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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Am meisten Berechtigung hat die Forderung der Flugschrift "Sachsen und
der norddeutsche Bund" grade da, wo man in Preußen am schärfsten einzu¬
greifen geneigt war, in der Heeresfrage. Die Neuformation des sächsischen
Heeres in preußische Bataillone hat Schwierigkeiten, welche nicht blos formaler
Natur sind, die OWere würden fast sämmtlich hinfällig werden, die jetzige
Generation der Mannschaft in Disciplin und Gesinnung viel zu wünschen
übrig lassen. Und was die Hauptsache ist, man würde für die nächsten Jahre
bei einem Kriege das sächsische Contingent fast ganz entbehren, sogar das preu¬
ßische Offiziercorps um ihretwillen schwächen müssen. Läßt man den sächsischen
Heerkörper bestehen, so hat man 25,000 Mann kriegstüchtiger Truppen zur
Disposition. Allerdings eine Truppe, deren ganzer kriegerischer Stolz auf dem
Kampfe beruht, den sie gegen ihre preußischen Kameraden geführt hat, bei der
jetzt noch unsicher ist, ob sie in einem neuen Kriege mit Oestreich verwendbar
sein würde. Aber sie hat militärische Zucht bewährt. Hat man ihren Kriegs¬
herrn im neuen Bundesstaat, so hat man auch sie, sie wird sich in militärischem
Gehorsam nach Jahr und Tag vielleicht besser gegen einen alten Verbündeten
schlagen, als mürrische Bataillone aufgehobener Sachsen unter preußischen
Offizieren.

Freilich die Voraussetzung, unter welcher selbständige Dauer des sächsischen
Heeres möglich wird, ist doch, daß dasselbe durch irgendein Band an den
Bundesfeldherrn verpflichtet wird. Jede Form, in der dies geschehen kann:
Verpflichtung der Offiziere für den Bund, Beeidigung der obersten Heerführer
hat Jnconvenienzen, welche schon darum größer sind als in anderen Bundes¬
staaten, weil das sächsische Heer größer ist. In jedem Fall wird etwas Halbes
geschaffen. Halb aber bleibt auch die Arbeit, wenn man das sächsische Königs¬
haus zurückführt und die sächsischen Soldaten in preußischen Bataillonen aus-
exercirt. Der Unterschied ist nur der, daß das sächsische Heer, dessen Selb¬
ständigkeit bewahrt bleibt, sogleich eine kriegstüchtige Truppe des Bundesstaats
ist, welche allerdings fortfährt, ein specifisch sächsisches Gepräge zu behalten,
während die Auflösung des sächsischen Heeres in preußische Bataillone in der
nächsten Zukunft Preußens Hcerkrast eher schwächt als stärkt, dagegen in späterer
Zeit tüchtige preußische Soldaten giebt. Es kommt also darauf an, was Preu¬
ßen in diesem Augenblicke für wichtiger hält.

Größere Gefahr würde sich Preußen durch ein souveränes Sachsen für den
neuen Bundesstaat bereiten. Der König übernimmt die Verpflichtung, auf
Grund des Entwurfes vom 10. Juni in den neuen Bund zu treten, ebenso
wie ein anderer der bundestreuen Fürsten. Noch ist der Bundesstaat nichts als
Project, der König von Sachsen wird also bei der Constituirung sein Interesse
so gut wahrzunehmen berechtigt sein als jeder anderer der Bundesfürsten.
Sachsen aber ist das einzige Königshaus im Bunde. Es wird also selbstver-


Am meisten Berechtigung hat die Forderung der Flugschrift „Sachsen und
der norddeutsche Bund" grade da, wo man in Preußen am schärfsten einzu¬
greifen geneigt war, in der Heeresfrage. Die Neuformation des sächsischen
Heeres in preußische Bataillone hat Schwierigkeiten, welche nicht blos formaler
Natur sind, die OWere würden fast sämmtlich hinfällig werden, die jetzige
Generation der Mannschaft in Disciplin und Gesinnung viel zu wünschen
übrig lassen. Und was die Hauptsache ist, man würde für die nächsten Jahre
bei einem Kriege das sächsische Contingent fast ganz entbehren, sogar das preu¬
ßische Offiziercorps um ihretwillen schwächen müssen. Läßt man den sächsischen
Heerkörper bestehen, so hat man 25,000 Mann kriegstüchtiger Truppen zur
Disposition. Allerdings eine Truppe, deren ganzer kriegerischer Stolz auf dem
Kampfe beruht, den sie gegen ihre preußischen Kameraden geführt hat, bei der
jetzt noch unsicher ist, ob sie in einem neuen Kriege mit Oestreich verwendbar
sein würde. Aber sie hat militärische Zucht bewährt. Hat man ihren Kriegs¬
herrn im neuen Bundesstaat, so hat man auch sie, sie wird sich in militärischem
Gehorsam nach Jahr und Tag vielleicht besser gegen einen alten Verbündeten
schlagen, als mürrische Bataillone aufgehobener Sachsen unter preußischen
Offizieren.

