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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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zeugungcn, welche sie ausspricht, sind genau dieselben, welche d. BI. vertritt.
Die andere: "Sachsen und der norddeutsche Bund", erklärt den Anschluß Sach¬
sens an den Bundesstaat für nothwendig und plaidirt für möglichste Erhaltung
der sächsischen Souveränetät. Die Auffassung, welche durch diese Schrift Popu¬
larität sucht, ist genau dieselbe, welche ein sächsischer Gesandter bei den Frie-
densverhandlungen mit Preußen geltend machen kann. Der Unterschied zwischen
beiden Schriften ist im Wesentlichen der, daß in der zweiten "Sachsen" immer
sowohl das Königshaus als das Volk begreift, die Interessen beider Factoren
werden als absolut gleichbedeutend und einheitlich verbunden gefaßt, während
die erstere Flugschrift die Punkte auszuführen sucht, in denen von jetzt ab die
Interessen des sächsischen Volkes und seiner Dynastie auseinandergehen. Für
diese Beweisführung hat die diplomatische Flugschrift keine Widerlegung, schon
die Annahme eines solchen Gegensatzes würde ihr unzweckmäßig erscheinen.

Die Flugschrift, "Sachsen und der Bundesstaat", sucht aber auch auszu¬
führen, daß es für Preußen vortheilhaft sei, das sächsische Königshaus ohne
demüthigende Beschränkungen wieder einzusetzen. Das hohe Haus werde, mit
derselben Pflichttreue, die es dem allen Bunde bewiesen, seine Pflichten gegen
den neuen Bundesstaat erfüllen. Das sächsische Heer könne man in seiner
Taktik und Einrichtung ja dem preußischen nähern, aber es werde dem Bundes¬
staat bessere Dienste thun, wenn es unter seinem alten Kriegsherrn Integrität
und Selbstgefühl bewahre, als wenn die Täcksen widerwillige preußische Sol¬
daten sein mühten; es sei ferner unangemessen, Sachsen mit 2^2 Millionen
Einwohnern in dem neuen Bundesstaat wie einen gebundenen Sclaven hinzu¬
stellen, weit ungünstiger als Waldeck oder einen anderen Kleinstaat u. s. w.

Das alles hat guten Schein, wenn man preußischerseits das königliche
Haus von Sachsen wieder in Sachsen einsetzen und mit ihm im neuen Bundes¬
staat pactiren will, wie im alten geschehen. Es klingt ganz gut, daß man ganz
und voll thun müsse, was man thut, hier also: entweder müsse man Sachsen
preußisch machen, oder Sachsen als Staat bestehen lassen. Müsse man die
königliche Familie von Sachsen restituiren, so müsse man ihr die Möglichkeit
geben nach fürstlichen Begriffen zu bestehen. Aber in Wahrheit steht die Frage
für Preußen so, zuerst ob man überhaupt restituiren muß und ferner, wenn
man muß, ob man dabei auf das Wohlbefinden der retablirten Souveränetät
Rücksicht nehmen darf. Wir betrachten den letztem Fall, daß man das Königs¬
haus restituiren muß.

Der Ministerpräsident hat in den letzten Wochen öffentlich ausgesprochen,
es sei unwesentlich, ob man einem Kleinstaat die diplomatische Vertretung lasse,
das Gewicht derselben werde doch durch die realen Machtverhältnisse des Staates
bestimmt. Die eigene Erfahrung des Grafen Bismarck und jeder Blick auf die
Geschichte der letzten fünfzig Jahre lehren, daß dieser Satz starke Einschränkungen


zeugungcn, welche sie ausspricht, sind genau dieselben, welche d. BI. vertritt.
Die andere: „Sachsen und der norddeutsche Bund", erklärt den Anschluß Sach¬
sens an den Bundesstaat für nothwendig und plaidirt für möglichste Erhaltung
der sächsischen Souveränetät. Die Auffassung, welche durch diese Schrift Popu¬
larität sucht, ist genau dieselbe, welche ein sächsischer Gesandter bei den Frie-
densverhandlungen mit Preußen geltend machen kann. Der Unterschied zwischen
beiden Schriften ist im Wesentlichen der, daß in der zweiten „Sachsen" immer
sowohl das Königshaus als das Volk begreift, die Interessen beider Factoren
werden als absolut gleichbedeutend und einheitlich verbunden gefaßt, während
die erstere Flugschrift die Punkte auszuführen sucht, in denen von jetzt ab die
Interessen des sächsischen Volkes und seiner Dynastie auseinandergehen. Für
diese Beweisführung hat die diplomatische Flugschrift keine Widerlegung, schon
die Annahme eines solchen Gegensatzes würde ihr unzweckmäßig erscheinen.

Die Flugschrift, „Sachsen und der Bundesstaat", sucht aber auch auszu¬
führen, daß es für Preußen vortheilhaft sei, das sächsische Königshaus ohne
demüthigende Beschränkungen wieder einzusetzen. Das hohe Haus werde, mit
derselben Pflichttreue, die es dem allen Bunde bewiesen, seine Pflichten gegen
den neuen Bundesstaat erfüllen. Das sächsische Heer könne man in seiner
Taktik und Einrichtung ja dem preußischen nähern, aber es werde dem Bundes¬
staat bessere Dienste thun, wenn es unter seinem alten Kriegsherrn Integrität
und Selbstgefühl bewahre, als wenn die Täcksen widerwillige preußische Sol¬
daten sein mühten; es sei ferner unangemessen, Sachsen mit 2^2 Millionen
Einwohnern in dem neuen Bundesstaat wie einen gebundenen Sclaven hinzu¬
stellen, weit ungünstiger als Waldeck oder einen anderen Kleinstaat u. s. w.

Das alles hat guten Schein, wenn man preußischerseits das königliche
Haus von Sachsen wieder in Sachsen einsetzen und mit ihm im neuen Bundes¬
staat pactiren will, wie im alten geschehen. Es klingt ganz gut, daß man ganz
und voll thun müsse, was man thut, hier also: entweder müsse man Sachsen
preußisch machen, oder Sachsen als Staat bestehen lassen. Müsse man die
königliche Familie von Sachsen restituiren, so müsse man ihr die Möglichkeit
geben nach fürstlichen Begriffen zu bestehen. Aber in Wahrheit steht die Frage
für Preußen so, zuerst ob man überhaupt restituiren muß und ferner, wenn
man muß, ob man dabei auf das Wohlbefinden der retablirten Souveränetät
Rücksicht nehmen darf. Wir betrachten den letztem Fall, daß man das Königs¬
haus restituiren muß.

Der Ministerpräsident hat in den letzten Wochen öffentlich ausgesprochen,
es sei unwesentlich, ob man einem Kleinstaat die diplomatische Vertretung lasse,
das Gewicht derselben werde doch durch die realen Machtverhältnisse des Staates
bestimmt. Die eigene Erfahrung des Grafen Bismarck und jeder Blick auf die
Geschichte der letzten fünfzig Jahre lehren, daß dieser Satz starke Einschränkungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/516>, abgerufen am 22.07.2024.