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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Diese beiden Ideen sind es. welche die Umgestaltung Europas vollziehen. Der
Staat eine lebendige menschliche Gemeinschaft, die ihre natürlichste Grundlage
in der Nationalität findet, und die Erweiterung des Freiheitsbcgriffs zum Streben
nach Theilnahme an der Regierung. In Deutschsand macht sich die einigende
Wirkung der ersteren geltend, das allgemeine Wahlrecht ist die Concession, die
man der zweiten machen zu müssen geglaubt hat, und vielleicht ist dies der
Punkt, von dem aus das Gewitter in die Fugen des neuen Gebäudes ein¬
brechen wird, der jedenfalls die politische Reife und Tüchtigkeit des deutschen
Volkes auf eine starke, schwere Probe stellen wird. Oestreich ist, man möchte
sagen, der Patrimonialstaat Mr excellönee, durch das Glück und die Zähigkeit
einer nach weitem Besitze strebenden Dynastie ist ein großes Territorium zu¬
sammengebracht, auf dem die verschiedenartigsten Völker wohnen, verschieden
nach Sprache, Bildung. Charakter, Erwerbsthätigkeit. Wohlhabenheit. Diese
Völker sollen aus dem zufälligen Zusammenwohnen sich zu einer auf innere
Gründe der Zusammengehörigkeit gebauten menschlichen Gemeinschaft erheben,
der Landstaat kann nicht Landstaat bleiben, weil er nicht hinter den Ideen der
übrigen Welt zurückstehen will und kann, und doch fehlt die beste und stärkste
Grundlage der menschlichen Gemeinschaft: die Stammesgemeinschaft. Und das
Streben nach Mitregieren, in andern Staaten eine mehr oder weniger stark
ausgeprägte Form des Freiheitstriebs,'eine Idee, deren Werth von den ver"
schiedenen Bestandtheilen der staatlichen Gesellschaft nicht gleich geachtet und
daher in ihrer Wirkung hierdurch abgeschwächt wird, gestaltet sich hier zum stärksten
aller Triebe, dem Selbsterhaltungstrieb der Nationalität, dem keine Partei sich
entziehen kann, die auf dem Boden der Nationalität steht.

Dies sind die Schwierigkeiten, mit denen die östreichische Regierung, der
östreichische Staat zu kämpfen hat; stark genug, um auch weisere Staatsmänner,
als die Neuzeit in Oestreich zu Tage förderte, an der Lösung ihrer Auf¬
gabe, an der Erhaltung der Staatseinheit verzweifeln zu lassen- Die richtige
Erkennung der innern Natur der Schwierigkeiten ist auch hier, wie überall, die
erste Vorbedingung dieser Lösung, und das unsichere Tasten, das sich grade jetzt
bemerkbar macht, der pyrhisch-geheimnißvolle Ton aller officiellen und officiösen
Mittheilungen läßt billig bezweifeln, ob diese Erkenntniß vorhanden sei.

Es ist oben gesagt, die Nationalität sei die stärkste Grundlage, auf der sich
der moderne Staat aufbauen kann, das innigste Bindemittel einer lebendigen
menschlichen Gemeinschaft, die sich zum Staate erhebt. Aber sie ist nicht die
einzige Grundlage, und dies ist das richtige Maß, worauf die Nationalitäts¬
theorie zurückzuführen ist. Weiche Grundlagen bleiben aber außerdem und
welche wird stark genug sein. UM die Zukunft Oestreichs darauf zu bauen?
Das ist die Frage, die man in Oestreich sich zu beantworten hat, und zu deren
Beantwortung hier beigetragen werden soll.


Diese beiden Ideen sind es. welche die Umgestaltung Europas vollziehen. Der
Staat eine lebendige menschliche Gemeinschaft, die ihre natürlichste Grundlage
in der Nationalität findet, und die Erweiterung des Freiheitsbcgriffs zum Streben
nach Theilnahme an der Regierung. In Deutschsand macht sich die einigende
Wirkung der ersteren geltend, das allgemeine Wahlrecht ist die Concession, die
man der zweiten machen zu müssen geglaubt hat, und vielleicht ist dies der
Punkt, von dem aus das Gewitter in die Fugen des neuen Gebäudes ein¬
brechen wird, der jedenfalls die politische Reife und Tüchtigkeit des deutschen
Volkes auf eine starke, schwere Probe stellen wird. Oestreich ist, man möchte
sagen, der Patrimonialstaat Mr excellönee, durch das Glück und die Zähigkeit
einer nach weitem Besitze strebenden Dynastie ist ein großes Territorium zu¬
sammengebracht, auf dem die verschiedenartigsten Völker wohnen, verschieden
nach Sprache, Bildung. Charakter, Erwerbsthätigkeit. Wohlhabenheit. Diese
Völker sollen aus dem zufälligen Zusammenwohnen sich zu einer auf innere
Gründe der Zusammengehörigkeit gebauten menschlichen Gemeinschaft erheben,
der Landstaat kann nicht Landstaat bleiben, weil er nicht hinter den Ideen der
übrigen Welt zurückstehen will und kann, und doch fehlt die beste und stärkste
Grundlage der menschlichen Gemeinschaft: die Stammesgemeinschaft. Und das
Streben nach Mitregieren, in andern Staaten eine mehr oder weniger stark
ausgeprägte Form des Freiheitstriebs,'eine Idee, deren Werth von den ver»
schiedenen Bestandtheilen der staatlichen Gesellschaft nicht gleich geachtet und
daher in ihrer Wirkung hierdurch abgeschwächt wird, gestaltet sich hier zum stärksten
aller Triebe, dem Selbsterhaltungstrieb der Nationalität, dem keine Partei sich
entziehen kann, die auf dem Boden der Nationalität steht.

Dies sind die Schwierigkeiten, mit denen die östreichische Regierung, der
östreichische Staat zu kämpfen hat; stark genug, um auch weisere Staatsmänner,
als die Neuzeit in Oestreich zu Tage förderte, an der Lösung ihrer Auf¬
gabe, an der Erhaltung der Staatseinheit verzweifeln zu lassen- Die richtige
Erkennung der innern Natur der Schwierigkeiten ist auch hier, wie überall, die
erste Vorbedingung dieser Lösung, und das unsichere Tasten, das sich grade jetzt
bemerkbar macht, der pyrhisch-geheimnißvolle Ton aller officiellen und officiösen
Mittheilungen läßt billig bezweifeln, ob diese Erkenntniß vorhanden sei.

Es ist oben gesagt, die Nationalität sei die stärkste Grundlage, auf der sich
der moderne Staat aufbauen kann, das innigste Bindemittel einer lebendigen
menschlichen Gemeinschaft, die sich zum Staate erhebt. Aber sie ist nicht die
einzige Grundlage, und dies ist das richtige Maß, worauf die Nationalitäts¬
theorie zurückzuführen ist. Weiche Grundlagen bleiben aber außerdem und
welche wird stark genug sein. UM die Zukunft Oestreichs darauf zu bauen?
Das ist die Frage, die man in Oestreich sich zu beantworten hat, und zu deren
Beantwortung hier beigetragen werden soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/542>, abgerufen am 22.07.2024.