Freilich die Voraussetzung, unter welcher selbständige Dauer des sächsischen
Heeres möglich wird, ist doch, daß dasselbe durch irgendein Band an den
Bundesfeldherrn verpflichtet wird. Jede Form, in der dies geschehen kann:
Verpflichtung der Offiziere für den Bund, Beeidigung der obersten Heerführer
hat Jnconvenienzen, welche schon darum größer sind als in anderen Bundes¬
staaten, weil das sächsische Heer größer ist. In jedem Fall wird etwas Halbes
geschaffen. Halb aber bleibt auch die Arbeit, wenn man das sächsische Königs¬
haus zurückführt und die sächsischen Soldaten in preußischen Bataillonen aus-
exercirt. Der Unterschied ist nur der, daß das sächsische Heer, dessen Selb¬
ständigkeit bewahrt bleibt, sogleich eine kriegstüchtige Truppe des Bundesstaats
ist, welche allerdings fortfährt, ein specifisch sächsisches Gepräge zu behalten,
während die Auflösung des sächsischen Heeres in preußische Bataillone in der
nächsten Zukunft Preußens Hcerkrast eher schwächt als stärkt, dagegen in späterer
Zeit tüchtige preußische Soldaten giebt. Es kommt also darauf an, was Preu¬
ßen in diesem Augenblicke für wichtiger hält.

Größere Gefahr würde sich Preußen durch ein souveränes Sachsen für den
neuen Bundesstaat bereiten. Der König übernimmt die Verpflichtung, auf
Grund des Entwurfes vom 10. Juni in den neuen Bund zu treten, ebenso
wie ein anderer der bundestreuen Fürsten. Noch ist der Bundesstaat nichts als
Project, der König von Sachsen wird also bei der Constituirung sein Interesse
so gut wahrzunehmen berechtigt sein als jeder anderer der Bundesfürsten.
Sachsen aber ist das einzige Königshaus im Bunde. Es wird also selbstver-


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[0518] Am meisten Berechtigung hat die Forderung der Flugschrift „Sachsen und der norddeutsche Bund" grade da, wo man in Preußen am schärfsten einzu¬ greifen geneigt war, in der Heeresfrage. Die Neuformation des sächsischen Heeres in preußische Bataillone hat Schwierigkeiten, welche nicht blos formaler Natur sind, die OWere würden fast sämmtlich hinfällig werden, die jetzige Generation der Mannschaft in Disciplin und Gesinnung viel zu wünschen übrig lassen. Und was die Hauptsache ist, man würde für die nächsten Jahre bei einem Kriege das sächsische Contingent fast ganz entbehren, sogar das preu¬ ßische Offiziercorps um ihretwillen schwächen müssen. Läßt man den sächsischen Heerkörper bestehen, so hat man 25,000 Mann kriegstüchtiger Truppen zur Disposition. Allerdings eine Truppe, deren ganzer kriegerischer Stolz auf dem Kampfe beruht, den sie gegen ihre preußischen Kameraden geführt hat, bei der jetzt noch unsicher ist, ob sie in einem neuen Kriege mit Oestreich verwendbar sein würde. Aber sie hat militärische Zucht bewährt. Hat man ihren Kriegs¬ herrn im neuen Bundesstaat, so hat man auch sie, sie wird sich in militärischem Gehorsam nach Jahr und Tag vielleicht besser gegen einen alten Verbündeten schlagen, als mürrische Bataillone aufgehobener Sachsen unter preußischen Offizieren. Freilich die Voraussetzung, unter welcher selbständige Dauer des sächsischen Heeres möglich wird, ist doch, daß dasselbe durch irgendein Band an den Bundesfeldherrn verpflichtet wird. Jede Form, in der dies geschehen kann: Verpflichtung der Offiziere für den Bund, Beeidigung der obersten Heerführer hat Jnconvenienzen, welche schon darum größer sind als in anderen Bundes¬ staaten, weil das sächsische Heer größer ist. In jedem Fall wird etwas Halbes geschaffen. Halb aber bleibt auch die Arbeit, wenn man das sächsische Königs¬ haus zurückführt und die sächsischen Soldaten in preußischen Bataillonen aus- exercirt. Der Unterschied ist nur der, daß das sächsische Heer, dessen Selb¬ ständigkeit bewahrt bleibt, sogleich eine kriegstüchtige Truppe des Bundesstaats ist, welche allerdings fortfährt, ein specifisch sächsisches Gepräge zu behalten, während die Auflösung des sächsischen Heeres in preußische Bataillone in der nächsten Zukunft Preußens Hcerkrast eher schwächt als stärkt, dagegen in späterer Zeit tüchtige preußische Soldaten giebt. Es kommt also darauf an, was Preu¬ ßen in diesem Augenblicke für wichtiger hält. Größere Gefahr würde sich Preußen durch ein souveränes Sachsen für den neuen Bundesstaat bereiten. Der König übernimmt die Verpflichtung, auf Grund des Entwurfes vom 10. Juni in den neuen Bund zu treten, ebenso wie ein anderer der bundestreuen Fürsten. Noch ist der Bundesstaat nichts als Project, der König von Sachsen wird also bei der Constituirung sein Interesse so gut wahrzunehmen berechtigt sein als jeder anderer der Bundesfürsten. Sachsen aber ist das einzige Königshaus im Bunde. Es wird also selbstver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/518>, abgerufen am 22.07.2024.