Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu betrachten, aus denen Oestreich glänzend und siegreich hervorgehen müsse,
sobald die Theorie aufhören werde, sich eines hohen und mächtigen Patrons zu
erfreuen. Jene überschätzen das-Princip, indem sie eine allerdings stark und
lebendig hervortretende Consequenz einer Grundidee für diese selbst halten, diese
unterschätzen sie vielleicht noch mehr, indem sie verabsäumt", auf die letzten
Gründe der neueren Staatenumwälzungen zurückzugehen. Das Nationalitäts-
princip ist aber ein Ausfluß der Umwandlung des Patrimonialstaats in den
modernen Staat, Rechtsstaat, wie man sich allerdings zu eng auch auszudrücken
pflegt, oder um eine die Sache vielleicht verdeutlichende Bezeichnung zu ge¬
brauchen, des Landstaats in den Menschenstaat. In jenem ist die Grundlage
des Staates, soweit derselbe überhaupt begrifflich hervortritt, das Territorium,
in diesem der Mensch; in jenem, der im Besitze einer Person oder einer Mehr¬
heit sein kann, entwickeln sich Rechte und Pflichten der Regierenden wie der
Regierten vorzugsweise aus dem Besitze und dem Bewohnen des Territoriums,
in diesem aus der Stellung als Haupt einer menschlichen Gemeinschaft, aus
dem Verfolgen der mannigfachen menschlichen Zwecke in einer Gemeinschaft.
Daraus folgt denn: der Patrimonialstaat kann willkürlich sein in seiner Ab¬
grenzung, maßgebend sind nur der Werth und die Sicherheit des Besitzes; der
Staat als menschliche Gemeinschaft kann sich dauernd nur stützen auf innere
Gründe des gemeinschaftlichen Zusammeirschließens. Einer der mächtigst wirkenden
Gründe menschlicher Vereinigung ist aber die Stammesgcmeinschaft. aus ihr
entwickeln sich die bedeutendsten Factoren gedeihlicher staatlicher Entwickelung:
gegenseitiges Verständniß, gegenseitiges Vertrauen, Selbstachtung, Selbstvertrauen,
der Glaube an eine hohe Aufgabe der Gemeinschaft, allgemeiner Gewinn an
der geistigen Arbeit der Glieder der Gemeinschaft, und andre mehr. Indem
aber die Stammesgemeinschaft zum Bindemittel des Staates als einer mensch¬
lichen Gemeinschaft wird, wirkt sie zugleich anziehend, indem sie sich erhebt über
die Willkürlichkeit patrimonialer Begrenzung und auf die Vereinigung des
ganzen Stammes zum Staate hinstrebt, und zugleich ausscheidend, auflösend,
indem sie sich loszuringen bestrebt von einer Gemeinschaft mit solchen, mit
welchen sie nur ein vatrimoniales der inneren Gründe entbehrendes Band ver-.
bindet, und welche der Entwickelung des Stammes als menschlicher Gemein¬
schaft hinderlich sind.

Hierzu kommt aber, will man das Ringen der Gegenwart verstehen, noch
ein Zweites, das allerdings mit der veränderten Auffassung der Staatsidee zu¬
sammenhängt, aber nicht nothwendig aus ihr folgt, die veränderte Richtung,
welche die Freiheitsidee genommen hat, bei welcher die negative Freiheit, die
Freiheit des Nichtregiertwerdens die Gemüther der Menschen nicht mehr be¬
friedigt, sondern sie zum Mitregieren, zum directen Einfluß auf die Leitung
des Staates hinstreben läßt.


