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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Fühlt man sich zu Berlin in Wahrheit verpflichtet, den Sachsen ihr königliches
Haus zurückzugeben, so ist doch jedenfalls ein starkes Interesse Preußens und
Sachsens, daß die Rückführung des königlichen Hauses in den Bundesstaat erst
nach Constituirung desselben vor sich ginge. Wollte man das sächsische Volk an
dieser Constituirung theilnehmen lassen, so konnte man ohne Mühe die Landes-
commissivn beseitigen, die Beamten durch Reverse verpflichten, die Wahlen aus¬
schreiben, und wenn in dem Bundesstaat Rechte und Pflichten der einzelnen
Regierungen festgestellt waren, dann dem Königshaus der Wettiner die Rückkehr
auf Grund des prager Friedens anbieten. Das war ganz vertragsmäßig ge¬
handelt, es nahm dem Ausland das Recht sich einzumischen, es erleichterte das
Friedenswerk des auswärtigen Amtes in Berlin um ein Beträchtliches und es
schuf einen gleichmäßigen gesetzlichen Zustand im Bundesstaat, den das sächsische
Königshaus anzuerkennen hatte, wenn es seine Restitution wollte.

Dies ungefähr sind die Einwürfe, welche man gegen die ministerielle säch¬
sische Brochure und gegen die eifrigen Friedensvermittler in Berlin vom preu¬
ßischen Standpunkt geltend machen wird. Aber diese Kritik ist, so scheint uns,
nur ein schwacher Ausdruck der Empfindungen, welche ein Preuße in diesen
Tagen hat, wenn er an die Lösung der sächsischen Frage denkt, und es ist auch
für unsere Leser in Sachsen lehrreich, sich an diese Stimmungen ihrer Nachbarn
zu erinnern.

Berlin hat sich festlich geschmückt, aller Blumcnglanz des Herbstes ist an
die Häuser geheftet, die Fanfaren schmettern, durch eine dichtgedrängte Menge
hält das siegreiche Heer seinen Tnumvhzug in die Hauptstadt. Beim Stand¬
bild des großen Königs, bei der ehernen Statue Blüchers dröhnt der reisige
Zug der Enkel vorüber. Die letzten hundert Jahre preußischer Geschichte sind
in den Seelen lebendig, eine Zeit hohen Aufschwunges und harter Schläge, in
denen die Lebenskraft des jungen Staates auf harte Proben gestellt war, aus
den härtesten neubelebt hervorging. Zum dritten Mal seit 1763 hat sich Ber¬
lin gerüstet, das Heer seiner Könige, das aus großem Kriege siegreich heimkehrt,
zu empfangen, und jeder dieser Triumphzüge bezeichnet einen neuen großen
Forschritt des preußischen Staates. Aber bei jedem dieser Erfolge war ein und
dieselbe herbe Entsagung. Friedrich der Zweite hatte im siebenjährigen Kampfe
Sachsen erobert und behauptet, er vermochte es nicht im Frieden für Preußen
zu erwerben, der große König entzog sich dem Tnumphzuge und ritt allein in
seine Einsamkeit an der Havel zurück. In den Freiheitskriegen hatte Preußen
wieder das Königreich Sachsen in Besitz genommen, zum zweiten Mal mußte
es im Frieden den Haupttheil des Landes aus seiner Hand geben. Jetzt hat
ein ewig denkwürdiges Geschick zum dritten Mal in hundert Jahren gefügt, daß
Preußen den Nachbarstaat im Kriege einnahm und in gepanzerter Hand hielt,
seine eigene Macht ist unvergleichlich größer, seine Siege sind so glänzend wie der


Fühlt man sich zu Berlin in Wahrheit verpflichtet, den Sachsen ihr königliches
Haus zurückzugeben, so ist doch jedenfalls ein starkes Interesse Preußens und
Sachsens, daß die Rückführung des königlichen Hauses in den Bundesstaat erst
nach Constituirung desselben vor sich ginge. Wollte man das sächsische Volk an
dieser Constituirung theilnehmen lassen, so konnte man ohne Mühe die Landes-
commissivn beseitigen, die Beamten durch Reverse verpflichten, die Wahlen aus¬
schreiben, und wenn in dem Bundesstaat Rechte und Pflichten der einzelnen
Regierungen festgestellt waren, dann dem Königshaus der Wettiner die Rückkehr
auf Grund des prager Friedens anbieten. Das war ganz vertragsmäßig ge¬
handelt, es nahm dem Ausland das Recht sich einzumischen, es erleichterte das
Friedenswerk des auswärtigen Amtes in Berlin um ein Beträchtliches und es
schuf einen gleichmäßigen gesetzlichen Zustand im Bundesstaat, den das sächsische
Königshaus anzuerkennen hatte, wenn es seine Restitution wollte.

Dies ungefähr sind die Einwürfe, welche man gegen die ministerielle säch¬
sische Brochure und gegen die eifrigen Friedensvermittler in Berlin vom preu¬
ßischen Standpunkt geltend machen wird. Aber diese Kritik ist, so scheint uns,
nur ein schwacher Ausdruck der Empfindungen, welche ein Preuße in diesen
Tagen hat, wenn er an die Lösung der sächsischen Frage denkt, und es ist auch
für unsere Leser in Sachsen lehrreich, sich an diese Stimmungen ihrer Nachbarn
zu erinnern.

