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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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legcrsregiment, Oberstlieutenant v. Pochmann, war durch den Unfall so alterirt.
daß er sich erschoß. In Würzburg war arge Aufregung, als gegen hundert
Versprengte ankamen, die zwanzig Stunden weit geritten waren und alles rief
erschreckt: "Die Preußen kommen!"

Auch in dem hitzigen Kampf um Hammelburg sowie bei Kissingen zogen die
Bayern bekanntlich den Kürzeren. Bei letzteren Orte hatten sie wieder eine
treffliche Position, über die dort ziemlich breite Saale, führte nur eine Brücke
die lang und schmal war und von trefflich postirter Artillerie -- man sagt
achtzehn Geschützen -- vollkommen bestrichen werden konnte. Der ganze Ort
wurde ebenfalls von hier aus beherrscht. In beiden Treffen schlugen sich die
Truppen sonst brav, namentlich bei Hammelburg, wo sie bedeutend in der
Minderzahl waren. Aber warum kam man ihnen nicht zu Hilfe, obgleich noch
Abtheilungen in der Nähe waren, die das Feuern hören mußten? Die Rück¬
sichtslosigkeit bayerischer Civil" und Militärbehörden gegen das kissinger Bade¬
publikum,' gegen Kranke und Gebrechliche, gegen die eigene Stadt und deren
Interesse ist nicht zu entschuldigen, zumal wenn man wußte oder wissen mußte,
was bevorstand, mit welcher Macht der Gegner vorrückte. So viel allerdings
scheint sich nunmehr als ziemlich unbestritten herausgestellt zu haben, daß das
bayerische Kundschaftswesen sich noch ziemlich im Urzustande befindet und sehr
vieles zu wünschen übrig lassen mag/) Somit war man in dieser Beziehung
von dem Wesentlichsten wenig oder nicht, oder falsch unterrichtet, kein Wunder
daher, wenn fast alles anders kam. als man sich dachte, und wenn mit der
Ueberraschung Schrecken und Entmuthigung die Truppen hier und da überfiel,
namentlich nach vorausgegangenen gewaltigen Enttäuschungen.

Bon Verwenden und Ineinandergreifen der verschiedenen Waffengattungen,
von Recognosciren. von Benutzen des Terrains, von Scheinbewegungen und
anderem Wesentlichen scheint man von oben her keinen rechten Begriff gehabt
zu haben und so mußte denn natürlich das Ganze darunter leiden, so daß der
beste Wille, die größte Hingebung und die lobenswertheste Tapferkeit, die
vor allem der Gegner selbst anerkannte, das nicht ausgleichen konnten. Die
Kräfte. Gewandtheit und Hilfsmittel des Gegners kannte man ebenso wenig
und berechnete diese jedenfalls nur nach den eigenen oder unterschätzte sie gar.
Letzteres ist das Wahrscheinlichere.**)

Was das stramme. Sichere, zugleich aber auch Bewegliche betrifft, so




' ") Der größere Theil der ausgeschickten Spione, in deren Wahl man nicht glücklich
war, kehrte nicht wieder zurück. Das Patrouilliren scheint auch nicht die stärkste Seite gewesen
zu sein.
") Selbst das "Würzburger Abendblatt" soge: "Allgemein hört man die Klage über
mongelhoste Führung und Verpflegung, Die Truppen sind niemals von der Stellung und
Stärke des Feindes unterrichtet, was sie mißtrauisch macht."
59*

legcrsregiment, Oberstlieutenant v. Pochmann, war durch den Unfall so alterirt.
daß er sich erschoß. In Würzburg war arge Aufregung, als gegen hundert
Versprengte ankamen, die zwanzig Stunden weit geritten waren und alles rief
erschreckt: „Die Preußen kommen!"

Auch in dem hitzigen Kampf um Hammelburg sowie bei Kissingen zogen die
Bayern bekanntlich den Kürzeren. Bei letzteren Orte hatten sie wieder eine
treffliche Position, über die dort ziemlich breite Saale, führte nur eine Brücke
die lang und schmal war und von trefflich postirter Artillerie — man sagt
achtzehn Geschützen — vollkommen bestrichen werden konnte. Der ganze Ort
wurde ebenfalls von hier aus beherrscht. In beiden Treffen schlugen sich die
Truppen sonst brav, namentlich bei Hammelburg, wo sie bedeutend in der
Minderzahl waren. Aber warum kam man ihnen nicht zu Hilfe, obgleich noch
Abtheilungen in der Nähe waren, die das Feuern hören mußten? Die Rück¬
sichtslosigkeit bayerischer Civil« und Militärbehörden gegen das kissinger Bade¬
publikum,' gegen Kranke und Gebrechliche, gegen die eigene Stadt und deren
Interesse ist nicht zu entschuldigen, zumal wenn man wußte oder wissen mußte,
was bevorstand, mit welcher Macht der Gegner vorrückte. So viel allerdings
scheint sich nunmehr als ziemlich unbestritten herausgestellt zu haben, daß das
bayerische Kundschaftswesen sich noch ziemlich im Urzustande befindet und sehr
vieles zu wünschen übrig lassen mag/) Somit war man in dieser Beziehung
von dem Wesentlichsten wenig oder nicht, oder falsch unterrichtet, kein Wunder
daher, wenn fast alles anders kam. als man sich dachte, und wenn mit der
Ueberraschung Schrecken und Entmuthigung die Truppen hier und da überfiel,
namentlich nach vorausgegangenen gewaltigen Enttäuschungen.

