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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ausdruckes bedienen dürfen, angewackelt kamen. Noch lange, lange nach dem
Signal kamen Nachzügler, manche gar nicht. Nun hatte es wieder mit dem
Rangiren seine Noth, da mancher im Dusel seinen Platz verfehlte. Da gabs
ein Einschieben und Wiederherausnehmen, ein Hin- und Herstuppen, die Rotten
voll zu machen und wenn man unten fertig war, so fehlte es wieder oben. So
verging zuweilen eine Stunde, bis endlich die Compagnie zusammen war.
Hauswirthe erzählten, daß, wenn sie Morgens beim Hören des Signals ihre
noch fest schlafende Einquartirung mit vieler Mühe geweckt gehabt hätten, diese
unwirsch etwas gemurmelt und sich wieder aufs Ohr gelegt hätte, um unbesorgt
fortzuduseln. -- Auch manches mehr Erheiternde konnte nicht ausbleiben. So
wird bekanntlich der für eine ganze Abtheilung bestimmten Feldkessel, ein ziem¬
lich umfangreiches, für bajuvarischen Appetit berechnetes Gefäß, abwechselnd von
einem Mann getragen. Nun traf es sich, daß bei einem Abmarsch keiner an
der Reihe des Tragens sein wollte. Alles, was vom Feldwebel dazu auf¬
gefordert wurde, legte Protest ein, bis dieser endlich die Geduld verlor und den
Kessel dem nächsten besten trotz alles Sträubens octroyirte.

Bei allen diesen Mängeln trat unverkennbar eine große Selbstüberschätzung
und mit dieser der ungereimteste Preußenhaß hervor, der oft in wahre Ver¬
blendung überging. Die Mehrzahl der stämmigen Bursche mochten denken, daß
bei einem Zusammenstoß nur die Physische Kraft "den Ausschlag gebe, da sie
von der moralischen nur eine schwache oder gar keine Idee hatten. Ein robuster
Vollblut-Altbayer mag es im Ringkampf wohl mit einem Vierteldutzend der
schlanken berliner Kinder und ähnlichem Schlag in der preußischen Armee aus¬
nehmen, aber sicher nicht, wo es gilt, durch Gewandtheit und Verschlagenheit
zu siegen. Dagegen dachten die Bayern den Preußen gegenüber nur an das
veiri, viäi, viel, und, wie sie sich einbildeten, war ihr podewilssches Gewehr das
beste von der Welt, mithin auch dem preußischen Zündnadelgewehr weit über-
legen. Aber nicht nur in den Soldaten mit einfältig kindlichem Gemüth rumorte
diese Siegesüberzeugung, sondern auch unter den Offizieren. Ein Hauptmann
von vornehmer Familie und dem gebildeteren Theil der Offiziere zugehörig,
äußerte: "Wenn ich nur erst an die sacramentischen Preußen h'ran käm! Ich
geh nit eher heim, als bis ich ein Dutzend niedergesäbelt und ins Jenseit spedirt
hab!" Ob Wunsch und Gelübde zur Erfüllung kamen, wissen wir nicht.

Ein junger Lieutenant, der unterwegs seine defect gewordenen Stiefeln
restauriren ließ, fragte den Schuhmacher: ob wohl die Sohlen bis Berlin aus¬
halten würden?

Einer der verwundeten Bayern, die nach dem Gefecht bei Noßdorf in
Bamberg ankamen, erzählte dem andrängenden und lauschenden Publikum auf
dem Bahnhof: "Wir standen im hellen Feuer, es erging uns fast schlecht und
unsere Leute purzelten nur so zusammen. Jetzt regnets, rief unser Hauptmann


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ausdruckes bedienen dürfen, angewackelt kamen. Noch lange, lange nach dem
Signal kamen Nachzügler, manche gar nicht. Nun hatte es wieder mit dem
Rangiren seine Noth, da mancher im Dusel seinen Platz verfehlte. Da gabs
ein Einschieben und Wiederherausnehmen, ein Hin- und Herstuppen, die Rotten
voll zu machen und wenn man unten fertig war, so fehlte es wieder oben. So
verging zuweilen eine Stunde, bis endlich die Compagnie zusammen war.
Hauswirthe erzählten, daß, wenn sie Morgens beim Hören des Signals ihre
noch fest schlafende Einquartirung mit vieler Mühe geweckt gehabt hätten, diese
unwirsch etwas gemurmelt und sich wieder aufs Ohr gelegt hätte, um unbesorgt
fortzuduseln. — Auch manches mehr Erheiternde konnte nicht ausbleiben. So
wird bekanntlich der für eine ganze Abtheilung bestimmten Feldkessel, ein ziem¬
lich umfangreiches, für bajuvarischen Appetit berechnetes Gefäß, abwechselnd von
einem Mann getragen. Nun traf es sich, daß bei einem Abmarsch keiner an
der Reihe des Tragens sein wollte. Alles, was vom Feldwebel dazu auf¬
gefordert wurde, legte Protest ein, bis dieser endlich die Geduld verlor und den
Kessel dem nächsten besten trotz alles Sträubens octroyirte.

Bei allen diesen Mängeln trat unverkennbar eine große Selbstüberschätzung
und mit dieser der ungereimteste Preußenhaß hervor, der oft in wahre Ver¬
blendung überging. Die Mehrzahl der stämmigen Bursche mochten denken, daß
bei einem Zusammenstoß nur die Physische Kraft "den Ausschlag gebe, da sie
von der moralischen nur eine schwache oder gar keine Idee hatten. Ein robuster
Vollblut-Altbayer mag es im Ringkampf wohl mit einem Vierteldutzend der
schlanken berliner Kinder und ähnlichem Schlag in der preußischen Armee aus¬
nehmen, aber sicher nicht, wo es gilt, durch Gewandtheit und Verschlagenheit
zu siegen. Dagegen dachten die Bayern den Preußen gegenüber nur an das
veiri, viäi, viel, und, wie sie sich einbildeten, war ihr podewilssches Gewehr das
beste von der Welt, mithin auch dem preußischen Zündnadelgewehr weit über-
legen. Aber nicht nur in den Soldaten mit einfältig kindlichem Gemüth rumorte
diese Siegesüberzeugung, sondern auch unter den Offizieren. Ein Hauptmann
von vornehmer Familie und dem gebildeteren Theil der Offiziere zugehörig,
äußerte: „Wenn ich nur erst an die sacramentischen Preußen h'ran käm! Ich
geh nit eher heim, als bis ich ein Dutzend niedergesäbelt und ins Jenseit spedirt
hab!" Ob Wunsch und Gelübde zur Erfüllung kamen, wissen wir nicht.

Ein junger Lieutenant, der unterwegs seine defect gewordenen Stiefeln
restauriren ließ, fragte den Schuhmacher: ob wohl die Sohlen bis Berlin aus¬
halten würden?

Einer der verwundeten Bayern, die nach dem Gefecht bei Noßdorf in
Bamberg ankamen, erzählte dem andrängenden und lauschenden Publikum auf
dem Bahnhof: „Wir standen im hellen Feuer, es erging uns fast schlecht und
unsere Leute purzelten nur so zusammen. Jetzt regnets, rief unser Hauptmann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/491>, abgerufen am 22.07.2024.