64*

zu betrachten, aus denen Oestreich glänzend und siegreich hervorgehen müsse,
sobald die Theorie aufhören werde, sich eines hohen und mächtigen Patrons zu
erfreuen. Jene überschätzen das-Princip, indem sie eine allerdings stark und
lebendig hervortretende Consequenz einer Grundidee für diese selbst halten, diese
unterschätzen sie vielleicht noch mehr, indem sie verabsäumt», auf die letzten
Gründe der neueren Staatenumwälzungen zurückzugehen. Das Nationalitäts-
princip ist aber ein Ausfluß der Umwandlung des Patrimonialstaats in den
modernen Staat, Rechtsstaat, wie man sich allerdings zu eng auch auszudrücken
pflegt, oder um eine die Sache vielleicht verdeutlichende Bezeichnung zu ge¬
brauchen, des Landstaats in den Menschenstaat. In jenem ist die Grundlage
des Staates, soweit derselbe überhaupt begrifflich hervortritt, das Territorium,
in diesem der Mensch; in jenem, der im Besitze einer Person oder einer Mehr¬
heit sein kann, entwickeln sich Rechte und Pflichten der Regierenden wie der
Regierten vorzugsweise aus dem Besitze und dem Bewohnen des Territoriums,
in diesem aus der Stellung als Haupt einer menschlichen Gemeinschaft, aus
dem Verfolgen der mannigfachen menschlichen Zwecke in einer Gemeinschaft.
Daraus folgt denn: der Patrimonialstaat kann willkürlich sein in seiner Ab¬
grenzung, maßgebend sind nur der Werth und die Sicherheit des Besitzes; der
Staat als menschliche Gemeinschaft kann sich dauernd nur stützen auf innere
Gründe des gemeinschaftlichen Zusammeirschließens. Einer der mächtigst wirkenden
Gründe menschlicher Vereinigung ist aber die Stammesgcmeinschaft. aus ihr
entwickeln sich die bedeutendsten Factoren gedeihlicher staatlicher Entwickelung:
gegenseitiges Verständniß, gegenseitiges Vertrauen, Selbstachtung, Selbstvertrauen,
der Glaube an eine hohe Aufgabe der Gemeinschaft, allgemeiner Gewinn an
der geistigen Arbeit der Glieder der Gemeinschaft, und andre mehr. Indem
aber die Stammesgemeinschaft zum Bindemittel des Staates als einer mensch¬
lichen Gemeinschaft wird, wirkt sie zugleich anziehend, indem sie sich erhebt über
die Willkürlichkeit patrimonialer Begrenzung und auf die Vereinigung des
ganzen Stammes zum Staate hinstrebt, und zugleich ausscheidend, auflösend,
indem sie sich loszuringen bestrebt von einer Gemeinschaft mit solchen, mit
welchen sie nur ein vatrimoniales der inneren Gründe entbehrendes Band ver-.
bindet, und welche der Entwickelung des Stammes als menschlicher Gemein¬
schaft hinderlich sind.

Hierzu kommt aber, will man das Ringen der Gegenwart verstehen, noch
ein Zweites, das allerdings mit der veränderten Auffassung der Staatsidee zu¬
sammenhängt, aber nicht nothwendig aus ihr folgt, die veränderte Richtung,
welche die Freiheitsidee genommen hat, bei welcher die negative Freiheit, die
Freiheit des Nichtregiertwerdens die Gemüther der Menschen nicht mehr be¬
friedigt, sondern sie zum Mitregieren, zum directen Einfluß auf die Leitung
des Staates hinstreben läßt.


