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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Mann und es kämpfte gegen die mindestens dreifache Zahl des Gegners.
Im Ganzen sollen die "ach Eisenach hin dirigirten Kolonnen der Bayern die
Stärke von fast 30,000 Mann erreicht haben. Aber bei letzteren war wieder
keine einheitliche Leiiung, kein ordentlicher Verband, keine rechtzeitige Unter¬
stützung. Was geschah denn eigentlich vom Hauptquartier aus? Man hat
darüber bis jetzt noch nichts Rechtes vernommen. Man sagt, daß es eben ge¬
mächlich beim Frühstück gesessen, als der Kampf schon längst begonnen.

Einsichtigere" bayrischen Offizieren graute vor den Rbönpässen, denn schon
auf dem Marsche im Werrathal äußerten sie gegen Civilisten: Wir kennen
das Terrain ganz und gar nicht und werden übel wegkommen. Sie meinten
damit nicht allein sich, sonder" auch ihre Oberen. Und der Kampfplatz lag nur
ein paar Stunde" von der bayrische" Grenze, von der Stadt und dem Schloß
Tann, dem alten Stammsitze des Generalstabschefs, der hier einen Theil seiner
Jugend verlebte und sast alljährlich noch dahin kömmt.

In dem Briefe eines ehemalige" badischen Offiziers, der pensionirt in jener
Gegend lebt, ist unter anderem gesagt: "Ich habe in neuester Zeit große Ab¬
theilungen einer Armee gesehen, die ich freilich unter ganz anderen Verhältnissen
gekannt habe.*) Nimmer hätte ich geglaubt, daß es Wahrheit sein könnte, was
ich hier gesehen und gehört habe. Wie können Truppen so zurückkommen, wie
diese bayrische Infanterie! Roheit, Unwissenheit, Unordnung, Mangel an Ach¬
tung gegen ihre Führer, Mangel an allen Vorsichtsmaßregeln. Von diesem
allen könnte ich ein Buch schreiben, müßte aber befürchten, daß man diese Dar¬
stellung für eine geflissentliche Unwahrheit und Uebertreibung halten würde.
Und diese wollten die Preußen mit Haut und Haar auffressen!--Ich habe,
nachdem ich diese Truppen von außen und innen betrachtet, keinen Augenblick
an den Resultaten gezweifelt, wie sie gekommen sind, ja alles wörtlich vorher
gesagt. Einen solch wahnsinnigen Krieg in den Nhönberge" zu führen, aus
solchen Positionen sich von einer Hand voll Feinde in ein paar Tagen und
bis über den Main zurückwerfen zu lassen!--Eine Position, die man mit
2000 schwarzwälder Bauern im Guerillakrieg dreiviertel Jahr hätte halten und
völlig unsicher machen könne". -- Doch genug!" --

Was der Schreiber hier über einen Theil der bayerischen Offiziere sagt,
wollen wir aus Discretio" lieber verschweigen.**)

Der verwundete Oberst v. Aldosser kam nach Meiningen zurück und hatte
Aufnahme im städtischen Krankenhause gefunden, das an der um die Stadt




-) Der Verfasser dieses Briefes focht nämlich im letzten Jahre der Befreiungskampfe mit.
") Wir wollen hierbei bemerken, daß damit nicht das ganze bayerische Offiziercorps ge-
meint sein kann. Man findet darunter auch viele recht tüchtige, liebenswürdige und gebildete
Offiziere, namentlich unter der Artillerie und dem Geniecorps.
Vttnzboten III. 18K6. 59

Mann und es kämpfte gegen die mindestens dreifache Zahl des Gegners.
Im Ganzen sollen die »ach Eisenach hin dirigirten Kolonnen der Bayern die
Stärke von fast 30,000 Mann erreicht haben. Aber bei letzteren war wieder
keine einheitliche Leiiung, kein ordentlicher Verband, keine rechtzeitige Unter¬
stützung. Was geschah denn eigentlich vom Hauptquartier aus? Man hat
darüber bis jetzt noch nichts Rechtes vernommen. Man sagt, daß es eben ge¬
mächlich beim Frühstück gesessen, als der Kampf schon längst begonnen.

Einsichtigere» bayrischen Offizieren graute vor den Rbönpässen, denn schon
auf dem Marsche im Werrathal äußerten sie gegen Civilisten: Wir kennen
das Terrain ganz und gar nicht und werden übel wegkommen. Sie meinten
damit nicht allein sich, sonder» auch ihre Oberen. Und der Kampfplatz lag nur
ein paar Stunde» von der bayrische» Grenze, von der Stadt und dem Schloß
Tann, dem alten Stammsitze des Generalstabschefs, der hier einen Theil seiner
Jugend verlebte und sast alljährlich noch dahin kömmt.