Bon Verwenden und Ineinandergreifen der verschiedenen Waffengattungen,
von Recognosciren. von Benutzen des Terrains, von Scheinbewegungen und
anderem Wesentlichen scheint man von oben her keinen rechten Begriff gehabt
zu haben und so mußte denn natürlich das Ganze darunter leiden, so daß der
beste Wille, die größte Hingebung und die lobenswertheste Tapferkeit, die
vor allem der Gegner selbst anerkannte, das nicht ausgleichen konnten. Die
Kräfte. Gewandtheit und Hilfsmittel des Gegners kannte man ebenso wenig
und berechnete diese jedenfalls nur nach den eigenen oder unterschätzte sie gar.
Letzteres ist das Wahrscheinlichere.**)

Was das stramme. Sichere, zugleich aber auch Bewegliche betrifft, so




' ") Der größere Theil der ausgeschickten Spione, in deren Wahl man nicht glücklich
war, kehrte nicht wieder zurück. Das Patrouilliren scheint auch nicht die stärkste Seite gewesen
zu sein.
") Selbst das „Würzburger Abendblatt" soge: „Allgemein hört man die Klage über
mongelhoste Führung und Verpflegung, Die Truppen sind niemals von der Stellung und
Stärke des Feindes unterrichtet, was sie mißtrauisch macht."
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[0499] legcrsregiment, Oberstlieutenant v. Pochmann, war durch den Unfall so alterirt. daß er sich erschoß. In Würzburg war arge Aufregung, als gegen hundert Versprengte ankamen, die zwanzig Stunden weit geritten waren und alles rief erschreckt: „Die Preußen kommen!" Auch in dem hitzigen Kampf um Hammelburg sowie bei Kissingen zogen die Bayern bekanntlich den Kürzeren. Bei letzteren Orte hatten sie wieder eine treffliche Position, über die dort ziemlich breite Saale, führte nur eine Brücke die lang und schmal war und von trefflich postirter Artillerie — man sagt achtzehn Geschützen — vollkommen bestrichen werden konnte. Der ganze Ort wurde ebenfalls von hier aus beherrscht. In beiden Treffen schlugen sich die Truppen sonst brav, namentlich bei Hammelburg, wo sie bedeutend in der Minderzahl waren. Aber warum kam man ihnen nicht zu Hilfe, obgleich noch Abtheilungen in der Nähe waren, die das Feuern hören mußten? Die Rück¬ sichtslosigkeit bayerischer Civil« und Militärbehörden gegen das kissinger Bade¬ publikum,' gegen Kranke und Gebrechliche, gegen die eigene Stadt und deren Interesse ist nicht zu entschuldigen, zumal wenn man wußte oder wissen mußte, was bevorstand, mit welcher Macht der Gegner vorrückte. So viel allerdings scheint sich nunmehr als ziemlich unbestritten herausgestellt zu haben, daß das bayerische Kundschaftswesen sich noch ziemlich im Urzustande befindet und sehr vieles zu wünschen übrig lassen mag/) Somit war man in dieser Beziehung von dem Wesentlichsten wenig oder nicht, oder falsch unterrichtet, kein Wunder daher, wenn fast alles anders kam. als man sich dachte, und wenn mit der Ueberraschung Schrecken und Entmuthigung die Truppen hier und da überfiel, namentlich nach vorausgegangenen gewaltigen Enttäuschungen. Bon Verwenden und Ineinandergreifen der verschiedenen Waffengattungen, von Recognosciren. von Benutzen des Terrains, von Scheinbewegungen und anderem Wesentlichen scheint man von oben her keinen rechten Begriff gehabt zu haben und so mußte denn natürlich das Ganze darunter leiden, so daß der beste Wille, die größte Hingebung und die lobenswertheste Tapferkeit, die vor allem der Gegner selbst anerkannte, das nicht ausgleichen konnten. Die Kräfte. Gewandtheit und Hilfsmittel des Gegners kannte man ebenso wenig und berechnete diese jedenfalls nur nach den eigenen oder unterschätzte sie gar. Letzteres ist das Wahrscheinlichere.**) Was das stramme. Sichere, zugleich aber auch Bewegliche betrifft, so ' ") Der größere Theil der ausgeschickten Spione, in deren Wahl man nicht glücklich war, kehrte nicht wieder zurück. Das Patrouilliren scheint auch nicht die stärkste Seite gewesen zu sein. ") Selbst das „Würzburger Abendblatt" soge: „Allgemein hört man die Klage über mongelhoste Führung und Verpflegung, Die Truppen sind niemals von der Stellung und Stärke des Feindes unterrichtet, was sie mißtrauisch macht." 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/499>, abgerufen am 22.07.2024.