Gemeinschaft wird es nimmermehr bilden können. Ebenso
mag das Heer ein unentbehrliches Mittel der Erhaltung der Staatseinheit sein,
es mag sich in ihm das Gefühl dieser Einheit so lebendig verkörpert haben,
daß in ihm zeitweilig Oestreich ist, aber gre>de die Abtrennung des Heers als ge¬
sonderten Begriffs von der übrigen Geweinschaft des Staates zeigt ja am deut¬
lichsten, daß es der belebende Träger der letzteren nicht sein kann, daß es ein
starkes politisches Werkzeug, aber keine grundlegende politische Idee sein kann.

Es liegt in Oestreich nahe, an die katholische Kirche als Grundlage des
Staates zu denken, Oestreich das weltliche der beiden Schwerter, denen die
Welt gegeben ist, die weltliche Vormacht des Papstthums in seiner universellen
Stellung. Es war dies der Traum der Jarcke und Genossen, aber früher als
sie wohl vermuthet, hat sich die Waffe in zwei schweren Krisen nicht nur als
unzureichend, sondern sogar als gefährlich gezeigt, dem Gegner hat sie nicht
nur keine erhebliche Verlegenheit bereitet, sondern sie hat auch die eigene Sache
verdorben, die Kämpfer nicht mit freudiger Hingebung erfüllt und manchen
Genossen verscheucht. Der Katholicismus mag heftige Leidenschaften erregen
können, staatenbildende, staatenerhaltende Idee vermag er nicht mehr zu sein,
dazu ist das religiöse Gefühl in den Völkern nicht mehr stark genug, dazu muß
er sich, grade je mehr er zur staatlichen Macht werden will, in zu scharfen und
principiellen Gegensatz mit der ganzen modernen Bildung, mit den treibenden
Gewalten der Gegenwart setzen. Er kann es in Oestreich aber um so weniger
sein, als grade in der Nationalität, deren Befriedigung das große Räthsel
östreichischer Staatskunst ist, der Protestantismus eine Macht ist und in inniger
Verbindung mit der nationalen Bewegung steht.

Daß umgekehrt ein großer Grad von Freiheit den Ring bilden kann, der
verschiedene Nationalitäten und Confessionen zu einem Staate, wenigstens zum
Bundesstaate fest zusammenschließt, dafür ist die Schweiz ein redendes Beispiel;
aber es genügt, dieses Beispiel zu nennen, um dieses Experiment für Oestreich
unanwendbar erscheinen zu lassen.

Einer der wichtigsten Hebel staatlicher Solidarität ist die Gemeinschaft der
materiellen Interessen; aber theils sind die materiellen Interessen der einzelnen,
östreichischen Gebiete, wenigstens dem Anscheine nach, widerstrebend und der Acker¬
baustaat Ungarn sieht sich mit Unwillen den Industriellen Deutfchöstreichs zins¬
pflichtig gemacht, theils hat eben Oestreich eine Hauptregel aus der Makrobiotik pa-
tümonialer Staatein "gute Wirthschaft" zu sehr aus den Augen gesetzt, und so


Die ganze bisherige Entwickelung wird zur Genüge deutlich gemacht haben,
daß es ganz unzulässig wäre, die gemeinschaftliche Dynastie oder das Heer als
solche Grundlagen zu betrachten. Das dynastische Gefühl mag in Oestreich
namentlich bei einzelnen Völkerschaften, stark ausgeprägt und deshalb ein wich,
tiger Factor der politischen Rechnung sein, aber die Lebensidee, den innern
Grund der staatlichen Gemeinschaft wird es nimmermehr bilden können. Ebenso
mag das Heer ein unentbehrliches Mittel der Erhaltung der Staatseinheit sein,
es mag sich in ihm das Gefühl dieser Einheit so lebendig verkörpert haben,
daß in ihm zeitweilig Oestreich ist, aber gre>de die Abtrennung des Heers als ge¬
sonderten Begriffs von der übrigen Geweinschaft des Staates zeigt ja am deut¬
lichsten, daß es der belebende Träger der letzteren nicht sein kann, daß es ein
starkes politisches Werkzeug, aber keine grundlegende politische Idee sein kann.

Es liegt in Oestreich nahe, an die katholische Kirche als Grundlage des
Staates zu denken, Oestreich das weltliche der beiden Schwerter, denen die
Welt gegeben ist, die weltliche Vormacht des Papstthums in seiner universellen
Stellung. Es war dies der Traum der Jarcke und Genossen, aber früher als
sie wohl vermuthet, hat sich die Waffe in zwei schweren Krisen nicht nur als
unzureichend, sondern sogar als gefährlich gezeigt, dem Gegner hat sie nicht
nur keine erhebliche Verlegenheit bereitet, sondern sie hat auch die eigene Sache
verdorben, die Kämpfer nicht mit freudiger Hingebung erfüllt und manchen
Genossen verscheucht. Der Katholicismus mag heftige Leidenschaften erregen
können, staatenbildende, staatenerhaltende Idee vermag er nicht mehr zu sein,
dazu ist das religiöse Gefühl in den Völkern nicht mehr stark genug, dazu muß
er sich, grade je mehr er zur staatlichen Macht werden will, in zu scharfen und
principiellen Gegensatz mit der ganzen modernen Bildung, mit den treibenden
Gewalten der Gegenwart setzen. Er kann es in Oestreich aber um so weniger
sein, als grade in der Nationalität, deren Befriedigung das große Räthsel
östreichischer Staatskunst ist, der Protestantismus eine Macht ist und in inniger
Verbindung mit der nationalen Bewegung steht.