Berlin hat sich festlich geschmückt, aller Blumcnglanz des Herbstes ist an
die Häuser geheftet, die Fanfaren schmettern, durch eine dichtgedrängte Menge
hält das siegreiche Heer seinen Tnumvhzug in die Hauptstadt. Beim Stand¬
bild des großen Königs, bei der ehernen Statue Blüchers dröhnt der reisige
Zug der Enkel vorüber. Die letzten hundert Jahre preußischer Geschichte sind
in den Seelen lebendig, eine Zeit hohen Aufschwunges und harter Schläge, in
denen die Lebenskraft des jungen Staates auf harte Proben gestellt war, aus
den härtesten neubelebt hervorging. Zum dritten Mal seit 1763 hat sich Ber¬
lin gerüstet, das Heer seiner Könige, das aus großem Kriege siegreich heimkehrt,
zu empfangen, und jeder dieser Triumphzüge bezeichnet einen neuen großen
Forschritt des preußischen Staates. Aber bei jedem dieser Erfolge war ein und
dieselbe herbe Entsagung. Friedrich der Zweite hatte im siebenjährigen Kampfe
Sachsen erobert und behauptet, er vermochte es nicht im Frieden für Preußen
zu erwerben, der große König entzog sich dem Tnumphzuge und ritt allein in
seine Einsamkeit an der Havel zurück. In den Freiheitskriegen hatte Preußen
wieder das Königreich Sachsen in Besitz genommen, zum zweiten Mal mußte
es im Frieden den Haupttheil des Landes aus seiner Hand geben. Jetzt hat
ein ewig denkwürdiges Geschick zum dritten Mal in hundert Jahren gefügt, daß
Preußen den Nachbarstaat im Kriege einnahm und in gepanzerter Hand hielt,
seine eigene Macht ist unvergleichlich größer, seine Siege sind so glänzend wie der


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[0520] Fühlt man sich zu Berlin in Wahrheit verpflichtet, den Sachsen ihr königliches Haus zurückzugeben, so ist doch jedenfalls ein starkes Interesse Preußens und Sachsens, daß die Rückführung des königlichen Hauses in den Bundesstaat erst nach Constituirung desselben vor sich ginge. Wollte man das sächsische Volk an dieser Constituirung theilnehmen lassen, so konnte man ohne Mühe die Landes- commissivn beseitigen, die Beamten durch Reverse verpflichten, die Wahlen aus¬ schreiben, und wenn in dem Bundesstaat Rechte und Pflichten der einzelnen Regierungen festgestellt waren, dann dem Königshaus der Wettiner die Rückkehr auf Grund des prager Friedens anbieten. Das war ganz vertragsmäßig ge¬ handelt, es nahm dem Ausland das Recht sich einzumischen, es erleichterte das Friedenswerk des auswärtigen Amtes in Berlin um ein Beträchtliches und es schuf einen gleichmäßigen gesetzlichen Zustand im Bundesstaat, den das sächsische Königshaus anzuerkennen hatte, wenn es seine Restitution wollte. Dies ungefähr sind die Einwürfe, welche man gegen die ministerielle säch¬ sische Brochure und gegen die eifrigen Friedensvermittler in Berlin vom preu¬ ßischen Standpunkt geltend machen wird. Aber diese Kritik ist, so scheint uns, nur ein schwacher Ausdruck der Empfindungen, welche ein Preuße in diesen Tagen hat, wenn er an die Lösung der sächsischen Frage denkt, und es ist auch für unsere Leser in Sachsen lehrreich, sich an diese Stimmungen ihrer Nachbarn zu erinnern. Berlin hat sich festlich geschmückt, aller Blumcnglanz des Herbstes ist an die Häuser geheftet, die Fanfaren schmettern, durch eine dichtgedrängte Menge hält das siegreiche Heer seinen Tnumvhzug in die Hauptstadt. Beim Stand¬ bild des großen Königs, bei der ehernen Statue Blüchers dröhnt der reisige Zug der Enkel vorüber. Die letzten hundert Jahre preußischer Geschichte sind in den Seelen lebendig, eine Zeit hohen Aufschwunges und harter Schläge, in denen die Lebenskraft des jungen Staates auf harte Proben gestellt war, aus den härtesten neubelebt hervorging. Zum dritten Mal seit 1763 hat sich Ber¬ lin gerüstet, das Heer seiner Könige, das aus großem Kriege siegreich heimkehrt, zu empfangen, und jeder dieser Triumphzüge bezeichnet einen neuen großen Forschritt des preußischen Staates. Aber bei jedem dieser Erfolge war ein und dieselbe herbe Entsagung. Friedrich der Zweite hatte im siebenjährigen Kampfe Sachsen erobert und behauptet, er vermochte es nicht im Frieden für Preußen zu erwerben, der große König entzog sich dem Tnumphzuge und ritt allein in seine Einsamkeit an der Havel zurück. In den Freiheitskriegen hatte Preußen wieder das Königreich Sachsen in Besitz genommen, zum zweiten Mal mußte es im Frieden den Haupttheil des Landes aus seiner Hand geben. Jetzt hat ein ewig denkwürdiges Geschick zum dritten Mal in hundert Jahren gefügt, daß Preußen den Nachbarstaat im Kriege einnahm und in gepanzerter Hand hielt, seine eigene Macht ist unvergleichlich größer, seine Siege sind so glänzend wie der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/520>, abgerufen am 22.07.2024.