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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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von der Kelter weg verkauft, -- "mit Dreck und Speck!" Habe ich doch aus
Ihren "Bildern aus dem Leben des deutschen Volks" gelernt, daß solche Auf¬
zeichnungen aus bewegten und interessanten Zeiten für spätere Geschlechter, und
namentlich für den aufmerksamen und sorglichen Culturhistoriker, selbst dann
Werth haben, wenn der Stil unbeholfen und die Darstellung fragmentarisch ist,
vorausgesetzt, daß es nur an Wahrheitsliebe und etwas Beobachtungsgabe
nicht fehlt.

Außerdem aber halte ich es auch für eine Pflicht, das, was ich in stür¬
mischer Zeit während mühsam erkargter Stunden sine ira et stuäio nieder¬
geschrieben, der Oeffentlichkeit nicht vorzuenthalten. Denn es gilt hier Zeugniß
abzulegen für die Wahrheit, welche während der letzten sechs Wochen von der
Presse in Süddeutschland, namentlich aber Von der in unserer Gegend domini¬
renden frankfurter Presse, die theils terrorisirte, wie die "Neue Frankfurter Zei¬
tung" und theils terrorisirt ward, wie das "Frankfurter Journal", mit oder
ohne Absicht auf das Gröblichste verletzt worden ist, so daß unsere Landsleute
im Norden, von welchen wir trotz alledem hoffen, daß sie mit uns denken:
"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Noth uns trennen,
noch Gefahr", glauben mußten, wir seien über Nacht alle entweder toll oder
schlecht geworden. Es gilt zu wachen, daß nicht von perfiden oder unüberlegten
Händen der Riß, soweit er schon vorhanden oder nicht mehr zu vermeiden sein
sollte, künstlich erweitert, daß nicht die Mainlinie, wenn sie auch politisch gezogen
wird, nicht mitten durch das gesammte deutsche Fühlen und Denken, nicht mitten
durch deutsche Cultur, Civilisation und Nationalbewußtsein zerreißend und ver¬
nichtend hindurchschneide. Das zu hindern ist vor allem unsere, der Mittel¬
deutschen, Sache, die, süddeusch von Race, Mundart und Herzen, von den Nord¬
deutschen einiges gelernt haben und einiges an ihnen sogar bewundern, nämlich
den kategorische" Imperativ, den ihnen der königsberger Philosoph in das
Herz gepflanzt, und die stramme Mannszucht, die staatenbildende Kraft, welche
der alte Fritz uird das glorreiche Jahr Dreizehn sie gelehrt haben. Möge der
Krieg ausgehen, wie er will, wir können uns der Hoffnung nicht entschlagen,
daß niemals dauernd das Hunnenthum über den Germanismus, die Barbarei
über die Cultur, das Mittelalter und die Vergangenheit über die moderne Welt
und die Zukunft siegen werden; und da heutzutage die Kriege nicht mehr dreißig
Jahre dauern, so wird die jetztlebende Generation demnächst, wenn sich die
Stürme des Krieges "Verzogen haben, die Mission haben, die Aufgabe, welche
dem deutschen Genius gesteckt ist, an derjenigen Stelle ihrer wissenschaftlichen,
wirthschaftlichen, bürgerlichen Seite wieder aufzunehmen, an welcher sie durch den
Krieg unterbrochen worden ist. Daß die gemeinsame Lösung dieser Aufgabe
nicht vereitelt werde durch die Leiden des Krieges und durch gewissenlose Um¬
triebe, welche das Herz des Volkes vergiften und seinen Verstand umnebeln


von der Kelter weg verkauft, — „mit Dreck und Speck!" Habe ich doch aus
Ihren „Bildern aus dem Leben des deutschen Volks" gelernt, daß solche Auf¬
zeichnungen aus bewegten und interessanten Zeiten für spätere Geschlechter, und
namentlich für den aufmerksamen und sorglichen Culturhistoriker, selbst dann
Werth haben, wenn der Stil unbeholfen und die Darstellung fragmentarisch ist,
vorausgesetzt, daß es nur an Wahrheitsliebe und etwas Beobachtungsgabe
nicht fehlt.

Außerdem aber halte ich es auch für eine Pflicht, das, was ich in stür¬
mischer Zeit während mühsam erkargter Stunden sine ira et stuäio nieder¬
geschrieben, der Oeffentlichkeit nicht vorzuenthalten. Denn es gilt hier Zeugniß
abzulegen für die Wahrheit, welche während der letzten sechs Wochen von der
Presse in Süddeutschland, namentlich aber Von der in unserer Gegend domini¬
renden frankfurter Presse, die theils terrorisirte, wie die „Neue Frankfurter Zei¬
tung" und theils terrorisirt ward, wie das „Frankfurter Journal", mit oder
ohne Absicht auf das Gröblichste verletzt worden ist, so daß unsere Landsleute
im Norden, von welchen wir trotz alledem hoffen, daß sie mit uns denken:
„Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Noth uns trennen,
noch Gefahr", glauben mußten, wir seien über Nacht alle entweder toll oder
schlecht geworden. Es gilt zu wachen, daß nicht von perfiden oder unüberlegten
Händen der Riß, soweit er schon vorhanden oder nicht mehr zu vermeiden sein
sollte, künstlich erweitert, daß nicht die Mainlinie, wenn sie auch politisch gezogen
wird, nicht mitten durch das gesammte deutsche Fühlen und Denken, nicht mitten
durch deutsche Cultur, Civilisation und Nationalbewußtsein zerreißend und ver¬
nichtend hindurchschneide. Das zu hindern ist vor allem unsere, der Mittel¬
deutschen, Sache, die, süddeusch von Race, Mundart und Herzen, von den Nord¬
deutschen einiges gelernt haben und einiges an ihnen sogar bewundern, nämlich
den kategorische» Imperativ, den ihnen der königsberger Philosoph in das
Herz gepflanzt, und die stramme Mannszucht, die staatenbildende Kraft, welche
der alte Fritz uird das glorreiche Jahr Dreizehn sie gelehrt haben. Möge der
Krieg ausgehen, wie er will, wir können uns der Hoffnung nicht entschlagen,
daß niemals dauernd das Hunnenthum über den Germanismus, die Barbarei
über die Cultur, das Mittelalter und die Vergangenheit über die moderne Welt
und die Zukunft siegen werden; und da heutzutage die Kriege nicht mehr dreißig
Jahre dauern, so wird die jetztlebende Generation demnächst, wenn sich die
Stürme des Krieges "Verzogen haben, die Mission haben, die Aufgabe, welche
dem deutschen Genius gesteckt ist, an derjenigen Stelle ihrer wissenschaftlichen,
wirthschaftlichen, bürgerlichen Seite wieder aufzunehmen, an welcher sie durch den
Krieg unterbrochen worden ist. Daß die gemeinsame Lösung dieser Aufgabe
nicht vereitelt werde durch die Leiden des Krieges und durch gewissenlose Um¬
triebe, welche das Herz des Volkes vergiften und seinen Verstand umnebeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/524>, abgerufen am 25.08.2024.