Daß umgekehrt ein großer Grad von Freiheit den Ring bilden kann, der
verschiedene Nationalitäten und Confessionen zu einem Staate, wenigstens zum
Bundesstaate fest zusammenschließt, dafür ist die Schweiz ein redendes Beispiel;
aber es genügt, dieses Beispiel zu nennen, um dieses Experiment für Oestreich
unanwendbar erscheinen zu lassen.

Einer der wichtigsten Hebel staatlicher Solidarität ist die Gemeinschaft der
materiellen Interessen; aber theils sind die materiellen Interessen der einzelnen,
östreichischen Gebiete, wenigstens dem Anscheine nach, widerstrebend und der Acker¬
baustaat Ungarn sieht sich mit Unwillen den Industriellen Deutfchöstreichs zins¬
pflichtig gemacht, theils hat eben Oestreich eine Hauptregel aus der Makrobiotik pa-
tümonialer Staatein „gute Wirthschaft" zu sehr aus den Augen gesetzt, und so


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[0543] Die ganze bisherige Entwickelung wird zur Genüge deutlich gemacht haben, daß es ganz unzulässig wäre, die gemeinschaftliche Dynastie oder das Heer als solche Grundlagen zu betrachten. Das dynastische Gefühl mag in Oestreich namentlich bei einzelnen Völkerschaften, stark ausgeprägt und deshalb ein wich, tiger Factor der politischen Rechnung sein, aber die Lebensidee, den innern Grund der staatlichen Gemeinschaft wird es nimmermehr bilden können. Ebenso mag das Heer ein unentbehrliches Mittel der Erhaltung der Staatseinheit sein, es mag sich in ihm das Gefühl dieser Einheit so lebendig verkörpert haben, daß in ihm zeitweilig Oestreich ist, aber gre>de die Abtrennung des Heers als ge¬ sonderten Begriffs von der übrigen Geweinschaft des Staates zeigt ja am deut¬ lichsten, daß es der belebende Träger der letzteren nicht sein kann, daß es ein starkes politisches Werkzeug, aber keine grundlegende politische Idee sein kann. Es liegt in Oestreich nahe, an die katholische Kirche als Grundlage des Staates zu denken, Oestreich das weltliche der beiden Schwerter, denen die Welt gegeben ist, die weltliche Vormacht des Papstthums in seiner universellen Stellung. Es war dies der Traum der Jarcke und Genossen, aber früher als sie wohl vermuthet, hat sich die Waffe in zwei schweren Krisen nicht nur als unzureichend, sondern sogar als gefährlich gezeigt, dem Gegner hat sie nicht nur keine erhebliche Verlegenheit bereitet, sondern sie hat auch die eigene Sache verdorben, die Kämpfer nicht mit freudiger Hingebung erfüllt und manchen Genossen verscheucht. Der Katholicismus mag heftige Leidenschaften erregen können, staatenbildende, staatenerhaltende Idee vermag er nicht mehr zu sein, dazu ist das religiöse Gefühl in den Völkern nicht mehr stark genug, dazu muß er sich, grade je mehr er zur staatlichen Macht werden will, in zu scharfen und principiellen Gegensatz mit der ganzen modernen Bildung, mit den treibenden Gewalten der Gegenwart setzen. Er kann es in Oestreich aber um so weniger sein, als grade in der Nationalität, deren Befriedigung das große Räthsel östreichischer Staatskunst ist, der Protestantismus eine Macht ist und in inniger Verbindung mit der nationalen Bewegung steht. Daß umgekehrt ein großer Grad von Freiheit den Ring bilden kann, der verschiedene Nationalitäten und Confessionen zu einem Staate, wenigstens zum Bundesstaate fest zusammenschließt, dafür ist die Schweiz ein redendes Beispiel; aber es genügt, dieses Beispiel zu nennen, um dieses Experiment für Oestreich unanwendbar erscheinen zu lassen. Einer der wichtigsten Hebel staatlicher Solidarität ist die Gemeinschaft der materiellen Interessen; aber theils sind die materiellen Interessen der einzelnen, östreichischen Gebiete, wenigstens dem Anscheine nach, widerstrebend und der Acker¬ baustaat Ungarn sieht sich mit Unwillen den Industriellen Deutfchöstreichs zins¬ pflichtig gemacht, theils hat eben Oestreich eine Hauptregel aus der Makrobiotik pa- tümonialer Staatein „gute Wirthschaft" zu sehr aus den Augen gesetzt, und so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/543>, abgerufen am 22.07.2024.