64*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286129"/>
          <p xml:id="ID_1923" prev="#ID_1922"> zu betrachten, aus denen Oestreich glänzend und siegreich hervorgehen müsse,<lb/>
sobald die Theorie aufhören werde, sich eines hohen und mächtigen Patrons zu<lb/>
erfreuen. Jene überschätzen das-Princip, indem sie eine allerdings stark und<lb/>
lebendig hervortretende Consequenz einer Grundidee für diese selbst halten, diese<lb/>
unterschätzen sie vielleicht noch mehr, indem sie verabsäumt», auf die letzten<lb/>
Gründe der neueren Staatenumwälzungen zurückzugehen. Das Nationalitäts-<lb/>
princip ist aber ein Ausfluß der Umwandlung des Patrimonialstaats in den<lb/>
modernen Staat, Rechtsstaat, wie man sich allerdings zu eng auch auszudrücken<lb/>
pflegt, oder um eine die Sache vielleicht verdeutlichende Bezeichnung zu ge¬<lb/>
brauchen, des Landstaats in den Menschenstaat. In jenem ist die Grundlage<lb/>
des Staates, soweit derselbe überhaupt begrifflich hervortritt, das Territorium,<lb/>
in diesem der Mensch; in jenem, der im Besitze einer Person oder einer Mehr¬<lb/>
heit sein kann, entwickeln sich Rechte und Pflichten der Regierenden wie der<lb/>
Regierten vorzugsweise aus dem Besitze und dem Bewohnen des Territoriums,<lb/>
in diesem aus der Stellung als Haupt einer menschlichen Gemeinschaft, aus<lb/>
dem Verfolgen der mannigfachen menschlichen Zwecke in einer Gemeinschaft.<lb/>
Daraus folgt denn: der Patrimonialstaat kann willkürlich sein in seiner Ab¬<lb/>
grenzung, maßgebend sind nur der Werth und die Sicherheit des Besitzes; der<lb/>
Staat als menschliche Gemeinschaft kann sich dauernd nur stützen auf innere<lb/>
Gründe des gemeinschaftlichen Zusammeirschließens. Einer der mächtigst wirkenden<lb/>
Gründe menschlicher Vereinigung ist aber die Stammesgcmeinschaft. aus ihr<lb/>
entwickeln sich die bedeutendsten Factoren gedeihlicher staatlicher Entwickelung:<lb/>
gegenseitiges Verständniß, gegenseitiges Vertrauen, Selbstachtung, Selbstvertrauen,<lb/>
der Glaube an eine hohe Aufgabe der Gemeinschaft, allgemeiner Gewinn an<lb/>
der geistigen Arbeit der Glieder der Gemeinschaft, und andre mehr. Indem<lb/>
aber die Stammesgemeinschaft zum Bindemittel des Staates als einer mensch¬<lb/>
lichen Gemeinschaft wird, wirkt sie zugleich anziehend, indem sie sich erhebt über<lb/>
die Willkürlichkeit patrimonialer Begrenzung und auf die Vereinigung des<lb/>
ganzen Stammes zum Staate hinstrebt, und zugleich ausscheidend, auflösend,<lb/>
indem sie sich loszuringen bestrebt von einer Gemeinschaft mit solchen, mit<lb/>
welchen sie nur ein vatrimoniales der inneren Gründe entbehrendes Band ver-.<lb/>
bindet, und welche der Entwickelung des Stammes als menschlicher Gemein¬<lb/>
schaft hinderlich sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1924"> Hierzu kommt aber, will man das Ringen der Gegenwart verstehen, noch<lb/>
ein Zweites, das allerdings mit der veränderten Auffassung der Staatsidee zu¬<lb/>
sammenhängt, aber nicht nothwendig aus ihr folgt, die veränderte Richtung,<lb/>
welche die Freiheitsidee genommen hat, bei welcher die negative Freiheit, die<lb/>
Freiheit des Nichtregiertwerdens die Gemüther der Menschen nicht mehr be¬<lb/>
friedigt, sondern sie zum Mitregieren, zum directen Einfluß auf die Leitung<lb/>
des Staates hinstreben läßt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> 64*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] zu betrachten, aus denen Oestreich glänzend und siegreich hervorgehen müsse, sobald die Theorie aufhören werde, sich eines hohen und mächtigen Patrons zu erfreuen. Jene überschätzen das-Princip, indem sie eine allerdings stark und lebendig hervortretende Consequenz einer Grundidee für diese selbst halten, diese unterschätzen sie vielleicht noch mehr, indem sie verabsäumt», auf die letzten Gründe der neueren Staatenumwälzungen zurückzugehen. Das Nationalitäts- princip ist aber ein Ausfluß der Umwandlung des Patrimonialstaats in den modernen Staat, Rechtsstaat, wie man sich allerdings zu eng auch auszudrücken pflegt, oder um eine die Sache vielleicht verdeutlichende Bezeichnung zu ge¬ brauchen, des Landstaats in den Menschenstaat. In jenem ist die Grundlage des Staates, soweit derselbe überhaupt begrifflich hervortritt, das Territorium, in diesem der Mensch; in jenem, der im Besitze einer Person oder einer Mehr¬ heit sein kann, entwickeln sich Rechte und Pflichten der Regierenden wie der Regierten vorzugsweise aus dem Besitze und dem Bewohnen des Territoriums, in diesem aus der Stellung als Haupt einer menschlichen Gemeinschaft, aus dem Verfolgen der mannigfachen menschlichen Zwecke in einer Gemeinschaft. Daraus folgt denn: der Patrimonialstaat kann willkürlich sein in seiner Ab¬ grenzung, maßgebend sind nur der Werth und die Sicherheit des Besitzes; der Staat als menschliche Gemeinschaft kann sich dauernd nur stützen auf innere Gründe des gemeinschaftlichen Zusammeirschließens. Einer der mächtigst wirkenden Gründe menschlicher Vereinigung ist aber die Stammesgcmeinschaft. aus ihr entwickeln sich die bedeutendsten Factoren gedeihlicher staatlicher Entwickelung: gegenseitiges Verständniß, gegenseitiges Vertrauen, Selbstachtung, Selbstvertrauen, der Glaube an eine hohe Aufgabe der Gemeinschaft, allgemeiner Gewinn an der geistigen Arbeit der Glieder der Gemeinschaft, und andre mehr. Indem aber die Stammesgemeinschaft zum Bindemittel des Staates als einer mensch¬ lichen Gemeinschaft wird, wirkt sie zugleich anziehend, indem sie sich erhebt über die Willkürlichkeit patrimonialer Begrenzung und auf die Vereinigung des ganzen Stammes zum Staate hinstrebt, und zugleich ausscheidend, auflösend, indem sie sich loszuringen bestrebt von einer Gemeinschaft mit solchen, mit welchen sie nur ein vatrimoniales der inneren Gründe entbehrendes Band ver-. bindet, und welche der Entwickelung des Stammes als menschlicher Gemein¬ schaft hinderlich sind. Hierzu kommt aber, will man das Ringen der Gegenwart verstehen, noch ein Zweites, das allerdings mit der veränderten Auffassung der Staatsidee zu¬ sammenhängt, aber nicht nothwendig aus ihr folgt, die veränderte Richtung, welche die Freiheitsidee genommen hat, bei welcher die negative Freiheit, die Freiheit des Nichtregiertwerdens die Gemüther der Menschen nicht mehr be¬ friedigt, sondern sie zum Mitregieren, zum directen Einfluß auf die Leitung des Staates hinstreben läßt. 64*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/541>, abgerufen am 22.07.2024.