In dem Briefe eines ehemalige» badischen Offiziers, der pensionirt in jener
Gegend lebt, ist unter anderem gesagt: „Ich habe in neuester Zeit große Ab¬
theilungen einer Armee gesehen, die ich freilich unter ganz anderen Verhältnissen
gekannt habe.*) Nimmer hätte ich geglaubt, daß es Wahrheit sein könnte, was
ich hier gesehen und gehört habe. Wie können Truppen so zurückkommen, wie
diese bayrische Infanterie! Roheit, Unwissenheit, Unordnung, Mangel an Ach¬
tung gegen ihre Führer, Mangel an allen Vorsichtsmaßregeln. Von diesem
allen könnte ich ein Buch schreiben, müßte aber befürchten, daß man diese Dar¬
stellung für eine geflissentliche Unwahrheit und Uebertreibung halten würde.
Und diese wollten die Preußen mit Haut und Haar auffressen!--Ich habe,
nachdem ich diese Truppen von außen und innen betrachtet, keinen Augenblick
an den Resultaten gezweifelt, wie sie gekommen sind, ja alles wörtlich vorher
gesagt. Einen solch wahnsinnigen Krieg in den Nhönberge» zu führen, aus
solchen Positionen sich von einer Hand voll Feinde in ein paar Tagen und
bis über den Main zurückwerfen zu lassen!--Eine Position, die man mit
2000 schwarzwälder Bauern im Guerillakrieg dreiviertel Jahr hätte halten und
völlig unsicher machen könne». — Doch genug!" —

Was der Schreiber hier über einen Theil der bayerischen Offiziere sagt,
wollen wir aus Discretio» lieber verschweigen.**)

Der verwundete Oberst v. Aldosser kam nach Meiningen zurück und hatte
Aufnahme im städtischen Krankenhause gefunden, das an der um die Stadt




-) Der Verfasser dieses Briefes focht nämlich im letzten Jahre der Befreiungskampfe mit.
") Wir wollen hierbei bemerken, daß damit nicht das ganze bayerische Offiziercorps ge-
meint sein kann. Man findet darunter auch viele recht tüchtige, liebenswürdige und gebildete
Offiziere, namentlich unter der Artillerie und dem Geniecorps.
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[0497] Mann und es kämpfte gegen die mindestens dreifache Zahl des Gegners. Im Ganzen sollen die »ach Eisenach hin dirigirten Kolonnen der Bayern die Stärke von fast 30,000 Mann erreicht haben. Aber bei letzteren war wieder keine einheitliche Leiiung, kein ordentlicher Verband, keine rechtzeitige Unter¬ stützung. Was geschah denn eigentlich vom Hauptquartier aus? Man hat darüber bis jetzt noch nichts Rechtes vernommen. Man sagt, daß es eben ge¬ mächlich beim Frühstück gesessen, als der Kampf schon längst begonnen. Einsichtigere» bayrischen Offizieren graute vor den Rbönpässen, denn schon auf dem Marsche im Werrathal äußerten sie gegen Civilisten: Wir kennen das Terrain ganz und gar nicht und werden übel wegkommen. Sie meinten damit nicht allein sich, sonder» auch ihre Oberen. Und der Kampfplatz lag nur ein paar Stunde» von der bayrische» Grenze, von der Stadt und dem Schloß Tann, dem alten Stammsitze des Generalstabschefs, der hier einen Theil seiner Jugend verlebte und sast alljährlich noch dahin kömmt. In dem Briefe eines ehemalige» badischen Offiziers, der pensionirt in jener Gegend lebt, ist unter anderem gesagt: „Ich habe in neuester Zeit große Ab¬ theilungen einer Armee gesehen, die ich freilich unter ganz anderen Verhältnissen gekannt habe.*) Nimmer hätte ich geglaubt, daß es Wahrheit sein könnte, was ich hier gesehen und gehört habe. Wie können Truppen so zurückkommen, wie diese bayrische Infanterie! Roheit, Unwissenheit, Unordnung, Mangel an Ach¬ tung gegen ihre Führer, Mangel an allen Vorsichtsmaßregeln. Von diesem allen könnte ich ein Buch schreiben, müßte aber befürchten, daß man diese Dar¬ stellung für eine geflissentliche Unwahrheit und Uebertreibung halten würde. Und diese wollten die Preußen mit Haut und Haar auffressen!--Ich habe, nachdem ich diese Truppen von außen und innen betrachtet, keinen Augenblick an den Resultaten gezweifelt, wie sie gekommen sind, ja alles wörtlich vorher gesagt. Einen solch wahnsinnigen Krieg in den Nhönberge» zu führen, aus solchen Positionen sich von einer Hand voll Feinde in ein paar Tagen und bis über den Main zurückwerfen zu lassen!--Eine Position, die man mit 2000 schwarzwälder Bauern im Guerillakrieg dreiviertel Jahr hätte halten und völlig unsicher machen könne». — Doch genug!" — Was der Schreiber hier über einen Theil der bayerischen Offiziere sagt, wollen wir aus Discretio» lieber verschweigen.**) Der verwundete Oberst v. Aldosser kam nach Meiningen zurück und hatte Aufnahme im städtischen Krankenhause gefunden, das an der um die Stadt -) Der Verfasser dieses Briefes focht nämlich im letzten Jahre der Befreiungskampfe mit. ") Wir wollen hierbei bemerken, daß damit nicht das ganze bayerische Offiziercorps ge- meint sein kann. Man findet darunter auch viele recht tüchtige, liebenswürdige und gebildete Offiziere, namentlich unter der Artillerie und dem Geniecorps. Vttnzboten III. 18K6. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/497>, abgerufen am 22.07.2024.